Tarifvertrag Entlastung in NRW unterzeichnet und finanziert

Drei Erkenntnisse aus 77 Tagen Streik

Nora Hachenburg

Fast schon unscheinbar und versteckt taucht im Haushaltsplanentwurf der Landesregierung NRW für das Jahr 2023 unter der Kennziffer 671 12 ein neuer Haushaltsposten auf: 60 Millionen Euro veranschlagt die schwarz-grüne Landesregierung für „Erstattung der anfallenden und nicht über das System der dualen Krankenhausfinanzierung refinanzierten Kosten des Tarifvertrags Entlastung“ für die Unikliniken in NRW. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen schlägt sich damit das Zugeständnis, das die Streikenden der Landesregierung in 77 Tagen Arbeitskampf abgerungen haben, tatsächlich im Haushalt nieder: Die Personalkosten für die nicht pflegerisch Beschäftigten und das Pflegepersonal in OPs, Notaufnahmen und anderen nichtstationären Bereichen werden übernommen. Nach Einschätzungen aus Klinik- und ver.di-Kreisen ist die Höhe für das erste Jahr auch sachgemäß. Die Kosten werden allerdings in den Folgejahren steigen.

Zum zweiten werden Unterfinanzierung und Fehlerhaftigkeit des Krankenhausfinanzierungs-Systems damit erneut in einem Regierungsdokument benannt. Das Fallpauschalensystem (DRG-System) gleicht mittlerweile einem löchrigen Käse. Es ist nur noch schwer auszumachen, ob die Löcher überwiegen, die gestopft werden müssen, oder der Käse. Bundes- und Landesregierungen in ganz Deutschland hielten zur Sicherstellung der Profite der Konzerne krampfhaft am Fallpauschalensystem fest, denn nur damit lassen sich Gewinne realisieren. Gleichzeitig lässt sich die Versorgung von Patientinnen und Patienten in dem System nicht mehr aufrechterhalten ohne offene, halbversteckte und versteckte Querfinanzierungen. Dass selbst der Bundesgesundheitsminister jetzt eingestehen muss, dass das DRG-System kaputt ist und überwunden werden muss, obwohl er an der Einführung unter Rot-Grün 2003 maßgeblich beteiligt war, zeigt einmal mehr die Widersprüche, die im Kapitalismus nicht zu lösen sind. Das Eingeständnis steht auch für die Angst der Herrschenden, dass sich mehr und mehr Menschen grundlegende Fragen stellen. Der angekündigte neue Entwurf für eine Krankenhausfinanzierung wird weiterhin Profit für Konzerne ermöglichen. Dementsprechend werden weitere und größere Kämpfe wie die an den Unikliniken NRW notwendig sein, um den Druck zu erhöhen – für ein Gesundheitssystem, das den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird.

Tarifvertrag durchsetzen

Die Gewerkschaft ver.di und die Arbeitgeber werden den Tarifvertrag Entlastung in diesen Wochen endgültig unterschreiben. Auf Seiten der Unikliniken tut das der extra gegründete Arbeitgeberverband der Unikliniken NRW (AdUK NRW). Damit steht dem Start des Tarifvertrags Entlastung zum 1. Januar 2023 eigentlich nichts mehr im Weg – außer der Personalnot. Denn diese ist natürlich mit Unterzeichnung des Tarifvertrags keinen Deut besser geworden. Im Gegenteil, aus mehreren Kliniken kommen aktuell Berichte der Belegschaften, dass allgemeiner Personalmangel und aktuelle Krankenstände zu Besetzungen führen, die schlechter sind als im Streik.

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Streikende in Düsseldorf im Mai 2022 (Foto: Peter Köster)

Auf der anderen Seite wird die Leistung kaum reduziert, denn unter dem wirtschaftlichen Druck, der auch auf die öffentlichen Krankenhäuser gemacht wird, gilt es jetzt natürlich Umsatz zu machen, also möglichst viele Patienten zu operieren und durchzuschleusen. Umgekehrt gibt es einzelne Klinken beziehungsweise Bereiche, in denen Pflegedienstleitungen versuchen, schon jetzt die Personalschlüssel einzuhalten und das Ihre dafür zu tun, dass die Spirale aus Personalmangel und Berufsflucht durchbrochen wird. Dies wird aber nur Erfolg haben, wenn die Belegschaften auch jetzt, wo Streiken für Entlastung rechtlich nicht mehr möglich ist, gemeinsam und mit viel Druck für die Umsetzung ihres Tarifvertrags kämpfen.

Auch wenn die Resultate dieser Kämpfe noch ausstehen, hat die Auseinandersetzung an den Unikliniken mit etwas Abstand betrachtet dreierlei gezeigt: Erstens, dass es möglich ist, Belegschaften in Auseinandersetzungen für ihre eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen und ihre eigenen Forderungen nennenswert gewerkschaftlich zu organisieren. Mehrere tausend neue Mitglieder verbessern damit auch die Kampfbedingungen für die folgende Tarifrunde, in der es bei der absehbaren Preisentwicklung um massive Lohnerhöhungen gehen wird. Zweitens: Auch in Krisenzeiten und bei zunehmender Rechtsentwicklung ist es möglich, mit organisierten Belegschaften und konfliktbereiten Gewerkschaften oder zumindest Gewerkschaftsteilen dem Kapital und dem Staat Zugeständnisse abzuringen. Es geht also nicht nur um Verteidigungskämpfe, sondern um Kämpfe, die wirklich zu Verbesserungen führen.

Der dritte und sicher zentrale Effekt der elf Wochen Streik ist das, was der Kampf mit den Belegschaften und den Menschen macht: Eine so lange und harte Auseinandersetzung verändert Menschen und prägt Bewusstsein. Das Erkennen, wie stark eine Belegschaft ist, die gemeinsam beziehungsweise mit größeren Teilen der Belegschaft kämpft und diesen Kampf selbst gestaltet, prägt genauso wie das Erleben des Agierens von Klinikvorständen und politisch Verantwortlichen. Sie werden bei konkreten Forderungen aus Belegschaften schnell demaskiert. Die Bewusstseinsentwicklung findet aber nicht nur in den Belegschaften statt, die gekämpft haben. Auch andere Betriebe, nicht nur aus dem Bereich der Krankenhäuser, haben erlebt, dass es möglich ist, die Sozialpartnerschaft zu verlassen und Kämpfe hart zu führen, lange und wirkungsvoll zu streiken und zum Schluss einen Erfolg zu erzielen. Diese Erfahrung, die jetzt durch die Uniklinikstreiks wieder präsenter ist, hilft in den anstehenden Kämpfen um massive Lohnerhöhungen, aber auch in den übergeordneten Auseinandersetzungen für Heizung, Brot und Frieden.

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"Drei Erkenntnisse aus 77 Tagen Streik", UZ vom 25. November 2022



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