Während der Krieg in der Ukraine fortschreitet, erhöhen die NATO-Staaten kontinuierlich ihre Truppenpräsenz in Nordost-, Zentral- und Südosteuropa. Dabei war die Anwesenheit von NATO-Truppen im östlichen Bündnisgebiet ein relevanter Punkt für mögliche Verhandlungen zum Jahreswechsel, die allerdings aufgrund des Unwillens in Brüssel und Washington nicht zustande kamen. Jetzt wird Deutschland zum Aufmarschgebiet der NATO in Europa, zur „strategischen Drehscheibe“ für Truppenverlegungen, wie es bereits in der Konzeption der Bundeswehr von 2018 hieß. Noch am Tag des russischen Einmarsches, am 24. Februar, verkündete das Verteidigungsministerium in Berlin in einer Pressemitteilung: „Die Bundeswehr ist vorbereitet und erhöht derzeit weiter ihre Bereitschaft. Das bedeutet auch, dass die Bevölkerung gegebenenfalls in den nächsten Tagen mehr militärische Bewegungen im öffentlichen Raum wahrnehmen kann. Es kann auch zu Einschränkungen im Verkehrsbereich kommen, da Transportkapazitäten zu Lande, zu Wasser und in der Luft für militärische Zwecke vorgehalten werden müssen.“
Auf deutschen Straßen waren bereits seit Anfang Februar verstärkt Militärkonvois in Richtung Osten unterwegs. Für die Aufstockung der NATO-Battlegroup in Litauen, die seit 2017 von der Bundeswehr geführt wird, machten sich 350 Soldatinnen und Soldaten aus Standorten in Norddeutschland auf den Weg. Ein Teil der Soldatinnen und Soldaten wurde vom Militärflughafen Wunstorf bei Hannover direkt nach Litauen geflogen. Fahrzeuge und Besatzungen hingegen wurden auf den Truppenübungsplätzen Lehnin bei Potsdam und Jägerbrück in Vorpommern gesammelt, um von dort aus über die Autobahn in Richtung Polen aufzubrechen. Ähnliche Routen nahmen auch Teile der 850 zusätzlichen britischen Soldatinnen und Soldaten für das NATO-Bataillon in Estland. Sie starteten ihren Straßenmarsch vom Truppenübungsplatz Sennelager bei Paderborn, der bereits seit dem letzten Kalten Krieg von britischen Truppen für Einsatzvorbereitungen genutzt wird.
Ausgangspunkt für die Verlegung von hunderten Radpanzern und Lkw der US-Armee in die Slowakei und nach Rumänien war der Truppenübungsplatz Grafenwöhr östlich von Nürnberg. Abgelöst werden sie vermutlich von Kontingenten aus Frankreich, Belgien, Deutschland und den Niederlanden, die künftig das Personal für zwei neue NATO-Battlegroups in Rumänien und der Slowakei stellen werden.
Zur Absicherung des Luftraums befinden sich aktuell über 50 zusätzliche NATO-Kampfflugzeuge auf Militärflughäfen im Baltikum, in Polen und an der Schwarzmeerküste. Am 17. und 24. Februar starteten je drei deutsche Eurofighter vom bayrischen Neuburg aus in Richtung Rumänien. Teile der US-Jets in Rumänien, Estland und Litauen waren zuvor auf der US-Air-Base Spangdahlem in der Eifel stationiert oder landeten auf ihrem Weg aus den USA dort zwischen.
Aktuell werden weitere 7.000 US-Soldatinnen und Soldaten über Nürnberg und die US-Air-Base Ramstein bei Kaiserslautern eingeflogen. Das Material ihrer Panzerbrigade kommt größtenteils aus einem Depot in Mannheim. Von dort aus wird es per Straße und Schiene nach Grafenwöhr verlegt, wo Panzer und Personal wieder aufeinander treffen. Vorgesehen ist die US-Verstärkung für die „NATO-Response Force“. Diese Eingreiftruppe mit bis zu 50.000 Soldatinnen und Soldaten wurde auf einem spontan einberufenen NATO-Gipfel am 25. Februar aktiviert. Damit stehen die französischen Anteile der Deutsch-Französischen Brigade, die aktuell den Kern der NATO- Speerspitze (VJTF) stellen, abmarschbereit auf dem Kasernenhof entlang der deutsch-französischen Grenze. In erhöhter Alarmbereitschaft befinden sich zudem Teile der Truppen der Bundeswehr in Süd- und Ostdeutschland, die aktuell für die Schnelle Eingreiftruppe 2023 trainieren.
Darüber hinaus ist für April die Verlegung einer gesamten US-Panzerdivision mit knapp 13.000 Soldatinnen und Soldaten nach Europa zu erwarten. Sie wird Teil des am 8. Mai beginnenden Großmanövers „Defender 2022“ sein. Auf ihrem Weg aus den Depots (APS) in den Niederlanden, Belgien und Deutschland in Richtung Osten werden auch diese Panzerkolonnen hier auf den Autobahnen sichtbar werden.
Unser Autor ist Mitarbeiter bei der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen