Mit Arbeitszeitverkürzung gegen die Krise

Dramatische Einbrüche

UZ: Nach den ersten Illusionen, der seit letztem Herbst angekündigte und seit März statistisch erfassbare Abschwung würde eine V-Kurve nehmen, also in einen schnellen kräftigen Aufschwung überleiten, haben sich die ökonomischen Kerndaten weiter eingetrübt. Wie ist deine Einschätzung zum Stand der ökonomischen Krise?

350304Bontrup - Dramatische Einbrüche - Arbeitszeit, Krise - Wirtschaft & Soziales
Prof. Dr. rer. pol. Heinz-Josef Bontrup ist Dipl.-Ökonom und Dipl.-Betriebswirt. Von 1996 bis 2019 Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule, aktuell Gastprofessur an der Universität Siegen. Er ist seit 1978 Mitautor der seit 1975 veröffentlichten Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik AAW e. V.

Heinz-Josef Bontrup: Der mit der Corona-Pandemie im März einsetzende wirtschaftliche Einbruch in den ersten beiden Quartalen mit gut 2 und 10 Prozent ist als dramatisch einzustufen. Wir werden in diesem Jahr, vorausgesetzt, es gibt keinen zweiten Shutdown, den schwersten Wachstumseinbruch seit 1949 erleben.

Auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanz-, Immobilien- und Wirtschaftskrise 2009 ist die Wirtschaft um 5,7 Prozent eingebrochen. Ob es eine V-Kurven-Entwicklung, also einen schnellen Aufschwung, oder mehr eine U-Kurven-Entwicklung mit einer langsamen Erholung gibt, ist aus heutiger Sicht noch nicht seriös zu sagen. Die bundesdeutsche Wirtschaft ist aber, nicht zuletzt wegen ihrer extremen Exportwirtschaft, robust. Das haben die Jahre 2010 bis 2019 mit einer jahresdurchschnittlichen realen, also preisbereinigten, Wachstumsrate von fast 2 Prozent gezeigt.

Die Exportabhängigkeit könnte jetzt zum Problem werden, wenn die Importländer womöglich lange im Krisenmodus verharren. Von dem Wachstum bis zur Corona-Krise haben aber die abhängig Beschäftigten nicht viel abbekommen. Zwar sind die Beschäftigtenzahlen gestiegen und die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Die zusätzliche Beschäftigung war aber meistens nur prekär mit ganz schlechter Bezahlung. Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland stabil. Jeder vierte abhängig Beschäftigte ist hier zu Hause mit einem Bruttolohnsatz von unter 11,40 Euro.

UZ: Unter der Überschrift „Der neue Verteilungskampf beginnt“, erklärte die FAZ am 17. August die Bereitschaft der Lufthansa-Flugbegleiter, auf Teile ihres Gehalts zu verzichten, als vorbildlich und kritisierte mit scharfen Worten die Überlegungen zur Einführung einer 4-Tage-Woche mit Teil-Lohnausgleich. Welche Maßnahmen helfen in der Krise?

Heinz-Josef Bontrup: Dass die wirtschaftlich neoliberal ausgerichtete FAZ so reagiert, ist klar. Nur liegt sie wissenschaftlich völlig daneben. Erstens praktizieren wir in Deutschland seit der Wiedervereinigung schon lange einen neoliberal intendierten Verteilungskampf. Die abhängig Beschäftigten haben dabei rund 1,4 Billionen an Einkommen zu Gunsten der Kapitaleinkommen verloren. Und zweitens fehlen den Wirtschaftsjournalisten der FAZ offensichtlich ökonomische Grundkenntnisse in Sachen Arbeitszeitverkürzung.

Orientiert man diese an der Produktivität und Preissteigerung, so ist sie lohnstückkosten- und verteilungsneutral im Hinblick auf Lohn- und Mehrwertquote, was bedeutet, dass die Realeinkommen der Beschäftigten bei verkürzter Arbeitszeit konstant bleiben und gleichzeitig auch der Mehrwert in Höhe der Produktivitäts- und Inflationsrate steigt. Die freigesetzte Arbeitszeit kann dann genutzt werden, um Arbeitslose einzustellen. Insgesamt finanzieren damit die Beschäftigten ihre Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich aber selbst. Die Kapitaleigner beteiligen sich also nicht. Dies ist ökonomisch völlig inakzeptabel. Und deshalb ist jetzt in der Krise die 4-Tage-Woche auch nur mit vollem Lohnausgleich, allerdings bei einem Verzicht auf einen Personalausgleich, sinnvoll.

Die zurzeit schlechte Produktivität würde dabei für eine Umverteilung zu Gunsten der Beschäftigten sorgen. Die Lohnquote würde zu Lasten der Mehrwertquote steigen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil!

UZ: Die milliardenschweren Konjunkturpakete haben viel Lob auch von Gewerkschaftsseite erfahren. Was davon wird den Lohnabhängigen helfen und was vor allem der Sicherung von Profiten?

Heinz-Josef Bontrup: Zu den kreditfinanzierten Staatsausgaben gibt es kurzfristig keine Alternative. In diesem Jahr wird dadurch die Verschuldung des Staates um rund 218 Milliarden Euro steigen. Auch im nächsten Jahr wird die Verschuldung weiter kräftig zulegen. Für Deutschland ist dieser Verschuldungszuwachs kein Problem.

Das sieht allerdings bei unseren europäischen Nachbarn ganz anders aus. Kreditfinanzierte Staatsausgaben in antizyklischer keynesianischer Manier haben multiplikative Wirkungen. Sie helfen immer der gesamten Wirtschaft, also sowohl den Kapitalisten als auch den abhängig Beschäftigten. Und sie helfen auch dem Staat, der bei wieder zunehmendem Wachstum mehr Steuereinnahmem generiert. Trotzdem bleibt die mittel- und langfristige Finanzierungsfrage bei den kreditfinanzierten Staatsausgaben bestehen.

Soll die Verschuldung zukünftig durch eine staatliche Austeritätspolitik oder durch eine Vermögensabgabe bei den Reichen abgebaut werden? Hier plädiere ich ganz einfach rational für eine Vermögensabgabe, weil eine Austeritätspolitik, im Gegensatz zu einer Vermögensabgabe, schwerste ökonomische Schäden anrichtet. Staatsausgaben zu kürzen ist am Ende für alle immer kontraproduktiv und damit auch für die Reichen.

UZ: Welches sind aus deiner Sicht die jetzt vordringlichen Maßnahmen zur Sicherung der Massenkaufkraft mit Blick auf Arbeiter und Angestellte, aber auch auf Arbeitslose und Rentnerinnen?

Heinz-Josef Bontrup: Was vor Corona galt, gilt auch während und insbesondere nach Corona. Erstens: Arbeitszeitverkürzung, zweitens: Arbeitszeitverkürzung und drittens: Arbeitszeitverkürzung.#

Ich habe das differenziert dargelegt: Während Corona nur mit Lohnausgleich und nach Corona zusätzlich mit Personalausgleich. Nur so kommen wir erstens zur Vollbeschäftigung und zweitens steigen dadurch die Masseneinkommen. Ansonsten können die immer produktiver hergestellten Waren und Dienste nicht gekauft werden und die Unternehmen haben Absatzprobleme.

Durch Vollbeschäftigung spart außerdem der Staat Milliarden an fiskalischen Kosten für die Arbeitslosigkeit ein und er erhält dadurch neue Finanzierungsspielräume für einen dringend notwendigen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft. Das alles ist doch nicht so schwer zu verstehen. Und trotzdem findet es nicht statt. Dagegen spricht einfach der widersprüchliche Charakter der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung. Was der eine hier bekommt, kann der andere nicht mehr haben. Und es spricht die einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle dagegen.

Die Kapitalisten denken mit ihren Unternehmen eben nur einzelwirtschaftlich und nicht gesamtwirtschaftlich. Sie verhalten sich im Kapitalismus völlig rational, wenn sie ständig danach trachten, die Reallöhne nur unterhalb der Produktivitätsrate ansteigen zu lassen und durch Rationalisierung Beschäftige zu entlassen. Sie bedenken dabei aber nicht die gesamtwirtschaftlichen Effekte ihres Tuns. Und wenn dann auch noch der Staat einzelwirtschaftlich denkt, ja, dann ist alles verloren.

Das Gespräch führte Manfred Sohn

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Dramatische Einbrüche", UZ vom 28. August 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit