Wirtschaftskrise statt Handelskrieg, Pandemiepläne statt Coronaleugnung – Trumps Vorwahlkampfthemen gehen schief. Nun dreht er auf. Seit Wochen schickt der US-Präsident bewaffnete Truppen in verschiedene Städte der Vereinigten Staaten. Die paramilitärischen Einheiten werden von Bundesbehörden entsandt und sind in den Einsatzorten nicht kontrollierbar. Sie provozieren Demonstrantinnen und Demonstranten mit offener Gewalt und verschleppen Aktivistinnen und Aktivisten.
Vor wenigen Tagen kündigte der Präsident langjährige Haftstrafen für diejenigen an, die sich der staatlichen Gewalt in den Weg stellen. Dazu zählen mittlerweile auch Lokalpolitiker, wie zum Beispiel die Bürgermeister von Portland oder Chicago, die Trumps Methoden als diktatorisch bezeichnen. Einer seiner Berater weist derweil auf Trumps Exekutivprivileg hin, wodurch der US-Präsident doch besser ausschließlich per Dekret regieren solle.
Im November stehen im Land von „Freiheit und Demokratie“ Wahlen an. Der demokratische Charakter dieser Wahlen ist zweifelhaft. Das Wahlmännersystem hat den aktuellen Präsidenten ins Amt gehoben, obwohl er nicht die meisten Stimmen bekam. Viele sind von der Wahl ausgeschlossen, vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Papiere, aber auch Millionen Menschen, denen aufgrund einer Gefängnisstrafe ihre demokratischen Rechte schon zu Friedenszeiten entzogen wurden. Die rassistisch geprägte Law-and-Order-Justiz steckt schwarze Menschen öfter in den Knast und so sind es auch vor allem Black Lives, die von der hochgelobten Freiheit und Demokratie ausgeschlossen sind.
So weit, so normal – schließlich sind soziale und rassistische Ausgrenzung nichts, was es nur in den USA oder gar erst seit Trump gäbe. Doch scheint sich die aktuelle Situation angesichts der breit aufgestellten Proteste auf der einen Seite und des eskalierenden Präsidenten auf der anderen vom kapitalistischen Alltag zu unterscheiden. Auch das großbürgerliche Establishment der USA, Teile der Wirtschafts- und Finanzeliten und der sogenannten Entscheidungsträger in Demokratischer und Republikanischer Partei wenden sich vom amtierenden Präsidenten ab.
Die Black-Lives-Matter-Proteste führten zu einer Situation, in der sich viele Politikerinnen und Politiker der Demokraten auf die Seite der Protestierenden stellten. Das ist unüblich. Gegen Bürgerrechtsproteste Schwarzer stand die politische Elite in den USA in den vergangenen Jahren geschlossen zusammen. Das scheint sich zu ändern. So bezeichnet nicht nur der Bürgermeister der vom staatlichen Terror überzogenen Stadt Portland Trumps Strategie als „urbane Kriegsführung“. Auch etablierte Kräfte aus dem Umfeld von Bush bis Reagan bei den Republikanern wollen Schluss machen mit dem auch für sie unberechenbaren Führungsstil. In manchen Gegenden hat die Unterstützung durch lokale Politikerinnen und Politiker zur besseren Verankerung der Demokraten geführt. In den meisten Regionen jedoch konnte der Schulterschluss die Schlagkraft der Protestierenden nicht hemmen. Weiterhin werden zum Beispiel in Oregon Symbole der Macht angegriffen.
Trump stellt die Angriffe auf Gerichtsgebäude als anarchistische Aktionen dar. Erinnern wir uns aber an den Ausgangspunkt der Massenproteste – den routinierten Mord am schwarzen US-Bürger George Floyd –, sehen wir organisierte Angriffe auf eine Justiz, in der Staatsanwälte und Geschworene oftmals rassistisch urteilen. Hier legen die Proteste den Finger in die Wunde. Und bisher lassen sie sich weder einschüchtern noch einbinden.