Südafrika legt vor dem Internationalen Gerichtshof Beweise gegen Israel vor – das könnte auch Auswirkungen auf Deutschland haben

Dokumentation des Völkermords

Am 28. Oktober verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, mit 92 von 120 Stimmen das Verbot sämtlicher Aktivitäten des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Im Gazastreifen sind rund zwei Millionen Menschen auf die Hilfe der etwa 30.000 UNRWA-Mitarbeiter angewiesen. Mit dem Verbot bricht die letzte noch vorhandene Struktur weg, die Lebensmittelnotversorgung, Schulwesen und medizinische Hilfe in den besetzten Gebieten gewährleisten konnte.
Zur selben Stunde, als die Abgeordneten der Knesset mit ihrer Stimme diese humanitäre Katastrophe besiegelten, übergab der Botschafter Südafrikas in den Niederlanden, Vusi Madonsela, dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) eine weitere Klageschrift im bereits anhängigen Verfahren gegen Israel. Sie umfasst eine 750-seitige Begründung sowie eine Beweismitteldokumentation von zusätzlich 4.000 Seiten. Laut Presseerklärung des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa ist die Klage „ein Appell an die Weltgemeinschaft, sich der Menschen in Palästina zu erinnern, sich mit ihnen solidarisch zu erklären und die Katastrophe zu stoppen. Verwüstung und Leid waren nur möglich, weil Israel trotz der Aktionen und Interventionen zahlreicher UN-Gremien seine völkerrechtlichen Verpflichtungen missachtet hat.“ Die internationale Gemeinschaft könne „nicht stillhalten, während unschuldige Zivilisten – darunter Frauen, Kinder, Ärzte, Krankenhausmitarbeiter, humanitäre Helfer und Journalisten, einfach getötet werden. Das ist eine Welt, die wir nicht akzeptieren können.“

Der kontinuierliche Bruch des Völkerrechts durch den israelischen Staat war bereits Gegenstand des am 19. Juli veröffentlichten IGH-Gutachtens zu den rechtlichen Konsequenzen der Kriegsführung Israels in den besetzten Gebieten. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: „Die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ist rechtswidrig“, die Besetzung „ist so schnell wie möglich zu beenden“, „alle Staaten sind verpflichtet (…) keine Hilfe oder Unterstützung zur Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besetzung zu leisten“.

Seit dem 1. Oktober liegt auch der Bericht der UN-Sonderermittlerin Francesca Albanese vor. Albanese wertete 321 israelische und palästinensische Quellen aus und stellt unter anderem fest: „Seit März 2024 hat Israel 10.037 Palästinenser getötet und 21.767 verletzt, in mehr als 93 Massakern. (…) Verteilungsstellen für Hilfsgüter, Zeltlager, Krankenhäuser, Schulen und Märkte wurden wiederholt angegriffen, wahllos aus der Luft und mit Scharfschützen.“

Der Bericht ging mittlerweile auch dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, zu. Der hatte am 20. Mai Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Kriegsminister Joaw Galant beantragt. Inzwischen wurde bekannt, dass die Bundesregierung mit einer Depesche im Juli versucht hat, dem Internationalen Strafgerichtshof vom Erlass der Haftbefehle „abzuraten“. Stattdessen schlägt Berlin, das sich sonst als größter Verfechter des Völkerrechts aufspielt, ein Lösung auf kleinster Flamme vor: Die Strafrichter in Den Haag sollen die Klärung doch bitte der israelischen Justiz überlassen. Damit wäre der Bock zum Gärtner gemacht. Den Rest regelt Justizminister Yariv Levin, Netanjahus Bruder im Geiste, der sich ohnehin seit Jahr und Tag seinem Herzensprojekt verschrieben hat, der Gleichschaltung der Obersten Gerichte Israels.

Das Interesse der Bundesregierung an einem Ende der Strafverfolgung gegen Netanjahu ist im Übrigen ganz und gar nicht karitativ. Das Hauptsacheverfahren Nicaragua/Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord ist noch anhängig. Der IGH hatte Ende April zwar den Eilantrag Nicaraguas zurückgewiesen, in Punkt 26 des Urteils allerdings Deutschland daran erinnert, in Zukunft alle völkerrechtlichen Übereinkommen bei der Lieferung von Waffen an Israel einzuhalten. Derzeit laufen in Nicaragua die Vorbereitungen für den Antrag zum Hauptsacheverfahren. Die von Südafrika jetzt vorgelegten neuen Beweise wirken sich natürlich auch auf das Gehilfenverfahren gegen Deutschland aus, das nach einer Schampause seit August wieder Waffenlieferungen an Israel im Volumen von 94,05 Millionen Euro genehmigt hat. Es könnte also eng werden für die deutschen Kriegsgewinnler.

Und die Enge wird umso bedrohlicher, je einsamer man ist: Der Klage Südafrikas haben sich bis jetzt 32 Staaten (darunter auch die Türkei, Irland, Belgien, Spanien) und die gesamte Arabische Liga angeschlossen.

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"Dokumentation des Völkermords", UZ vom 8. November 2024



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