Trotz Absage des DGB: Bundesweit Aktive am 1. Mai auf der Straße

Distancing statt Sozialpartnerschaft

„Wieso werden vorhandene Masken nicht beschlagnahmt? Wieso werden Konzerne nicht gezwungen, Schutzausrüstung zu produzieren?“ Katja Kumutat berichtet für die ver.di-Vertrauensleute der Essener Uniklinik, welchen Risiken und Belastungen sie und ihre Kollegen in der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Und sie dankt Peter Köster von der Essener DKP, „der sich durch den Bürokratendschungel gekämpft hat, um diese Kundgebung zu ermöglichen“.

Köster unterbricht die Rednerin und nimmt sich das Mikrofon. Denn Kumutat hören nicht nur die 50 vom Ordnungsamt genehmigten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu, die in auf den Boden gesprühten Feldern stehen, um Abstand zu halten und sich vor Infektion zu schützen. Am Absperrband am Rand des Platzes verfolgen weitere Menschen die Kundgebung, sie stehen zu nah beieinander.

Eine Kundgebung zu organisieren, die den Infektionsschutz gewährleistet, ist aufwändig. Für Köster und die anderen Aktiven in dem Bündnis, das die Kundgebung organisiert hat, war der größere Aufwand, sich mit den Behörden über die Genehmigung auseinanderzusetzen: Beim Ordnungsamt anrufen, sich zu einem Ansprechpartner durchfragen, auf dessen Antwort warten, wieder anrufen. Schließlich hatte Köster einen Ablehnungsbescheid in der Hand. Nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Verbot der Kundgebung bestätigt hatte, rief das Bündnis das Oberverwaltungsgericht Münster an. Erst um 20:00 Uhr am Abend vor der Kundgebung stand fest, dass sie stattfinden kann. Dafür musste das Bündnis einen Platz akzeptieren, an dem nur wenige Menschen vorbeikommen.

Wie in Essen wollten in ganz Deutschland aktive Gewerkschafter und linke Organisationen nicht akzeptieren, dass der DGB die üblichen Demonstrationen vollständig abgesagt und durch ein Streaming-Programm ersetzt hatte. „Diese Absage des DGB kam zu früh, sie war zu absolut – das war falsch“, kritisiert der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele diese Entscheidung, „das Kapital versucht, die Krise für Angriffe auszunutzen – da ist es nötig, auf die Straße zu gehen.“ Insgesamt fanden über 100 Aktionen statt, die über die Webseite „heraus-zum-ersten-mai-2020.de“ koordiniert wurden.

Wie in Essen war es schwierig, dieses Grundrecht durchzusetzen – manche Kundgebungen und Aktionen wurden verboten, obwohl die Organisatoren gründliche Pläne zum Infektionsschutz vorgelegt hatten. Die DKP Bochum wollte mit einer Aktion vor einem Krankenhaus ihre Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen zeigen und hatte den Behörden über ihre Sicherheitsvorkehrungen berichtet – die Aktion wurde trotzdem nicht genehmigt. Einzelne DKP-Mitglieder machten Fotos mit Plakaten vor der Klinik und verbreiteten sie über soziale Medien. In Siegen und Gelsenkirchen mussten die lokalen Bündnisse ihre Aktionen vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen. Teilweise verboten die Behörden nicht nur das Verteilen von Flugblättern bei den Aktionen, sondern auch das Auslegen, das es Passanten ermöglicht hätte, sich kontaktlos über die Aktion zu informieren.

In Frankfurt am Main dagegen hatte die Polizei nur 30 Teilnehmer für eine von der SDAJ initiierte Kundgebung genehmigt – die Beamten akzeptierten aber, dass schließlich über 120 Menschen mit Abstand, Mundschutz und Fahnen über den Paulsplatz verteilt teilnahmen.

Köbele weist darauf hin, wie widersprüchlich es ist, dass die Behörden Demonstrationen unter dem Vorwand des Infektionsschutzes verbieten: „Man darf shoppen gehen, man darf in der Kirche beten, aber man darf nicht demonstrieren? So wird ein Notstandsregime geprobt.“ Auf der Essener Kundgebung berichtet eine Vertrauensfrau der IG BCE aus dem Chemiewerk von Evonik, dem größten Industriebetrieb der Stadt: „Die Arbeitshetze ist enorm, das Werk läuft auf Rekordhoch.“ So werde auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten produziert: „Kontaktverbote in der Öffentlichkeit – aber die Arbeiter können Schulter an Schulter weiterarbeiten.“

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"Distancing statt Sozialpartnerschaft", UZ vom 8. Mai 2020



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