Bis zum 28. März läuft die Mitgliederbefragung zum Ergebnis der 4. Gesprächsrunde zwischen ver.di-Verhandlungsführung und Post AG. Am 31. März will die Tarifkommission über den Abschluss beraten. Das Votum der Beschäftigten soll dabei berücksichtigt werden. ver.di teilte ihnen im Vorfeld der Befragung dazu mit: „Unsere Verhandlungskommission hat das Maximum herausgeholt. Deshalb empfiehlt sie der Tarifkommission die Annahme des Verhandlungsergebnisses.“ Das „Maximum“ sieht erst drei Nullmonate vor, dann ab April 2 Prozent Lohnsteigerung, ab April 2026 noch einmal 3 Prozent mehr.
„Wie sollen wir das nur erklären?“, sagt ein ver.di-Vertrauensmann und sieht traurig drein. Gerade in den kleineren Zustellstützpunkten ist sein Ruf unter den Kolleginnen und Kollegen mit dem Ansehen der Gewerkschaft verknüpft. Für ihn spielt sich hier gerade eine persönliche Krise ab. Er soll die Kolleginnen und Kollegen dazu aufrufen, ein Angebot anzunehmen, das eine gegenüber den ver.di-Tarifforderungen doppelte Laufzeit, halbe Lohnerhöhung knapp unterhalb der Inflationsrate und weitere Flexibilisierungs- und Individualisierungsmöglichkeiten vorsieht.
Weitere Streiks seien, so wird eher hinter vorgehaltener Hand berichtet, nicht durchzuhalten. Die Streikbereitschaft sei nicht vorhanden. Gleichzeitig begegnet so mancher Vertrauensmann oder Betriebsrat den kritischen Fragen der Kolleginnen und Kollegen mit einer Drohkulisse der Post: „Sieh mal, sie haben doch jetzt schon 8.000 Leute rausgeworfen, was wird denn, wenn wir weitermachen?“ Oder: „Wenn wir weitermachen, dann werden die sauer, dann nehmen die auch dieses Angebot zurück, was soll dann werden?“
Was dann werden soll, das fragen sich auch die Kolleginnen und Kollegen. Der Abbau von circa 8.000 Arbeitskräften ist als bewusste Drohgebärde direkt nach dem Ende der Tarifgespräche an die Presse gegeben worden. Jedes Jahr werden zum Beginn des Starkverkehrs Kräfte auf- und mit Ende des Starkverkehrs – und Beginn der Sommerzeit – Kräfte wieder abgebaut. Neue Kräfte dürfen sich einen Winter lang den Rücken krumm arbeiten und werden dann wieder entsorgt. Einen Festvertrag, auf den viele hoffen, bekommt kaum jemand. Wenn die Post neue Kräfte braucht, dann sucht sie sich die besten aus. Das ist eklig, zynisch, brutal – also kapitalistischer Normalzustand.
Die Drohgebärde wirkt: Viele der befristeten Arbeiter haben aus Angst nicht mitgestreikt. Dahinter steht die durchaus richtige Erkenntnis, dass – obgleich das Streikrecht im Grundgesetz steht – die Macht des Kapitals das formale Recht bricht. Wenn Verträge auslaufen, ist das nicht mitbestimmungspflichtig. Damit sinkt wieder die Zahl der Streikteilnehmer und der Normalzustand wird wieder brutaler.
An dieser Beobachtung setzen kämpferische Kräfte in der Gewerkschaft an. Das Normale ist die Brutalität, die nur viele nicht sehen wollen. Selbst gewerkschaftliche Vertrauensleute der Post finden es „normal“, dass das Grundgesetz klassenkämpferischer ist als bundesdeutsche Gewerkschaften.
Aus der sich so ergebenden Spirale in immer weitere Individualisierung, Zersplitterung, schlechte Organisation, Prekarisierung und Ohnmacht der Arbeiter wollen Kräfte ausbrechen. Ein Aufruf von Vertrauensleuten und anderer ver.di-Aktiver aus der ganzen Bundesrepublik ruft zur offenen Diskussion darüber auf, wie die Gewerkschaft sich gegen diese Angriffe fit machen kann. Auch das Netzwerk „Für eine kämpferische und demokratische ver.di“ trat mit konkreten Vorschlägen auf den Plan. In Kassel verteilte die Gruppe kämpferischer Postler ein Flugblatt, auf dem sie eine erste Streik-auswertung vornahm.
Wo kein Raum zur Diskussion in den gewerkschaftlichen Strukturen besteht, da müssen wir diesen eben selber schaffen. Die Kolleginnen und Kollegen dem Gegner oder der Resignation überlassen? Das will keiner.