Digitalisierung und Produktivkraftentwicklung

Von Helmut Dunkhase, Berlin

Im Abschnitt A III des Leitantrags, in der Beschreibung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung seit den 1950er Jahren, erscheint die so genannte digitale Revolution lediglich als „eine von mehreren Bausteinen der Etappe“ (Leitantrag, Z. 301f.). Das wird ihrer Bedeutung nicht gerecht. Kaum eine der genannten Errungenschaften wäre ohne die „digitale Revolution“ möglich gewesen bzw. vorangetrieben worden. Das hat seinen Grund.

Es war hellsichtig von Marx, in seiner Analyse der großen Maschinerie neben Werkzeug- und Bewegungsmaschine den Transmissionsmechanismus herauszuschälen. Während die (erste) industrielle Revolution ihren Ausgang von der Werkzeugmaschine nahm („welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte“, MEW, Bd. 23, S. 396), ging die digitale Revolution vom Transmissionsmechanismus aus: Steuerung, Regelung und Kontrolle gingen vom Arbeiter auf die Maschine über. Diese Umwandlung des Naturprozesses in einen industriellen (Marx) erfasst auf Grund der Universalität logischer Schaltungen immer mehr Bereiche von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft und untergräbt nun auch von der Produktivkraftseite her (ökonomisch ist mit dem Stamokap das Neue im Schoße der alten Ordnung spätestens seit 100 Jahren herangewachsen) die auf dem Privateigentum ruhende kapitalistische Produktionsweise – wie Marx etwa im „Maschinenfragment“ (MEW, Bd. 42., S. 590–609) andeutete.

Im Leitantrag wird das Verhältnis des zum Kontrolleur „aufgestiegenen“ Arbeiters zur Maschine in ein „Herr-Diener-Verhältnis“ gebracht,was sich zunehmend verkehre (Z. 327–329). Wieso das? Im Verhältnis zur Maschine ist es immer noch so. Es stimmt nicht im Verhältnis des Arbeiters zum Kapitalisten, er hat nichts zu melden über den Einsatz der Maschinen; aber das war vorher auch schon so. Nichtsdestotrotz werden unmittelbar anschließend Depressionen und Burn-Out aus der Produktivkraftentwicklung abgeleitet (Z. 329–332), was wohl schwer nachzuvollziehen ist.

Dem „Verhältnis des Menschen zu der in der modernen Technologie vergegenständlichten Arbeitskraft“ (gemeint ist wohl Arbeit) wird „eine neue Stufe der Entfremdung“ zugeschrieben (Z. 314–318). Warum ist die Entfremdung eines Arbeiters zu einem in einer digitalisierten Werkhalle hergestellten Autos höher als die des Arbeiters an der Werkbank zu dem von ihm hergestellten Maschinenteils?

Was das Internet angeht wird nur auf den Aspekt des sozialen Austauschs und der Kommunikation zwischen Menschen eingegangen, ohne dass ein Bezug zur Produktivkraftentwicklung sichtbar wird.

In Z. 391 wird die Verwandlung der Wissenschaft in eine unmittelbare Produktivkraft angesprochen. Und was folgt? Statt einer Auskunft über die Stellung des Arbeiters im verwissenschaftlichten Produktionsprozess erfahren wir, dass „immer größere Teile der Arbeiterklasse aus dem Verwertungsprozess“ (Z. 395 f.) ausgeschlossen sind (was so auch nicht stimmt). Dass „die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse die Reihen ihrer Reserve schwellt, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt“ (MEW, Bd. 23, S. 665), ist nun allerdings nichts Neues. Marx beschrieb die Rolle des Arbeiters, der aus dem unmittelbaren Produktionsprozess heraustritt und sich zu ihm als „Wächter und Regulator“ verhält, in der weiten Perspektive des auf die Spitze getriebenen prozessierenden Widerspruchs des Kapitals, die Arbeitszeit herabzudrücken, wo sie doch das einzige Maß des Reichtums ist: Die Arbeit hört auf, Quelle des Reichtums und Maß der Arbeitszeit zu sein, die auf dem Tauschwert beruhende Produktion bricht zusammen. Wie weit hat sich dieser Widerspruch heute zugespitzt?

Im Text ist mehrmals von einem Produktivkraftsprung die Rede. Seitdem Robert Solow Ende der 1989er Jahre das Paradoxon formulierte: „Du kannst überall das Computerzeitalter sehen außer in den Produktivitätsstatistiken“, wundern sich die Theoretiker darüber, dass die Digitalisierung nicht zu einer sprunghaften Entwicklung der Produktivkraft geführt hat. Die gesamtgesellschaftlich verausgabte Arbeitszeit in Deutschland ist in den letzten Jahren konstant geblieben oder hat leicht zugenommen, die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt trotzdem, die Profitraten fallen tendenziell. Es sieht nach einem anderen Ende der kapitalistischen Produktionsweise aus als Marx es sich vorstellte.

Sinn und Zweck des Slogans „Industrie 4.0“ wird nicht wirklich auf den Punkt gebracht: Eine Offensive des deutschen Monopolkapitals zur Festigung und Ausbau der Dominanz des deutschen Imperialismus in der EU und in der Konkurrenz zu den USA auf Kosten der Arbeiterklasse. Dabei stehen ihre Elemente in diesem Abschnitt (Z. 359–387) durchaus drin – verstreut zwischen etwas willkürlich herausgegriffenen, manchmal auch fragwürdigen Aussagen (Siemens als Softwareunternehmen, Umbruch in der Autoindustrie).

Im Teil „Strukturveränderungen auf Seite der Arbeiterklasse“ fehlt völlig, wie sich die Gewerkschaften gegenüber dieser Entwicklung aufzustellen haben. Und insgesamt fehlt der Blick auf das Neue im Alten, denn die bessere Welt kann nur aus der bestehenden hervorgehen.

Dem Anliegen des Leitantrags entsprechend schlage ich eine Beschränkung dieses Abschnitts auf folgende Fragen vor: Was bedeutet „Industrie 4.0“ technisch, politisch und ökonomisch und wie haben sich die Gewerkschaften dazu aufzustellen? Ich habe dazu einen ersten Aufschlag versucht, der im DKP-Portal nachzulesen ist.

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"Digitalisierung und Produktivkraftentwicklung", UZ vom 1. Dezember 2017



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