DGB-Befragung: Mehr Arbeit und mehr Druck statt Entlastung

Digitalisierung könnte so schön sein

Auf dem Digitalisierungsgipfel in der vergangenen Woche drängten Vertreter aus Politik und Wirtschaft einhellig auf eine schnellere Digitalisierung. Repräsentativ hierfür steht die Äußerung des Präsidenten des Branchenverbandes Bitkom, Achim Berg, dass in Deutschland die Debatte über Risiken und nicht über Chancen der Nutzung digitaler Daten dominiere.

Während man in den Konzernetagen und den untergeordneten Ministerien Digitalisierung vor allem mit den Chancen auf neue Geschäftsfelder und Märkte verbindet, ist der Blick der Lohnabhängigen auf die Veränderungen in der Arbeitswelt im Kontext der Digitalisierung ein völlig anderer. Dies hat der ebenfalls in der vergangenen Woche veröffentlichte „Report 2022 Digitale Transformation der Arbeitswelt“ im Rahmen des „DGB-Index Gute Arbeit“ eindrucksvoll bestätigt. In der repräsentativen Befragung wurde untersucht, wie Beschäftigte die Auswirkungen der Digitalisierungsprozesse auf die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen bewerten. Gerade einmal neun Prozent der 6.700 befragten Kolleginnen und Kollegen nehmen die Digitalisierung der Arbeit als Entlastung wahr. Dagegen sehen sich 40 Prozent durch die Einführung der neuen Technologien stärker belastet.

Dafür werden von den Autoren der Studie verschiedene Gründe angeführt. Hierzu gehört eine stärkere Fremdbestimmung bei der Geschwindigkeit der Arbeitsausführung. Mehr als 40 Prozent der Befragten geben an, dass die Technik ihr Arbeitstempo in sehr hohem Maß (12 Prozent) bzw. in hohem Maß (32 Prozent) diktiert. Und für 50 Prozent der Befragten hat die Digitalisierung der Arbeitsprozesse zur Folge, dass sie eine größere Arbeitsmenge bewältigen müssen.

Die Autoren machen dies am Beispiel der verstärkten Nutzung von Videokonferenzen deutlich. Die Zahl der Besprechungen ist so für die Hälfte der Betroffenen größer geworden. Ehemals besprechungsfreie Zeiten zwischen verschiedenen Terminen fallen dadurch weg. Hinzu kommen weitere Belastungen durch Multitasking. Dies hat ebenfalls für fast jeden Zweiten zugenommen. Entlastungseffekte im Kontext der Digitalisierung hingegen sind die Ausnahme. Zwar berichten knapp 30 Prozent, dass der Digitalisierungsprozess in ihrem Betrieb von Maßnahmen begleitet wird, mit denen die Arbeitsbelastung gesenkt werden soll. Allerdings betrachtet lediglich die Hälfte der Betroffenen die Maßnahmen auch als wirksam.

Auch die Kontrolle und Überwachung der eigenen Arbeitsleistung ist durch den Einsatz der digitalen Technologien für viele Beschäftigte größer geworden. Jeder dritte Befragte sieht die eigene Arbeitsleistung stärker überwacht. Um „gläserne Beschäftigte“ zu vermeiden, wären eigentlich betriebliche Regelungen notwendig. Von solchen Vereinbarungen berichtet allerdings nur jeder fünfte Befragte.
Als einen der wenigen positiven Effekte der neuen Arbeitsformen benennt die Studie, dass die Spielräume für eigene Entscheidungen bei der Arbeit im Kontext der Digitalisierung für ein knappes Viertel der Befragten größer geworden sei. Von den gewachsenen Entscheidungsspielräumen profitieren jedoch besonders häufig Beschäftigte, die schon vorher über große Gestaltungsmöglichkeiten verfügten.

Ein Kernproblem der digitalen Transformation besteht nach Ansicht der Autoren der Studie darin, dass die Beschäftigten selbst in die Veränderungsprozesse zu wenig einbezogen sind. Schon eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, dass direkte Mitwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten am Prozess der Digitalisierung nur schwach ausgeprägt waren. An diesem Befund hat sich auch 2022 wenig geändert. Drei Viertel der Befragten haben keinen Einfluss darauf, wie der eigene Arbeitsplatz durch Digitalisierung verändert wird. Geht es nach der Kapitalseite, wird dies auch so bleiben. Es gilt das Prinzip der „unternehmerischen Freiheit“. Dies zu verändern, bedeutet – auch in der digitalisierten Arbeitswelt – nicht in der Tradition der „Maschinenstürmer“ die Bekämpfung der Produktionsmittel, sondern den Kampf gegen die Produktionsverhältnisse.

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"Digitalisierung könnte so schön sein", UZ vom 16. Dezember 2022



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