Siehe zur Auseinandersetzung mit dem „Transhumanismus“ auch die Beiträge von Helga und Herbert Hörz im neuen Heft der Marxistischen Blätter sowie von Nina Hager in den Marxistischen Blättern 5/2009
Der Schmetterling-Verlag hat jetzt ein Buch des promovierten Philosophen, Germanisten und Musikwissenschaftlers Markus Jansen über „Digitale Herrschaft“ vorgelegt – mit dem äußerst sperrigen, aber viel sagenden Untertitel „Über das Zeitalter der globalen Kontrolle und wie Transhumanismus und Synthetische Biologie das Leben neu definieren“ wollen. Jedoch: Dieses Buch hält leider nicht ganz das, was es verspricht.
Denn Jansen hat seine Arbeit einfach überfrachtet mit einer Unzahl von Befunden und Fakten, so dass mitunter der „rote Faden“ verloren geht. Immer wieder kommt es zu Abschweifungen vom Thema durch zwar interessante weitere Informationen, die aber vom Kern weg- und auch ablenken. Das verlangt dem Leser doch zu viel ab, um den Überblick behalten zu können. Ja, es erschwert die Lektüre ungemein und wohl nicht jeder hält dann auch bis zur letzten Seite durch. Man kann des Guten wirklich zu viel tun, so wie Jansen mit diesem Buch. Dabei verdient das Thema allergrößte Aufmerksamkeit und vor allem Verbreitung. Weniger wäre mehr gewesen. Vielleicht durch die Aufteilung in drei selbstständige Arbeiten, verbunden mit einer Straffung.
Aber ungeachtet dieser Beeinträchtigungen sollten kritische Zeitgenossen sich dennoch der Mühe unterziehen, sich mit den Inhalten dieses Buches vertraut zu machen. Stellt die Vielzahl von Fakten doch gute Argumentationshilfen für Kritiker von Datenkraken und Transhumanismus dar.
In dieser Besprechung soll der Schwerpunkt eben auf Transhumanismus (Kapitel VI) gelegt werden, denn dieses Thema ist in der breiten Öffentlichkeit noch nicht als Gefahr für eine menschenwürdige Gesellschaft erkannt worden.
Transhumanismus: Die Abschaffung des Menschen und des Humanismus
Worum geht es beim Transhumanismus? Jansen bietet dafür folgenden Einstieg: „Waren bis vor kurzem transhumanistische Theorien und Praktiken auf die Entwicklungsstätten meist US-amerikanischer Universitäten oder Militärlabore beschränkt, so greifen jene immer in den Alltag ein. Im Transhumanismus werden religiöse Sehnsüchte, militärische und Überwachungstechniken, eugenische Ideen sowie ökonomische Kalküle zu einem explosiven Gebräu miteinander vermischt.“ (S. 129)
Der Autor stellt auf den folgenden Seiten die wichtigsten Theoretiker des Transhumanismus und deren Kernaussagen vor, insbesondere Ray Kurzweil. Dieser sei wie andere Wortführer eng mit dem US-Militär verbunden. Und es verwundere auch nicht, dass die Propheten des Transhumanismus auf das engste mit Konzernen wie Google verbandelt seien.
Transhumanisten verstehen sich auf PR und wollen ihr Menschen- und Weltbild uns allen schmackhaft machen, in dem sie u. a. Wunderchips oder -Prothesen anpreisen, die angeblich den Menschen von allen Gebrechen heilen bzw. befreien würden. Das hört sich auch hierzulande bei naiven Zeitgenossen überaus wohlfeil an. Doch warum stellt so gut wie niemand die Frage, ob sich alle Menschen auf dem Erdball solche technologischen Fortschrittsprodukte leisten können? Und, ob diese auch für alle gedacht seien … Richtet sich diese Heilsbotschaft nicht doch bloß an die „Auserwählten“, also nur an das „eine Prozent“ und einige Gutgläubige aus der christlich-weißen ominösen Mittelschicht? Dieses cui bono sollte den Apologeten des Transhumanismus immer entgegen gehaltenwerden.
Jansen geht ferner auf Produkte und Techniken, wie Cyborgs, Roboter oder Google Glass ein. Hierzu schreibt er kurz und bündig: „Transhumanistische Technologien gehen nahtlos in totalitäre Überwachungspraktiken über. (…) Sowohl in der Militärtechnologie als auch im Transhumanismus geht es im Kern um die technologische Beherrschung und Kontrolle des Todes, wobei immer nur die anderen sterben sollen.“ (S. 251–255)
Von den „Pilgervätern“ zu den Transhumanisten
Obwohl zu viele Abschweifungen die Lesbarkeit des Buches schmälern, soll eine jedoch lobend hervorgehoben werden: Der Exkurs über „Die Grenzen der Welt“, in dem es um das US-amerikanische Weltbild – ausgehend von der Landung der (calvinistisch-puritanischen) „Pilgerväter“ anno November 1620 im Osten des heutigen US-Bundesstaates Massachusetts geht. Darin heißt es u. a.: „Neben der christlichen Konfessionalität, ihrem sozialen Status als religiös Verfolgte, einem ausgeprägten manichäischen Lagerdenken und einer aggressiven Kampfhaltung in einer als feindlich aufgefassten Welt voller Bedrohungen war es vor allem der Missionierungsgedanke, der den amerikanischen Gründungsmythos prägte. Die
Digitale Herrschaft
Schmetterling-Verlag
Stuttgart 2015
328 Seiten, 16,80 Euro
ISBN 3–978-89657–076-5
Puritaner wähnten sich, gemäß der calvinistischen Ideologie, als das von Gott auserwählte Volk, das dem Rest der Welt, und vor allem den ‚Wilden’, den einzig wahren Glauben an den einzig wahren Gott bringen und das eigene Einflussgebiet immer weiter ausbreiten musste. Die Ideologen des Puritanismus erklärten in ihren Predigten und Traktaten, dass nicht die Gleichheit aller Menschen Ausdruck der göttlichen Ordnung sei, sondern vielmehr die Ungleichheit – was den Auserwähltheitsnimbus der Pilgerväter, man kann auch von Rassismus sprechen, nur noch eindrucksvoller unterstreicht. Die Welt war in den Augen der Puritaner gespalten in ein simplifizierendes ‚Wir’ und ‚die Anderen’, in der eine alttestamentarische ‚Auge um Auge und Zahn um Zahn’-Mentalität zu herrschen hat, um die gestörte göttliche Ordnung in einer verdorbenen Welt wiederherzustellen. Auch dies ist ein bis heute oft wieder abgerufenes Grundmuster des US-amerikanischen Selbstverständnisses.“ (S. 260) – Und es ist auch das Grundmuster des Transhumanismus!
Leider erst spät geht Jansen auf das Verhältnis des Transhumanismus zum Humanismus ein, wenn er schreibt: „Bei oberflächlicher oder vorschneller Betrachtung suggeriert der Begriff Transhumanismus eine innere Verwandtschaft mit dem historischen Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts. Dem ist aber nicht so. Der Transhumanismus basiert gerade nicht auf dem positiven Menschenbild des Humanismus, sondern (…) auf der grundlegend negativen und abgrundtief pessimistischen Anthropologie des Calvinismus bzw. des Puritanismus. (…) Würde und Freiheit, vor allem die des Willens, waren die beiden Schlüsselbegriffe des Renaissance-Humanismus – und damit hatte der Calvinismus nun wirklich nichts gemein.“ (S. 283)
Und was schlussfolgert nun Jansen aus seiner Bestandsaufnahme?
„Im Transhumanismus des 21. Jahrhunderts steht nicht der Mensch im Zentrum der Welt, sondern die Technologie. (…) Welche Würde und welche Freiheit kommt den Menschen zu als Teil der Google-Maschine? (…) Insofern ist Transhumanismus der richtige Begriff für das Bezeichnete, da mit jenem tatsächlich eine Ideologie parat steht, die sich vollkommen jenseits der Würde und Freiheit des Menschen abspielt. Der Transhumanismus ist somit nicht die ethische und logische Weiterführung des Humanismus, sondern eine zivilisatorische Regression, die nicht die Souveränität des Menschen anstrebt, sondern (…) die Unfreiheit verwirklicht. (…) Der Humanismus der Renaissance bzw. der Neuzeit war im Kern selbstbewusste Behauptung gegen eine herrschende Priesterkaste, die sich im Besitz der Deutungshoheit und Lenkungsmacht über eine Menschenherde dünkte.“ (S. 284)
Während der Humanismus für Toleranz stehe und Gewalt gegen Andersdenkende nicht als Handlungsoption ansehe, gelte für den Transhumanismus das Gegenteil. Nicht umsonst würden sich die Oligarchen der großen IT-Konzerne als „Missionare“ verstehen, die die ganze Welt nach ihrem Bilde formen wollten, soll heißen: um ungehindert Maximalprofite scheffeln zu können. Und was deren Verheißungen betrifft, so stellt Jansen einige ganz simple Fragen: „Warum sollte gerade das gebrechliche Produkt eines ineffizienten Programmiervorgangs (der Mensch) in der Lage sein, den perfekten Programm-Code der Evolution zu schreiben? Was haben die digitalen Technologien, von denen man sich das Heil erhofft, konkret zur Lösung all der großen Menschheitsprobleme beigetragen? Wem kommen die ‚Errungenschaften‘ des Transhumanismus und der der damit verbundenen Digitalisierung (…) am meisten zugute?“ (S. 293)
Der Autor weist noch mehrfach darauf hin, dass der Transhumanismus vom Krieg geprägt sei. Und abschließend führt er aus, dass diese Ideologie nicht auf Google allein beschränkt sei, denn sehr viele andere Unternehmen integrierten ebenfalls entsprechende Technologien und Ideologieaspekte, mehr oder weniger subtil, in ihre Produkte und Anwendungen. In diesem globalen Trend sei Google jedoch gegenwärtig die aggressivste und im eigentlichen Sinne vollkommen bewusst- und seelenlose Speerspitze der Bewegung.