Anfang Oktober haben die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder im Öffentlichen Dienst (TV-L) begonnen. Der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Reinhold Hilbers, gibt sich bisher kaum gesprächsbereit und sieht selbst im Gesundheitswesen keinen Handlungsbedarf. Laut Informationen von ver.di soll Hilbers darauf verwiesen haben, dass in der Tarifrunde 2019 bereits Verbesserungen für diesen Bereich vereinbart worden seien. Die Corona-Pandemie sei außerdem eine einmalige Sonderbelastung gewesen, die keine dauerhafte Erhöhung der Löhne rechtfertige.
UZ: Wie bewertest du die Positionierung des TdL-Verhandlungsführers?
Florian Blume: Überraschend ist die Blockadehaltung von Verhandlungsführungen nicht, sie stehen ja immerhin auf der anderen Seite. Es ist aber schon auffällig, dass der Kampf von oben immer erbitterter geführt wird. Die Argumentationen ähneln sich dabei. In der Metall- und Elektrotarifrunde dieses Jahr wurde von Kapitalseite behauptet, dass es nichts zu verteilen gebe, und deshalb könnten keine höheren Löhne gefordert werden. Dabei haben die Metallgroßkonzerne während der „Coronakrise“ immense Gewinne eingefahren, wobei diese durch Staatshilfen finanziert wurden.
Das zeigt, wie fadenscheinig die Argumentation ist: Für Großkonzerne wird die Krise als Vorwand für ein Umverteilen von Steuergeldern genutzt, gegenüber den Beschäftigten aber werden Gehaltsforderungen mit Verweis auf selbige abgeschmettert. Dabei gibt es genügend Möglichkeiten, höhere Löhne im öffentlichen Dienst zu finanzieren. Circa 10 Milliarden Euro gehen jedes Jahr durch Steuerflucht verloren, die Bundeswehr bekommt Jahr für Jahr mehr Geld, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Vor allem aber sind Milliardäre in der Corona-Pandemie noch reicher geworden, sie besitzen noch mehr Kapital.
Geld ist an den falschen Stellen mehr als genug vorhanden, dort ist es für die Gesellschaft verloren. Übrigens: Wir fordern 5 Prozent mehr Lohn. Das ist in Anbetracht der Inflation von 2021 nicht wirklich viel. Trotzdem fordert die Gegenseite eine Nullrunde für die Beschäftigten. Nicht nur das: Über die sogenannten Arbeitsvorgänge sollen die Löhne sogar gedrückt werden. Dieser Begriff bezeichnet die Eingruppierung in Lohngruppen, welche zum Nachteil der Beschäftigten überarbeitet werden soll.
UZ: Glaubst du, dass sich Hilbers mit dieser Provokation durchsetzen könnte, obwohl sich eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung einig darin ist, dass die Löhne im Gesundheits- und Pflegebereich massiv erhöht und das Personal entlastet werden muss?
Florian Blume: Entlastungen und Lohnerhöhungen für die Angestellten sind absolut notwendig. Beide Bereiche sind ja völlig unterfinanziert. Die Frage, ob sich Hilbers durchsetzen kann, hängt vom Kräfteverhältnis ab. Unsere Forderungen müssen mit Streiks und Demos erkämpft werden. Bei Vivantes und Charité Berlin haben die Beschäftigten aber schon einen Erfolg mit ihrem Durchhaltevermögen erreicht: Es konnte die Zustimmung der Klinikführungen zu einem Eckpunktepapier erreicht werden.
UZ: Auch fernab des Gesundheitsbereichs haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes diesen während der Corona-Pandemie am Laufen gehalten. Ist es nicht endlich an der Zeit, das auch durch höhere Gehaltszahlungen wertzuschätzen?
Florian Blume: Klar, Gehaltserhöhungen sind auch in allen anderen Bereichen längst überfällig. Die Angestellten im TV-L haben ja die Kliniken, Hochschulen und viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens während Corona am Laufen gehalten, angemessene Gehälter haben sie aber auch vorher schon nicht erhalten.
UZ: Einen besonderen Knackpunkt bei den Verhandlungen dürfte die schlechte Situation von studentischen Beschäftigten darstellen. Diese fordern einen Tarifvertrag, den TV Stud. Berlin ist bislang das einzige Bundesland, in dem es einen TV Stud gibt. Abgeschlossen wurde der zu der Zeit, als Berlin nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder war. Die TdL droht Mitgliedern, die einen solchen Tarifvertrag abschließen wollen, mit dem Ausschluss aus der Tarifgemeinschaft. Was hätte das konkret für Folgen, würde es dazu kommen?
Florian Blume: Das hätte zur Folge, dass der TV-L in dem ausgeschlossenen Bundesland nicht mehr für neu eingestellte Beschäftigte gilt und die bereits im TV-L-Beschäftigten in der Nachwirkung sind. Dementsprechend ist das ein ganz klarer Erpressungsversuch von Seiten der TdL gegenüber den Gewerkschaften, um die Beschäftigten in studentische und nicht-studentische Beschäftigte zu spalten. Die Verhandlungen um einen TV Stud sollen so auf jeden Fall unterbunden werden.
UZ: Ihr haltet trotzdem an der Forderung nach einem bundesweiten TV Stud fest?
Florian Blume: Wichtig ist vor allem, dass sich die studentischen Beschäftigten trotzdem gemeinsam mit den anderen Hochschulbeschäftigten organisieren und Druck aufbauen, um den Angriff der TdL abzuwehren. Ob der TV Stud in den anderen Bundesländern verhandelt wird, hängt davon ab, ob sich die Gewerkschaften und Beschäftigten davon unter Druck setzen lassen oder die Wut über den Erpressungsversuch der TdL in eine klare Kampf- und Streikbereitschaft umwandeln.
UZ: ver.di fordert 5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 150 Euro, für die Beschäftigten im Gesundheitswesen mindestens 300 Euro. Auch die Azubi-Vergütungen sollen um 100 Euro steigen. Geht es euch maßgeblich um mehr Lohn oder auch um andere Verbesserungen, beispielsweise in Bezug auf anhaltende Befristungen oder eine mögliche berufliche Weiterentwicklung und entsprechende Zukunftschancen?
Florian Blume: In dieser Tarifrunde kämpfen wir vor allem für Gehälter im TV-L. Im Austausch mit Post-Doktoranden-Kolleginnen und -Kollegen merkt man aber, dass die Befristung ein drängendes Thema ist. Es gibt ja in Berlin das neue Berliner Hochschulgesetz (BerlHG), in dem festgehalten wird, dass promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern eine unbefristete Stelle angeboten werden muss. Die Hochschulleitungen laufen gerade dagegen Sturm. Sie haben angekündigt, keine neuen Post-Docs einzustellen, weil die Finanzierung nicht geklärt ist. Aber anstatt mehr Geld zur Finanzierung der Stellen zu fordern, beklagen sie, dass das neue Gesetz den Wissenschaftsstandort Berlin gefährde. Die richtige Umsetzung des Gesetzes müssen wir also schon selber einfordern.
UZ: Die Verhandlungen sollen am 1. und 2. November in Potsdam fortgesetzt werden. Was muss jetzt unternommen werden, um den Druck auf die TdL-Verhandlungsführer zu erhöhen?
Florian Blume: Die ver.di-Aktiven haben ja einiges unternommen, um die Beschäftigten im TV-L zum Kämpfen zu ermutigen. Wir haben zum Beispiel Hilfestellungen für Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen erhalten. Leider ist der Organisationsgrad an den Hochschulen deutlich schlechter als zum Beispiel im Gesundheitswesen. Das wichtigste ist jetzt, die Gewerkschaften zu stärken und gemeinsam Druck aufzubauen. Auch die Solidarität anderer Gewerkschaften würde uns helfen. Schlechte Tarifabschlüsse wirken sich schließlich auch auf andere Lohnkämpfe aus.