Auf Zingerls Briefbögen wie in vielen seiner Bücher begegnen wir einem Selbstporträt mit als Lanze geführter Zeichenfeder: eine Waffe gegen all das, was ihn bedrängt, was uns bedrängt. Eine andere Selbstdarstellung des Malers und Zeichners, 1977 entstanden, begleitet den Aufsatz „Zwerge und Riesen“, mit dem Werner Marschall seinen Redaktionskollegen aus Anlass des 50. Geburtstag in „tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst“ (Heft 141/1983) würdigte. Auf dieser Zeichnung ruht Zingerl in den Armen eines Proleten – und bringt ihn zum Lachen, indem ihr ihn mit seiner Feder im Ohr kitzelt. Mit solchem Selbstverständnis ging Zingerl die Karikaturen an, mit denen er – von 1968 bis 1989 Mitglied des DKP-Parteivorstands – die damalige Tageszeitung UZ bereicherte.
Es war und ist ein Lachen, das weniger dem Bewusstsein und dem Vertrauen auf die eigene Kraft als der satirischen „Kenntlichmachung“ des Kapitals sowie seiner Stützen Militär, Justiz, Massenmedien und Kirche entspringt. So hässlich, aber auch so mächtig sind sie, lautet die Botschaft – dagegen müssen wir uns wehren! Gemeinsam seid ihr, sind wir stark! Und stärker als sie, wenn die Quantität in Qualität umschlägt, wie Zingerls Zeichnung zu Robert Steigerwalds „Einführung in die marxistische Philosophie für die Jugend“ (von 1979) veranschaulicht.
Aber von Anfang wurzelt dieser „historische“ Optimismus des kommunistischen Realisten Zingerl weit mehr in der Gewissheit, für die richtige, die gerechte Sache zu stehen, in der Erwartung einer besseren Zukunft als in realen eigenen und Klassen-Erfahrungen. Ja, der KZ-Häftling auf Zingerls Gemälde „Der aufrechte Gang“ von 1982 (abgebildet auf der Titelseite des erwähnten tendenzen-Hefts) überragt in jeglicher Hinsicht bei weitem die gedrungenen, fast gesichtslosen Figuren in brauner und SS-Uniform, die an ihm zerren, und bewegt sich nach vorn – aber er ist, zunächst, doch auch ein in jeglicher Hinsicht Geschlagener, wie die Blutspuren auf seiner Häftlingskleidung bezeugen.
„Schönes“, Freundliches findet sich schon in den Arbeiten aus den 70er Jahren fast ausschließlich in den Landschaftsbildern. Die Natur ist für den Bergfexen Zingerl – inzwischen fordert freilich das Alter seinen Tribut – Flucht- und Zufluchtsort. Doch auch der Landschafter kann nicht die tragische Geschichte vergessen, die sich in der schönen Landschaft abgespielt hat – davon zeugt das Gemälde „Große Amperlandschaft“ von 1985. Das Straßenschild „Dachau 16 km“ und die ermordeten Häftlinge, die wie Steine den Straßenrand säumen, erinnern an das nahe KZ und die Todesmärsche von 1945, die um Zingerls heutigen Wohnort Fürstenfeldbruck keinen Bogen machten.
Und Zingerl kann und will weniger denn je das zerstörerische Vordringen der Profitwirtschaft in die Natur übersehen. 2002 ist die Tuschezeichnung „Vergebliche Flucht“ entstanden, die der Freund Werner Dreher, der seit vielen Jahren die Arbeit des Künstlers mit seinen einfühlsamen Texten begleitet, so beschreibt:
„Ein Mensch, nackt und weiß … hat versucht, sich in einen letzten Flecken unberührter, blühender und sprossender Natur zu retten. Dieses Refugium zeigt sich bereits auf die untere rechte Ecke der Zeichnung beschränkt. Links unten schiebt sich schon der Tross der Erdausbeuter und Naturzerstörer in Szene. Mehrspurige Straßenzüge, die ins Nichts führen, bilden die einzige Option für Flüchtlingsströme, die sich im unbewohnten Teil der Erde formieren. Zu tief haben die Zahnräder der globalen Industriekonzerne die Erdschichten zerwühlt. Wie die riesige Pranke eines Meeresungeheuers brechen pechschwarze Fluten des verseuchten Ozeans über die Erde herein. Ein Tentakel des nimmersatten Ungeheuers erstreckt sich über Arm und Nacken der großen weißen Gestalt und vereitelt deren Fluchtversuch.“
Und doch: Auch nach unserer tiefen Niederlage von 1989/90, die Zingerl, wie so viele Genossen, veranlasst hat, die DKP zu verlassen, bleibt da – „trotz alledem und alledem“ – auch bei ihm der „winzige Stein der Hoffnung“, von dem er in einem Gedicht aus dem Jahre 1995 spricht:
Ich stehe vor meiner Staffelei
100 mal 120, Höhe vor Breite
ordentlich weiß grundiert
Um mich herum Farben auf einem Tisch
5 mal 5 mal 5 Kubikmeter Raum
1 Fenster im elfenbeinernen Turm
Ich suche ein Gleichnis von dieser Welt
das Abbild des Schreckens
den Alptraum der Wirklichkeit
Und inmitten dieser 9 Kreise der Hölle
der Lügen und Verfluchungen
suche ich
den winzigen Stein der Hoffnung
Verzweifle und verstumme zugleich
Will mich einschließen vor dieser Welt
Und reiß doch die Tür auf
Lasse die Welt ein
Lasse die Tür auf
Und bin schon verstrickt
in Gut und Böse
in Tun und Nichtstun
in Gelingen und Versagen
Und male das Bild auf den weißen Grund
Und spüre
den winzigen Stein der Hoffnung
Am 19. Januar 1933 wurde Guido Zingerl als Heinrich Scholz in Regensburg geboren. 1960 „schaffte er“, wie er in einer ironischen Notiz vermerkt, „aus eigener Kraft den Abstieg nach unten“ – vom hoffnungsvollen Diplomingenieur und finanziell abgesicherten Feuerwehrtechniker zum „freien“ Maler und Grafiker in prekären Verhältnissen. Dass er die durchstehen konnte, ist seiner Frau Ingrid zu verdanken, die er 1958 an der Münchner Uni kennen und lieben gelernt hat. Ihr sind fast alle Bilder-Bücher Zingerls gewidmet.
In ihrem Geleitwort zu dem Band, der 2013 zu Zingerls 80stem erschien, schrieb Ingrid: „Unser Kampf ist ein anderer geworden. Gemeinsam nun gegen das Monster Alter. Manchmal für kurze Zeit verdrängt durch die großen Fugen von Bach, Beethovens Sonaten. Das große, kleine Glück im schattigen Garten am plätschernden Teich.“
Unser Gruß zu Zingerls 90stem gilt deshalb auch dir, liebe Ingrid! Bewahrt gemeinsam, gemeinsam auch mit uns, den „winzigen Stein der Hoffnung“. Wissen wir doch: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine/Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“
Ein Gruß von Stefan Siegert
Wir haben lang nichts voneinander gehört, lieber Zingerl, wir sind ohne einander älter und alt geworden. Aber gesehen hab ich von Dir. Du bist Dir treu geblieben, nicht nur der Fahnenfarbe nach. Du bist, vom Wolpertinger getrieben, der Unverwechselbare geblieben, das in Gold klecksende, in Silber malende, schwarzwolkige, tief im grünenden Volkstum ackernde Original der fruchtbaren Gegend Deiner Heimat. Unser Marxismus-Alpinismus ist nicht vergessen, Hammer und Pickel im Wappen. Ich hatte zu viel Höhenangst damals, Dein Seil hat nicht geholfen, Du erinnerst Dich. Ich freue mich, dass ich heute Gelegenheit habe, Dich herzlich zu grüßen und zu beglückwünschen, sei umarmt vom Nordlicht und Kunstgenossen
Steffl
Weitere Texte zu und Arbeiten von Guido Zingerl gibt es hier.