Der italienische Dichter Petrarca meinte im 14. Jahrhundert, dass Klarheit der beste Beweis für Geist und Wissen sei. In einer Debatte zum Thema „Werte, Ethik, Interessen – Außenpolitisches Handeln in der Zeitenwende“ wies die derzeit Verantwortliche für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland während des Evangelischen Kirchentags abermals nach, dass Klarheit ihre Sache nicht ist. „Wie mache ich den Status Quo, die wirkliche Realität, besser?“, will und dürfte sie sich angesichts ihrer Unkenntnis der Hegelschen Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit tatsächlich gefragt haben. Für Hegel war Realität nämlich einfach nur da – Wirklichkeit ist dagegen vernünftig, weil sie aktiv ist, indem sie wirkt. Wie das Wort schon sagt.
Ob „dpa“ durch ungeschöntes Zitieren einfach sagen will, dass man Frau Baerbock nicht mehr zu schützen bereit ist oder ob die Presseagentur auch etwas über ihr eigenes Sprachniveau veröffentlichen wollte, ist unklar. Jedenfalls gönnte „dpa“ Baerbock ein paar Zeilen für Krokodilstränen und das, was Menschen aus Entscheidungsebenen immer sagen, wenn ihnen persönlich wichtig ist, sich über frustrierende Zwangslagen (um nicht zu sagen: „wirkliche Realpolitik“) moralisch zu erheben: „Für mich sicherlich einer der schwersten politischen Tage, diese Abwägung zu treffen.“ Abwägungen treffen und politische Tage haben – die Außenministerin mit diesem Satz zu zitieren grenzt durchaus an Verunglimpfung.
Seit jeher erlaubt ist es, Menschen durch Krieg, Ausbeutung, Diebstahl von Ressourcen und Zwangsmaßnahmen zur Flucht zu zwingen. Nach dem Willen der EU-Innenminister, die wie die Deutsche Nancy Faeser die für die Flüchtenden schlechteste Variante als einen „historischen Kompromiss“ feiern, wird es nun zudem möglich, auch Kinder drei Monate in bewachten Unterkünften an den EU-Außengrenzen festzuhalten. Und Asylbeantragung und -verfahren sollen sich gegen geltendes Recht nach Asylwahrscheinlichkeit richten. Wie Baerbock hält Faeser es für eine erfolgreiche Verhandlung, dass alle EU-Staaten zur Aufnahme von Geflüchteten angehalten sind – wenn sie sich nicht mit 20.000 Euro pro Person davon freikaufen.
Geld auszugeben, um Menschen nicht zu besitzen, ist eine erfolgreiche Umkehrung des Sklavenhaltertums. Die Europäische Union geht vielversprechend in ihr letztes Jahrzehnt.