Die Wippe auf der Kippe

Kolumne von Guntram Hasselkamp

„Ausgeschaukelt“, (FAZ). Die „Einheitswippe“ auf dem Berliner Schlossplatz ist beerdigt. Wie schade. Der Versuch eines Nachrufs:

Jeder Staat bastelt so gut er kann, ob in voller Absicht oder ob, infolge der subversiven Wirklichkeit eher unbewusst, an seiner Symbolik. Imperiale Staaten verfolgen dieses Anliegen mit besonderem Interesse. Mit dem Entstehen der Klassengesellschaften entsteht auch die Herrschaftsarchitektur. Ob Ägypten, Athen, Rom, London, Paris oder Washington, die alten Imponier- und Protzbauten erfreuen sich beim andachtseifrigen Kleinbürgertum größter Beliebtheit. Und natürlich hatte sich die deutsche Elite vorgenommen, damals, als es ihr möglich schien, das alles weit in den Schatten zu stellen: „Germania – die Hauptstadt der Welt“ hätte die Pilgerscharen vermutlich angezogen wie der Kuhfladen die Schmeißfliegen.

Nun hat allerdings die Rote Armee, nein, korrekt die Antihitlerkoalition, diesem ambitionierten Bauvorhaben die Geschäftsgrundlage entzogen. Danach blieb nur der Rückeroberungsanspruch. Er hieß Bonn. Ein Provisorium.

Nun aber steht das, was als vermeintlich zusammengehörig zusammengewachsen ist, noch immer ohne baulichen Ausdruck da. Nicht ganz. Geklappt hat es mit dem Abriss des Palastes und mit dem Stelenfeld. Der Abriss war Ehrensache. Das Stelenfeld war gewissermaßen die Antwort auf die Vorbehalte von Maggie Thatcher und François Mitterrand. Es demonstriert die neue deutsche Großerzählung: Faschismus, das war Hitler, und Hitler wollte die Juden ermorden. Da war zwar noch mehr, aber darum geht es nicht. Auschwitz war ein unerklärbares Menschheitsverbrechen. Wir befreien uns davon, indem wir uns dazu bekennen. Hitler, das sind nicht wir, sondern je nach Bedarf Saddam, Gaddafi, Miloševic oder Putin. Das Stelenfeld war das Eintrittsbillett für den Club der Guten, der Global Player.

Nun hat es dank Guido Knopp & Co. recht ordentlich mit der Vergangenheitsentsorgung geklappt. Was aber ist mit der Zukunftsperspektive? Hell, licht und klar wie der junge Morgen? Nicht so ganz. Das Symbol für Größe, Zukunft und für Weltoffenheit heißt heute Flughafen. Also BER.

Nun, beim BER ist vor allem der subversive Maulwurf Realität am Werk. Das Bauwerk ist vor allem ein Mahnmal für den Kompetenzverlust des unter die neoliberalen Räuber gefallenen „schlanken Staates“. Großprojekte, siehe „Elbphilharmonie“, scheinen nur noch zu funktionieren, wenn die beteiligten Großunternehmen den 10-fachen Ansatz kassieren können.

Und jetzt die Imitation des Stadtschlosses plus davorliegender „Einheitswippe“. Eine bestechende Idee. Aber wer braucht so etwas? Nun gut, mit dem Preußen-Disney kann man die Kommunisten der Kulturbarbarei anklagen und die imperialen Ambitionen des neuen-alten Deutschland tiefstapeln; aber mit der „Einheitswippe“? An die „friedliche Revolution“ erinnern? (Die ja nur deswegen friedlich war, weil „die Kommunisten“, im Unterschied zu allen anderen, ihre Kalaschnikows, als sie sie noch hatten, im Schrank gelassen haben.) Die Wippe bleibt beim Anblick von Pegida, AfD und brennenden Flüchtlingsunterkünften ein Unterfangen von recht zweifelhafter Dialektik. Wie es aussieht waren da die Fledermäuse dann doch wichtiger.

Nein, es ist schade um die „Wippe“. Zu dem albernen Preußen-Pop passt eine ebenso lächerliche „Salatschüssel“ hervorragend. Und einen besseren Platz als den alten Denkmalsockel hätte man gar nicht finden können. So bleibt zu fürchten, landet dort am Ende, wie, dank Herrn Scharping, auf dem deutschesten aller Ecken, in Koblenz, der „alte Esel Wilhelm“ (Engels) wieder auf seinem Gaul. Am Sedanstag, wann sonst?

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"Die Wippe auf der Kippe", UZ vom 22. April 2016



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