Gespräch mit dem Historiker Florian Grams über Eric Hobsbawm

Die Welt ist veränderbar

Der Historiker Florian Grams referiert am 1. November ab 18.30 Uhr im Holbornschen Haus, Rote Straße 34 in Göttingen, im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung von Marx-Engels-Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen zum britischen Historiker Eric Hobsbawm.

UZ: Eric Hobsbawm ist 2012 gestorben. Wieso lohnt die Beschäftigung mit seinem Werk noch heute?

Florian Grams: Hobsbawm gehörte als Marxist zu den wenigen Historikern, die sich darum bemühten, Geschichte als Ergebnis der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse darzustellen und auf diese Weise die Klassenkämpfe der jeweiligen Epochen in den Blick zu nehmen. So ist es ihm immer wieder gelungen, die Geschichte aus der Perspektive der arbeitenden Menschen wiederzugeben und sichtbar zu machen, dass die Welt veränderbar ist. Geschichte, die in ihrer Entwicklung greifbar ist, kann als Beispiel für die eigene Aneignung der Welt dienen. Hobsbawm hat sich den von ihm untersuchten Epochen stets so genähert, dass die Widersprüche der Zeit als Konflikte fassbar wurden, die uns in vielen Fällen auch heute noch umtreiben. Das macht Hobsbawm und sein Werk auch heute noch wertvoll.

UZ: Durch sein Buch „Zeitalter der Extreme“ ist Hobsbawm weltberühmt geworden. In Deutschland ist er der breiten Öffentlichkeit zuletzt aufgefallen durch ein „Stern“-Interview, in dem er 2009 vor einem Weltkrieg zwischen den USA und China warnte und düster prophezeite: „Es wird Blut fließen, viel Blut.“ Was befähigte ihn zu solcher – leider zunehmend aktuellen – Prognosekraft?

Florian Grams: Der Kabarettist Dietrich Kittner hat vor etlichen Jahren ein Programm über den Dichter Erich Weinert gemacht und ihm hinsichtlich einiger seiner Texte gleichsam hellseherische Fähigkeiten attestiert. Im nächsten Satz führte Kittner jedoch aus, dass Weinert solcher Fähigkeiten nicht bedurfte, weil er über marxistische Analysekriterien verfügte. Gleiches galt auch für Hobsbawm. Dadurch, dass er seinen wissenschaftlichen Blick auf die globalen Kräfteverhältnisse im 19. und 20. Jahrhundert gelenkt hatte, gewann er einen Einblick in die Konflikte, die sich aus Herrschafts- und Gewaltverhältnissen ergeben. Die Geschichte des Kapitalismus ist voller Gewalt.

UZ: Stand für Hobsbawm bei seinem Tod Sozialismus noch auf der Tagesordnung oder hatte er resigniert?

Florian Grams: In einem Interview aus den 1990erJahren ließ Hobs­bawm seine Biografie Revue passieren und stellte fest, dass wohl der Sozialismus, für den er in seiner Jugend gekämpft hat, nicht realisiert werden wird. Er bestand aber bis zu seinem Lebensende darauf, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit weiterhin notwendig zu führen ist. In diesem Sinne hielt er an anderer Stelle fest, dass er nicht mehr an die Weltrevolution glaube, aber man solle ihm nicht nachsagen, er glaube nicht mehr an die Befreiung der Menschheit. Als Historiker wusste Hobsbawm wohl, dass der Sozialismus – in Europa – gerade nicht auf der Tagesordnung steht. Als Marxist und als Mensch, der sich bis zu seinem Tod als lebenslangen Kommunisten begriffen hatte, blieb ihm die klassenlose Gesellschaft erstrebenswertes Ziel. Resigniert hatte Hobsbawm ganz bestimmt nicht.

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"Die Welt ist veränderbar", UZ vom 21. Oktober 2022



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