Referat der 3. Tagung des Parteivorstands

Die Welt entwickelt sich – Deutschland im Rückwärtsgang

Am vergangenen Wochenende fand die 3. Tagung des Parteivorstands der DKP statt. Wir dokumentieren an dieser Stelle – redaktionell gekürzt und bearbeitet – das dort vom Parteivorsitzenden Patrik Köbele gehaltene Referat.

Im „Binnenverhältnis“ des Imperialismus gibt es Faktoren, die für eine äußerst komplizierte Entwicklung der EU und der BRD sprechen. Die derzeitige Strategie der führenden Fraktion des deutschen Monopolkapitals setzt darauf, mit aller Kraft die Vormacht in der EU zu erhalten und sich mit der EU gleichzeitig dem hegemonialen US-Imperialismus und seiner Strategie gegen Russland und China im Wesentlichen bewusst unterzuordnen.

Daraus folgt die Kriegsgefahr, die größer ist als jemals in der Geschichte der BRD, und daraus folgt die enorme Zunahme der Angriffe auf die sozialen Rechte der Werktätigen. Beides verlangt nach Ruhe an der Heimatfront, daraus folgen Spaltungspolitik und Repression für viele und Bestechung nur noch für kleinste Gruppen.

Globale Widersprüche

Was kann global die Alternative sein in einer Etappe, in der noch über längere Zeit Imperialismus, Kapitalismus, Antiimperialismus und sozialistischer Aufbau koexistieren werden? Es gibt hier keine Alternative zu den Vereinten Nationen. Allerdings müssen die Versuche zurückgedrängt werden, die UN im Interesse des Imperialismus zu instrumentalisieren. Vor allem der UN-Sicherheitsrat bedarf dringend einer Reform, da er mit seinen Ständigen Mitgliedern die Vorherrschaft des Imperialismus und der NATO reproduziert und der Globale Süden ausgeschlossen ist.

Der UN liegen derzeit Aufnahmeanträge von Indien, Brasilien, Deutschland und Japan als Ständige Mitglieder des Sicherheitsrats vor. Es ist völlig klar, dass eine Aufnahme von Deutschland oder Japan die ungerechten und gefährlichen Verhältnisse nur reproduzieren beziehungsweise verschärfen würde. Es ist eindeutig, dass der Weg, der auch von BRICS unterstützt wird, nämlich die Kandidatur von Indien und Brasilien zu unterstützen und zusätzlich Südafrika als Ständiges Mitglied in die Diskussion zu bringen, ein Weg ist, der im Interesse der Menschheit liegt.

Die Frage der Existenz neokolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung wird heute von kommunistischen Parteien unterschiedlich beantwortet. Wir gehen in dieser Hinsicht davon aus, dass – wie viele Beispiele aus Süd- und Mittelamerika, aus Afrika und dem Nahen Osten zeigen – Neokolonialismus im globalen Maßstab nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Hegemonie des Imperialismus spielt.

Die Machtübernahme der Militärs in Niger zum Beispiel wird von unabhängigen Beobachtern meist als von großen Teilen der Bevölkerung getragen beschrieben, während imperialistische Regierungen und Medien sie – im Unterschied zum Maidan-Putsch – scharf verurteilen. Es geht bei der Beurteilung also ganz offensichtlich um die Frage „Wer – wen?“.

Kompromiss oder Kampf?

Nur eine knappe Mehrheit der abstimmenden Kolleginnen und Kollegen bei der EVG hat dem Tarifabschluss zugestimmt. Natürlich ist es verständlich, wenn in gewerkschaftlichen Satzungen in der Regel wesentlich mehr als 50 Prozent der Abstimmenden gefordert werden, um einen Arbeitskampf, einen Streik fortzusetzen. Trotzdem ist dieses Abstimmungsergebnis schon so etwas wie eine Ohrfeige. Das verwundert nicht, unterscheidet sich doch die Schlichtung nicht sehr stark vom letzten Angebot der Bahn. Allerdings nahm der mediale Druck zu – über neue Angriffe auf das Streikrecht wurde vom Kapital und seinen Medien wieder öffentlich diskutiert. Man darf davon ausgehen, dass die regierende Sozialdemokratie ihren Einfluss geltend machte und darauf hinwies, dass in Zeiten von Kriegen die Unruhe an der Heimatfront ihre Grenzen habe. Bilanzieren wir die bisherigen Tarifrunden bei der Post, der Bahn und in Teilen des öffentlichen Dienstes, dann muss man unter dem Strich leider sagen, dass die Gewerkschaftsbewegung den Angriffen der Herrschenden, der laufenden Massenverarmung, unzureichend entgegengetreten ist. Das wird im Moment bei vielen noch durch die aus Kapitalsicht nicht unkluge Maßnahme des Inflationsausgleichs abgefedert. Aber: Die Verarmung wird in unserem Land in den nächsten Jahren eine neue Qualität annehmen – Teile der Arbeiterklasse, auch Teile der Mittelschichten und vor allem viele Rentnerinnen und Rentner, die heute nicht damit rechnen, betroffen zu sein, wird es massiv treffen.

Die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung scheint immer noch davon auszugehen, dass ein angeblicher Klassenkompromiss weitergeführt wird – dies belegt auch der gerade zu Ende gegangene ver.di-Bundeskongress. Dieser angebliche Klassenkompromiss ist aber spätestens mit der Scholzschen „Zeitenwende“-Rede beendet – er würde auch gar nicht mehr funktionieren. Schuldenbremse, Hochrüstung, Inflation und das 2-Prozent-Ziel machen ihn unmöglich. Lühr Henken hat in der letzten „Zeitung gegen den Krieg“ vorgerechnet, dass die Prognosen zur Entwicklung des BIP und der Verbrauch der Mittel aus den 100-Milliarden-Sonderschulden im Zusammenspiel mit dem 2-Prozent-Ziel einen Rüstungshaushalt von über 100 Milliarden Euro ergeben werden, der dann in den Jahren 2026 und 2027 vollständig haushaltsrelevant wird. Da sind die drastischen Kürzungen, die wir bei den diesjährigen Haushaltsberatungen bei Jugend, Gesundheit und Bildung erlebten, noch ein Vorspiel. In Kombination mit der Lauterbachschen „Gesundheitsreform“ wird die flächendeckende Versorgung mit Krankenhausleistungen zerschlagen.

Reaktionärer Staatsumbau

Wenn wir über „reaktionären Staatsumbau“ reden, dann geht es natürlich, neben der Intensivierung der Repression und – siehe die aktuellen Bundeswehrkampagnen – zunehmender Militarisierung und der Rolle von Medien und Ideologie auch um die Rolle der Politik und den Aufschwung der nationalistisch-rassistischen AfD. Wir haben mehrfach festgehalten und bleiben dabei: Der Aufschwung solcher Kräfte ist Erscheinung, aber nicht Wesen der reaktionären Entwicklung.

Ähnlich wie in Italien und anderen Ländern Europas erleben wir einen rapiden Verlust der Bindungsfähigkeit der etablierten Parteien. In der politischen Berichterstattung ist zuweilen die Rede von Auflösungserscheinungen des bisherigen Parteiensystems. Diese Lücke füllt die AfD mit ihrer sozialen und nationalen Demagogie. Darauf hat Ursula Engelen-Kefer vom Sozialverband Deutschland (SoVD) hingewiesen: „In Umfragen bestätigen viele, dass sie die AfD hauptsächlich wählen, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Es wurden politische Versprechen gemacht, die nicht gehalten werden. Viele haben Sorge, nicht mehr gesehen und ausgegrenzt zu werden.“

Gebraucht wird die AfD von der herrschenden Klasse, um zu verhindern, dass der Widerstand gegen Kriegs- und Kahlschlagpolitik von Ampel und CDU nach links geht, gar grundsätzlich, also antikapitalistisch wird.

Dies gelingt, weil sich die Partei „Die Linke“ (PDL) ins linksliberale Milieu verabschiedet hat. Und es gelingt, weil unsere Partei – noch – zu klein ist und – noch – zu wenig versteht, das zu sein, was man eine linke „Kümmererpartei“ nennt – eine Partei, die aufgreift, was die Menschen bewegt und mit ihnen gemeinsam Widerstand organisiert.

Die aktuelle politische Lage hierzulande ist für die herrschende Klasse recht komfortabel: Die ehemals linke Alternative PDL konnte ins politische System integriert werden und das Protestpotenzial wird durch die Scheinalternative AfD systemstabilisierend absorbiert.

Das Hauptmittel der AfD ist dabei soziale und Friedensdemagogie in Verbindung mit Rassismus und Nationalismus. Hier gibt es durchaus eine ideologische Problematik, die wir beachten müssen.

Eine an den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung orientierte Politik ist eine Politik des Friedens, der Abrüstung, der internationalen Entwicklung, der Absage an internationale Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, des gleichberechtigten Umgangs der Nationen und der Diplomatie sowie des allen Völkern zugebilligten Rechts, über den Weg ihrer Nationen selbstbestimmt entscheiden zu können – ohne äußere Einmischung. Solch eine Politik muss man fordern und sich zugleich darüber im Klaren sein, dass ihre Umsetzung in einem hoch entwickelten imperialistischen Land so lange eine Illusion ist, wie die Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen nichtmonopolistischen Schichten nicht in der Lage ist, das Monopolkapital in Schach zu halten.

Widersprüchliche Interessen

Wir müssen beachten, dass unter den Bedingungen des Kapitalismus die Nation immer eine in Klassen gespaltene ist, dass das Deutschland der Monopole ein anderes ist als das der Werktätigen. Dem Monopolkapital gelingt es in dieser Hinsicht besonders gut, seine Interessen als die Interessen aller auszugeben, da es eine gemeinsame Basis gibt – es gibt übereinstimmende Bezugspunkte, etwa in der gemeinsamen Sprache oder der Kultur. In den aktuellen Auseinandersetzungen stellt sich die Frage der Nation vor allem in der internationalen Auseinandersetzung. Die Vertreter des Monopolkapitals in Regierung und Opposition fahren eine rigorose Strategie zur Herrschaftssicherung des imperialistischen Systems. Dazu ordnen sie sich teilweise den Interessen des US-Monopolkapitals unter. Dies vor allem, weil sie im Anlauf zur Erringung einer größeren Weltmachtrolle des deutschen Imperialismus, der verstärkt in der Krise 2008 und den Folgejahren begonnen wurde, vorerst einen Rückschlag hinnehmen mussten. Strategisch arbeitet das Monopolkapital auf drei Feldern, um den USA die Vormachtrolle streitig zu machen: Aufrüstung Deutschlands zur eigenständigen Kriegsfähigkeit, Energiesouveränität – also Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern – und digitale Souveränität – also Eigenständigkeit hinsichtlich der modernsten Produktivkräfte. Ein zentrales Mittel dazu ist die deutsche Vorherrschaft in der EU. Die Kosten werden auf alle nichtmonopolistischen Klassen und Schichten abgewälzt, die Herrschaft mittels der geschlossenen Heimatfront und des reaktionären Staatsumbaus gesichert. Dieser vorherrschenden Linie des Monopolkapitals folgend, werden „deutsche Interessen“ nunmehr nicht mehr nur am Hindukusch verteidigt, sondern auch in der Ukraine und weltweit.

In der Position, Deutschland müsse für Frieden in der Ukraine und den Ausgleich mit Russland und China eintreten und sich unabhängig von den USA machen, überschneiden sich die Interessen mehrerer Klassen und Schichten.

Teile des Monopolkapitals bangen um ihre guten Geschäfte vor allem in China. Ein anderer Teil steht für eine andere Konzeption der deutschen Vorherrschaft in Europa. Dieser findet sich in der AfD.

Das nichtmonopolistische Kapital sieht sich der Abwälzung der Lasten gegenüber und der Einschränkung der eigenen Möglichkeiten, Kapitalakkumulation zu betreiben. Es drängt zur Verbesserung seiner Lage durch ein Ende des Krieges und fordert die Reduzierung von Abgaben und Regelungen, genannt Bürokratie. Hinsichtlich der Abwälzung der Lasten auf die Klasse verhält es sich heterogen, da ein relevanter Teil vom Massenkonsum lebt. Diese Widersprüchlichkeit widerspiegelt sich auch ideologisch: In diesem Lager gibt es alles – von AfD-Positionen bis zur Hoffnung in eine Wagenknecht-Partei.

„Deutsche Interessen“

Unter den Werktätigen und in der Intelligenz gibt es große Illusionen, dass eine Orientierung an „deutschen Interessen“ zu Frieden führen würde. Es wird vergessen, dass Deutschland weltweit zu den Unterdrückernationen gehört. Die derzeitige partielle Unterordnung unter den US-Imperialismus ändert nichts an den langfristigen strategischen Zielen des deutschen Imperialismus.

Der Begriff „deutsche Interessen“ suggeriert überdies, dass es ein „Wir“ im Klassenstaat gäbe – das ist aber nichts anderes als die national gefärbte Eintrittskarte in die Ideologie der Sozialpartnerschaft als Stütze der Herrschaft des Monopolkapitals. Natürlich wissen wir, dass sowohl die klassische Ideologie der Sozialpartnerschaft, deren Hauptträger meist die Sozialdemokratie war, als auch diese „national gefärbte“ Variante Einfluss auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse, des Kleinbürgertums und der Intelligenz haben. Sie zurückzudrängen erfordert vor allem gemeinsame Kämpfe, in denen deutlich gemacht werden kann, dass der Hauptwiderspruch der Klassenwiderspruch ist, der letztlich auch hinter der Hauptfrage steht, nämlich der von Krieg und Frieden.

Zuallererst ist dies eine Frage der antimonopolistischen Bündnisstrategie. In diesen Bündnissen geht es auch darum, welche Klassen beziehungsweise Schichten führend sind. Kommunistinnen und Kommunisten kämpfen dabei immer um eine führende Rolle der Arbeiterklasse, ohne dies zur Voraussetzung von Bündnispolitik zu machen. In der ideologischen Verarbeitung dieser Kämpfe stellt sich die nationale Frage – die Frage der „deutschen Interessen“ – zwangsläufig. Entscheidend ist dabei deren Inhalt. Kommunistinnen und Kommunisten beziehen sich in dieser Hinsicht auf die progressiven Teile der deutschen Geschichte und Kultur, darunter den antifaschistischen Widerstand, und natürlich auf die Geschichte der DDR als größter Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse.

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"Die Welt entwickelt sich – Deutschland im Rückwärtsgang", UZ vom 29. September 2023



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