Wenn Kinder anfangen, die Welt nicht mehr nur zu be-greifen, sondern sich mit allen Sinnen anzueignen, wird „Warum“ zum meistgebrauchten Wort. Dem wachsen andere Fragewörter zu, von „Was ist das?“ bis zu „Wann sind wir da?“, und sie machen es den Gefragten damit nicht leicht. Erinnern uns aber daran, wie nützlich es ist, lebenslang diese Frage zu stellen: Warum?
Am Ende seiner siebten Lebensdekade, kurz vor seinem Tod vor schon fast 50 Jahren, schrieb der Dichter Pablo Neruda ein eigenartiges Werkchen, das nur Fragen stellt – praktische, witzige, weise. Der Titel, logisch: Das Buch der Fragen (Libro de las preguntas). Der alte Mann mit den müden Augen wurde beim Schreiben wieder zum Kind, das hinterfragt, was es sieht und hört, zu einem alten Kind, das reich an Erfahrungen ist und auch Dinge gesehen hat, die sehen zu müssen man keinem Menschen wünscht. „Wo ist das Kind, das ich einst war/noch in mir drinnen oder fort?“ „Weshalb begehen Blätter Selbstmord/wenn ihnen gelb zumute ist?“ Oder, recht aktuell: „Sag, machen denn tatsächlich/die Anzugwesten jetzt mobil?“
Jede dieser Fragen lässt Bilder im Kopf entstehen, sie entwickeln eine suggestive Kraft und schicken die Gedanken auf Wanderschaft, machen Lust, sich Antworten auszudenken („Warum hat bloß Kolumbus/nicht besser Spanien entdeckt?“).
Ein Kinderbuch ist es nicht. Das liegt nicht daran, dass es Themen berührt wie den Tod, Krieg und politisches Engagement und Namen erwähnt, die sich Kindern nicht erschließen. Nein, Kinder haben ihre eigenen Fragen an die Welt und brauchen keine Gehhilfe für ihre Gedanken, die den notgedrungen angepassten und standardisierten Erwachsenen hilft, im Neuland der eigenen Phantasie spazieren zu gehen.
Nur 100 locker bedruckte Seiten stark ist „Das Buch der Fragen“ in dieser deutschen Erstausgabe, aber man kann viel Zeit damit zubringen, es zu lesen. Zu bedenken ist, dass jede Übersetzung nur eine Annäherung ans Original sein kann. Bedeutungsnuancen können einen Sinn verfälschen. Daher die kleinen Misstöne: Die Übersetzerin hat den Rhythmus des Originals verändert und Kenner von Biographie, Werk und politischem Standpunkt Nerudas könnte – auch wenn sie des Spanischen nicht mächtig sind – an einigen Stellen ein Misstrauen beschleichen, ob die Übertragung ins Deutsche wirklich gelungen ist. Aber das ist ein Problem aller Übersetzung von Belletristik. Und wir haben ja unsere Köpfe nicht nur zum Schütteln, sondern zum Selberdenken.
Über das Bändchen verstreut sind Illustrationen der katalanischen Künstlerin Maria Guitart. Sie treffen den naiven Ton von Nerudas Poesie. In einigen dieser Zeichnungen begegnet uns der Poet als untersetztes Strichmännchen mit der charakteristischen Mütze und der Pfeife im Mund, staunend über die Natur und das Leben. Diese Bilder bergen Säcke voll eigener Fragen und es lässt sich herrlich darüber spintisieren und der Frage nachgehen, „Wie nennt man einen Wirbelsturm/wenn er sich nicht bewegt?“.
Pablo Neruda
Das Buch der Fragen
Mit Illustrationen von Maria Guitart
Luchterhand, 100 Seiten, 18,– Euro