Mitte des Monats erscheint die neue Ausgabe der KAZ (Kommunistische Arbeiterzeitung). Wir veröffentlichen mit freundlicher Genehmigung vorab den Artikel von Robert Profan. Weitere Informationen: www.kaz-online.de
Die Umsätze und die Gewinne der Pharmakonzerne, die sich auf dem internationalen Impfstoffmarkt bewegen, überflügeln die „normalen“ Kapitalerwartungen. Die Lobeshymnen dieser Konzerne, ihrer Aktionäre sowie der Börsen übertreffen sich gegenseitig. Dies betrifft Moderna genauso wie Johnson & Johnson und den britisch-schwedischen Konzern AstraZeneca, insbesondere aber BioNTech/Pfizer. Die deutsch/US-amerikanische Kooperation von BioNTech und Pfizer, die sich unter dem schützenden Dach der finanziellen und politischen Staatshilfen aus Deutschland prächtig entwickeln konnte, wollen wir hier näher beleuchten.
BioNTech hat von 2020 bis zum ersten Halbjahr 2021 ein Umsatzplus von 10.000 Prozent zu verzeichnen. In dieser Zeit kletterte der Nettogewinn auf 3,9 Milliarden Euro. Der Börsenwert des Unternehmens stieg auf etwa 80 Milliarden Euro, was einer Kurswertexplosion seit 2019 um 2.500 Prozent entspricht. Die Börsen erwarten, dass in fünf bis zehn Jahren der Wert des Unternehmens auf 430 Milliarden Euro ansteigen wird. Die Zwillinge Andreas und Thomas Strüngmann, der eine Arzt, der andere Betriebswirt, Gründer der Generika-Pharmafirma Hexal, besitzen knapp die Hälfte der Aktien von BioNTech und zählen jetzt zu den reichsten Deutschen. Vorstandschef Ugur Sahin, Mitentwickler der mRNA-Technologie, gehört mit seinem 15-prozentigen Aktienanteil zwischenzeitlich zum Klub der zehn Reichsten im Land.
Während die Firma BioNTech im Wesentlichen die mRNA-Technologie für den deutschen Impfstoff entwickelt hat, kam dann die Firma Pfizer helfend dazu, damit die Produktion und die Vermarktung im internationalen Maßstab und den erwarteten Größenordnungen gewährleistet werden konnte. Drei Milliarden Impfstoffdosen sollen vom US-Konzern, der zu den weltgrößten Pharmamonopolen zählt, produziert werden. Pfizer rechnet mit einem Jahresumsatz von 80 Milliarden US-Dollar. Über 40 Prozent des Umsatzes – 33,6 Milliarden US-Dollar – sollen mit dem Corona-Impfstoff verdient werden. Dank partei- und länderübergreifender Unterstützung muss sich das Impfkartell keine Sorgen machen, dass es seine Lizenzen und damit die Gewinne auch nur vorübergehend mit anderen Herstellern in Ländern des Südens teilen müsste. Dafür sorgen etwa der französische Präsident Emmanuel Macron, der als Banker bei Pfizer kassierte, oder EU-Kommissionspräsidentin und Pharmaunternehmersgattin Ursula von der Leyen, Noch-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der nicht genug „nationale Champions“ haben kann, sowie schließlich Bald-Kanzler und Privatbankflüsterer Olaf Scholz.
So darf es nicht wundern, dass trotz aller Bekundungen gegenüber der WHO und der COVAX-Initiative, die dafür sorgen sollte, dass jeder fünfte Mensch, der in armen Ländern lebt, bis Ende des Jahres geimpft ist, sich die kapitalistische Profitlogik durchgesetzt hat. Bisher sind 80 Prozent der Impfstoffe in reichen und mittleren Staaten verimpft worden. Die reichen Industriestaaten haben im Schnitt mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung geimpft, während in armen Staaten im Durchschnitt höchstens ein Prozent geimpft ist. Der Markt regelt auch hier die Verteilung. Die reichen Staaten haben sich so viel Impfstoff gesichert, dass sie jetzt einige Millionen Dosen der WHO spenden können, bevor diese verfallen! Es gibt insbesondere wegen der EU, den USA und Japan kein Recht auf gleichmäßige Verteilung der Impfstoffe auf dieser Welt. Der scheinheilige Ruf nach Menschenrechten verstummt plötzlich, wenn die Profitinteressen der Monopole tangiert werden.
Dass es kurzfristig anders ginge, zeigt das Beispiel AstraZeneca. Der Konzern produziert und vermarktet einen Vektorimpfstoff, der an der Universität Oxford entwickelt worden ist (siehe Kasten). Britannien verlangte für sich und andere, dass AstraZeneca den Impfstoff für eine bestimmte Zeit der Pandemie zum Selbstkostenpreis abgibt und die Lizenz an andere Hersteller – etwa in Indien – abtritt. Dass dies keine reine Wohltätigkeitsveranstaltung ist, zeigt sich daran, dass der Pharmakonzern trotzdem im ersten Quartal 2021 seinen Gewinn verdoppeln konnte (mit überteuerten Krebsmedikamenten) und in den nächsten Jahren mit der neuen Impfstofftechnologie und deren Weiterentwicklung noch herrliche Profite einfahren kann.
Auch der US-amerikanische Pharmakonzern Johnson & Johnson möchte sein zuletzt ramponiertes Image verbessern und hat großzügig angekündigt, dass sein Impfstoff zum Selbstkostenpreis vermarktet wird, solange die Pandemie wütet. Wann die beendet ist, legt dann der Konzern fest.
Diese unterschiedlichen Geschäftspraktiken schlagen sich in den Preisen nieder. Obwohl die ausgehandelten Preise geheim sind, sickerten durch Indiskretion von der EU nicht bestätigte Preise pro Dosis durch: Moderna 15 Euro, BioNTech 12 Euro, AstraZeneca 1,78 Euro, Johnson & Johnson 8,63 Euro.
Der kometenhafte Aufstieg von BioNTech im Windschatten von Pfizer mit seinem erfolgreichen mRNA-Impfstoff hat zwischenzeitlich schon dazu geführt, dass ein Mitbewerber, der französische Pharmakonzern Sanofi, die Entwicklung seines Corona-Impfstoffs auf mRNA-Grundlage auf halbem Weg eingestellt hat, da die Gewinnchancen insbesondere in den reichen Industriestaaten aufgrund der Konkurrenz als nicht sehr verlockend eingeschätzt werden. Der weltweite Markt wird natürlich auch durch die Impfstoffe aus Russland, China und Kuba eingeschränkt.
Doch auf dem innovativen Gebiet der proteinbasierten Impfstoffe gehen die Bemühungen von Sanofi zusammen mit GlaxoSmithKline (GSK) um neue Absatzmärkte weiter. Hier ist der US-amerikanische Pharmaneuling Novavax bisher am weitesten. Während bei der relativ teuren und aufwendigen mRNA-Technologie der menschliche Körper das Spike-Protein des Coronavirus selbst noch herstellen muss (und nur der „Bauplan“, die RNA, gespritzt wird), wird bei dem deutlich einfacheren und preiswerteren Impfstoff auf Proteinbasis das Spike-Protein zunächst in großem Stil industriell hergestellt und dann dem Menschen direkt gespritzt. Diese billigere Technologie könnte dann auch einfacher von der WHO weltweit eingesetzt werden. Der Profit wäre trotzdem nicht zu verachten, der Umsatz bei Milliarden Menschen macht’s!
Die ganze Welt könnte spätestens Mitte 2022 gegen Covid-19 geimpft sein. Das Know-how und die Produktionskapazitäten wären vorhanden, wären da nicht die Behinderungen und Einschränkungen der auf Kapitalverwertung getrimmten Pharmakonzerne und der sie schützenden Staaten. Dieser kapitalistische Wahn- und Widersinn hat Methode. Er birgt einerseits tagtäglich die Gefahr der Entstehung von neuen und noch gefährlicheren Virusvarianten, auf der anderen Seite eröffnet dieses verantwortungslose Handeln aber auch potenzielle neue Absatzmärkte und Gewinnmöglichkeiten mit neuen Impfstoffen, die dann auf die Virusvarianten zugeschnitten sind. Die neuen mRNA- und Proteintechnologien eröffnen dabei die Möglichkeit, relativ rasch auf eine solche Entwicklung zu reagieren. Der eigentliche technologische Fortschritt wird zum Fluch durch den kapitalistischen Verwertungszwang.
Nicht von ungefähr laufen bei BioNTech/Pfizer schon Studien mit einem neuen Impfstoff, der speziell auf die Delta-Variante zugeschnitten ist. Die Zulassung wird nicht lange auf sich warten lassen – die Produktion wird schon vorbereitet, an der Börse steigen die Erwartungen weiter.
Novavax hat gerade eine Notfallzulassung bei der WHO für seinen Impfstoff auf Proteinbasis beantragt und erwartet mehrere Milliarden US-Dollar Umsatz über die kommenden zwölf Monate. Für Afrika will das Unternehmen nur drei US-Dollar je Dosis nehmen, dennoch rechnen die Analysten im Schnitt noch mit einem Milliardengewinn. Die Zulassungsanträge in den USA und der EU sollen folgen.
Universität Oxford, AstraZeneca und Bill Gates
Die Impfstoffentwickler von der Universität Oxford haben sich zusichern lassen, dass ihr Produkt der Welt zugute kommt, ohne damit Profit zu erzielen. Wenn die von AstraZeneca gemeldeten Selbstkosten um ein Fünftel zu hoch ausfallen, drohen Vertragsstrafen. Eigentlich wollten die Oxford-Forscher sogar einen noch radikaleren Bruch mit den Regeln der Pharmaindustrie durchsetzen und ihre Formel lizenzfrei zur Verfügung stellen – Open Source für ein globales öffentliches Gut, damit jeder weltweit darauf zugreifen und den Impfstoff herstellen kann. Doch Bill Gates machte mit seiner Stiftung Druck, für den Produktionsstart einen etablierten Konzern zu gewinnen. Die britische Regierung verlangte einen aus der Heimat, und so kam AstraZeneca zum Impfstoffgeschäft, das wegen der hohen Stückzahl immerhin etliche Milliarden Euro abwerfen wird.