Am Anfang des Artikels steht die Mahnung zu „Respekt“ und „Bescheidenheit“ in der Debatte. Das wirft die Frage auf: Wo haben die bisherigen Diskussionsbeiträge dies vermissen lassen? Trotzdem kann man dem so generell natürlich beipflichten. Ergänzen würde ich noch die notwendige Ernsthaftigkeit. Eine Ernsthaftigkeit, die ich in der Auseinandersetzung mit China, wie sie in der UZ stattfindet, generell vermisse. Der Artikel ist also ein Beispiel dafür, dass die Diskussion in der DKP nicht mit dem nötigen Ernst geführt wird. Stattdessen herrscht eine oberflächliche Behandlung der chinesischen Geschichte, eine fachlich falsche Darstellung vor allem der ökonomischen Fakten und ein Mangel an marxistischer Analyse und Kritik vor.
So erfahren wir, dass China unter der Qing-Dynastie die größte Ausdehnung erreicht hat und eine „Ära von Frieden und relativer Prosperität“ erlebte. Wie alle Imperien hatten die Qing diese Ausdehnung gegen die Dsungaren, Koreaner, Russen, Mongolen erkämpft und dann als Vorherrschaft über diese Nachbarn gesichert. Der Wohlstand gilt jedoch nicht für die große Masse der Landbevölkerung, die den „Frieden“ durch regelmäßige Aufstände stört. Die Figur des ländlichen Rebellen bleibt ein Klassiker der chinesischen Literatur. In der harmonischen Darstellung des Genossen Renkl finden jedoch keine Klassenkämpfe statt. In den offiziellen Verlautbarungen aus Peking ersetzt der Rückgriff auf die jahrtausendealte Kultur des chinesischen Kaiserreichs die ideologischen Errungenschaften des Sozialismus – statt solidarischer Kollektivität wird eine verklärte Vergangenheit als gemeinsames und verbindendes Element stilisiert. Doch welche Rolle spielt hier der Rückgriff? Etwa, dass Wohlstand und Frieden in China ganz unabhängig von der konkret herrschenden Klasse seien und etwas, das sich klassenneutral festhalten ließe?
Dann versucht Genosse Renkl, die bewusste Restauration des Kapitalismus ab 1978 aus den Positionen Mao Zedongs zu erklären. Dabei handelt es sich jedoch um zwei unterschiedliche Entwicklungen: einerseits um den Umgang mit den Resten der alten Kapitalistenklasse während des sozialistischen Aufbaus, die es zu kontrollieren galt und die schrittweise enteignet wurden, und andererseits um die bewusste Schaffung einer neuen Ausbeuterklasse ab 1978. Indem die KPCh es zuließ und förderte, dass sich Individuen die Verfügung über die Quellen des gesellschaftlichen Reichtums aneignen: die Produktionsmittel und darauf aufbauend die Verfügungsgewalt über alle anderen notwendigen Ressourcen inklusive der Arbeitskräfte. Das ist die Verwandlung gesellschaftlichen, sozialistischen Eigentums in Privateigentum. Die Klasse, die sich diese Produktivkräfte privat aneignet, ist eine völlig neue, und insbesondere aus der Partei heraus geschaffene Kapitalistenklasse. Mit den „patriotischen Kapitalisten“ aus der Republikzeit hat sie nichts zu tun. Der Rückgriff auf den Umgang mit Kapitalisten während des sozialistischen Aufbaus um die neue Klassengesellschaft des gegenwärtigen Chinas zu begreifen verschleiert mehr, als dass es erklärt.
Was diese neue Kapitalistenklasse andererseits voraussetzt, und auch darüber erfahren wir in den Gedanken des Genossen Renkl wenig, ist die Verfügung über fremde Arbeit. Denn um kapitalistisch wirtschaften zu können, brauchen die Ausbeuter dringend: Menschen zum Ausbeuten, genauer: Arbeiter, die untereinander in Konkurrenz stehen, die keine Produktionsmittel besitzen und gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Auch hier tut die Partei alles, um sie zu schaffen. Sie versorgt die neuen Kapitalisten nicht nur mit Land und Infrastruktur, sondern auch mit billigen Arbeitskräften. Auch wenn man es lieber verschweigt: Der massive Sozialabbau seit 1978, die Privatisierung fast aller sozialistischen Errungenschaften, von der Gesundheits- und Altersvorsorge bis zur Bildung, die Auslieferung der bäuerlichen Bevölkerung als billige und rechtlose Wanderarbeiter in den Metropolen des Landes ist nichts weniger als eine „Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung, und moralischer Degradation“ (Marx 1872, nach Renkl), mit der Marx die ursprüngliche Akkumulation des Kapitalismus beschrieb.
Obwohl Genosse Renkl versucht, die chinesischen Genossen vor Kritik in Schutz zu nehmen (warum eine Partei mit 96 Millionen Mitgliedern jetzt Welpenschutz durch Kritik in der UZ braucht, sei dahingestellt), lässt er sie an entscheidenden Stellen schlecht aussehen: Er reduziert die Arbeit der KPCh in den befreiten Gebieten auf Kriegsführung und Aufbau staatlicher Strukturen. Wie soll dieser Aufbau ohne Staatswirtschaft möglich gewesen sein? Die Erfolge der Staatswirtschaft und der staatlichen Betriebe und Kooperativen wurden nicht nur in Maos Artikel über Wirtschafts- und Finanzfragen (1942) behandelt, sondern auch von westlichen und chinesischen Wissenschaftlern als Beitrag zur revolutionären Umgestaltung Chinas gewürdigt. In der Darstellung des Genossen Renkl aber werden die chinesischen Genossen als so doof dargestellt, dass sie gar nicht anders konnten, als auf den Sachverstand der Kapitalisten zurückzugreifen. Auch dies wäre mit einem Blick in die chinesische Geschichte leicht zu widerlegen gewesen.
Die Genossin Renate Koppe wusste von ihrer Studienreise nach China zu berichten, dass die Gewerkschaften (UZ vom 30. Juni 2023) in China für kulturelle Veranstaltungen und Urlaubsreisen zuständig sind. Genosse Renkl betont dagegen, dass sie ein Mittel der Partei seien, um „auf Löhne und Arbeitsbedingungen einzuwirken“. Das hier keine Kontrolle mehr über die Kapitalistenklasse möglich scheint, sondern nur eine Beeinflussung, also das, was unsere Gewerkschaften in der BRD auch gerade noch leisten können, spricht bereits Bände. Es offenbart, dass die Arbeitskraft eine Ware ist, deren Wert sich über den Markt bestimmt. Die Möglichkeiten der Partei, die Löhne zu beeinflussen, nutzt sie schlechterdings, ganz ohne auf die Gewerkschaften zurückzugreifen, um deren Anteil am gesellschaftlich produzierten Mehrwert extrem niedrig zu halten und durch konsequente Unterbezahlung die chinesischen Exportüberschüsse zu ermöglichen. Die Idee, dass Arbeiter, die nicht einmal Einfluss auf ihre Löhne haben, ihre Partei-Genossen Milliardäre überwachen könnten ist, gelinde gesagt, absurd.
Abgesehen von diesen Fehlern bringt Genosse Renkl auch inhaltliche Punkte vor, die den vorangestellten Anforderungen an den Respekt gegenüber den chinesischen Genossen kaum gerecht werden können. Zum Beispiel, indem er die kapitalistische Wirtschaft Chinas mit Argumenten verteidigt, die einer Einführungsvorlesung in die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre entstammen und schon an der chinesischen Geschichte scheitern. Skaleneffekte, also die effizientere Nutzung von Ressourcen in der Produktion durch größere Produktionsmengen und Betriebsgrößen, sind für Renkl ein kapitalistisches Merkmal. Als hätte er noch nie etwas von Kombinaten gehört. Die Form der Vergesellschaftung, wie sie im Kapitalismus in Form der Monopole entsteht, wird gerade im Sozialismus auf eine ganz neue Stufe gehoben. Auch hier wäre ein Blick in die deutsch-chinesische Geschichte hilfreich gewesen: Der inzwischen als Kunstobjekt weltbekannte Fabrikkomplex 718 in Peking wurde in den 1950er Jahren mit Hilfe der DDR realisiert. Ein Vorzeigeprojekt zur Produktion von Funktechnologie von damals riesigem Ausmaß.
Entgegen den in der UZ dargestellten Tatsachen, dass auch private Unternehmen von Sanktionen betroffen sind (Beate Landefeld, „Noch ein Sanktionskrieg?“, UZ vom 12. August 2022), behauptet Genosse Renkl das Gegenteil. Als ob sich die USA in ihrem Handelskrieg so leicht täuschen ließen, und als ob nicht gerade Kapitalisten in Konkurrenz zueinander stünden und sich gerne auf diese staatliche Schützenhilfe verlassen, um sich gegen die chinesische Konkurrenz zu behaupten. Schließlich unterstellt Genosse Renkl der chinesischen Bourgeoisie, dass sie durch die Kontrolle eine weiße Weste habe, weil es keinen „Schleichhandel“ und keine „Geldhortungen“ mehr gebe. Abgesehen davon, dass Kapitalisten sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie ihr Geld nicht horten, sondern als Kapital anlegen und Verfügungsgewalt über menschliche Arbeit beanspruchen, spricht die Existenz von Wirtschaftsverbrechen doch Bände darüber, dass diese Kontrolle eben nicht einfach ist. Man müsste doch feststellen, dass das von der Partei gewollte Prinzip der Profitmacherei der Kapitalisten in letzter Konsequenz auch vermeintliche Auswüchse wie die Vergiftung von Babynahrung und Umwelt mit einschließt. Von all den legalen Verbrechen, die sich unter dieser angeblichen Kontrolle aus dem Marktverhalten der Kapitalisten ergeben – man denke nur an die Immobilienblase, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken und die Jugendarbeitslosigkeit – ist hier noch gar nicht die Rede.
Auf der Basis solcher inhaltlicher Fehler und oberflächlicher Beschreibungen kann die Debatte nicht zielführend geführt werden. Ihr fehlt es an Respekt und Ernsthaftigkeit. Um die Debatte stattdessen fruchtbar zu führen, bedarf es dreierlei: 1. nicht nur selektiv die chinesische Geschichte heranzuziehen, sondern sich ein umfassendes Wissen über die chinesische Entwicklung und die marxistische Literatur darüber anzueignen, 2. die empirische Wirklichkeit in China zur Kenntnis zu nehmen, und zwar nicht nur die luftigen Verlautbarungen aus den Pekinger Amtsstuben, sondern die Zahlen, Daten und Fakten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, und 3. das Werkzeug zu benutzen, das auch uns hilft, unsere Wirklichkeit zu begreifen: die marxistische Kritik der politischen Ökonomie. Kurz: die Wahrheit in den Fakten suchen.