Eine Erinnerung an Caroline Neuber aus Anlass ihres 325. Geburtstages am 9. März

Die Vorkämpferin der Theaterkunst

Paul Sielaff

Sie war „die erste große deutsche Schauspielerin“, wie sie im Untertitel des Buches „Die Neuberin“ von Petra Oelker genannt wird. Sie war auch die „Vorkämpferin für eine realistische Theaterkunst“, wie Dieter Fechner in seinem „Mühlhäuser Theaterbuch“ schreibt. Die Rede ist von Friederike Caroline Neuber, die von 1697 bis 1760 lebte und an deren 325. Geburtstag am 9. März zu erinnern ist.

Dass das Andenken an die Neuberin, wie sie genannt wurde und wird, in der Deutschen Demokratischen Republik mehr als im Westen bewahrt wurde, hat zwei Gründe. Zum einen wurde sie in Reichenbach im Vogtland geboren; zum anderen gab es bedeutende gesellschaftliche Bezugspunkte. Ihr Wirken gebe „den Menschen einer neuen, werdenden, sozialistischen Gesellschaft Ziel und Richtung künstlerischer Arbeit“, hieß es anlässlich der Neuberin-Gedenktage im Jahr 1960. „Wie es der Neuberin einst darum ging, mit ihren Aufführungen die zuschauenden Menschen zu bessern, ihren Geschmack zu erziehen, sie durch ihre Kunst an die Probleme ihrer Zeit heranzuführen, das Seichte zu verbannen, die Schauspieler zu wahren Interpreten des Dichters werden zu lassen – so geht es auch uns heute beim Aufbau einer sozialistischen Nationalkultur um die Mission der Theaterkunst im Sinne einer ‚moralischen Anstalt‘“ (Friedrich Schiller).

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Dresden-Laubegast, Fährstraße, Denkmal für Friederike Caroline Neuber.

Vor allem in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) seien die Theatertruppen „mit Hanswurstiaden und jämmerlichen Stücken, grausigen und anstößigen Szenen und derben Witzen“ aufgetreten, erinnerte Dieter Fechner im Theaterbuch. Caroline Neuber „reformierte das deutsche Theater gründlich, schaffte die Hanswurstiaden ab, setzte auf gehaltvolle Stücke und versuchte, den Geschmack des Publikums zu heben. Andererseits schuf die Neuberin einen neuen Theaterstil und setzte sich für die Anerkennung des Schauspielerberufes ein … Die Neuberin erwarb sich vornehmlich in Leipzig besondere Verdienste um die Hebung des deutschen Theaterniveaus. Sie wurde zu einer Vorkämpferin für eine realistische, volksverbundene deutsche Theaterkunst in der frühen Phase der Aufklärung.“

Caroline Neubers Lebensweg kannte Höhen und Tiefen. 1717 floh sie mit ihrem Geliebten Johann Neuber aus Reichenbach aus der Enge des väterlichen Hauses. Beide schlossen sich einer Theatertruppe an. Ein Jahr später heirateten sie in Braunschweig. 1727 gründeten sie eine eigene Theatertruppe. Nach dem Theateraufenthalt in Leipzig folgten zwischen 1734 und 1755 zahlreiche Gastspiele im deutschsprachigen Raum. Von großer Bedeutung waren die Begegnungen und die Zusammenarbeit mit dem Literaturprofessor Johann Christoph Gottsched und dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing. Doch schon in den 1750er Jahren fand das erfolgreiche Wanderleben ein klägliches Ende. „Kaum ist sie nach Sachsen zurückgekehrt und hat mit einigen ehemaligen Mitgliedern kümmerlich in kleinen Orten um Dresden herum gelegentlich gespielt, als der Siebenjährige Krieg ausbricht und jedes weitere Spielen unmöglich macht“, berichtete Herbert Ziessler in einer Schrift über die Neuberin. Ihre letzte kleine Theatertruppe wurde aufgelöst. „Damit beginnt das letzte Kapitel ihres so tragischen Niederganges.“ 1759 starb Johann Neuber, Caroline ein Jahr später im nahe bei Dresden gelegenen Laubegast. Sie starb in bitterer Armut und wurde ohne Trauerfeier auf dem Leubener Friedhof beigesetzt.

Was bleibt? Heutzutage ist es kaum noch das Theater, das den Geschmack des Publikums erzieht. An seine Stelle sind etliche Fernsehsender getreten mit ihren vielen Schundsendungen, die das geistige Niveau möglichst niedrig halten und die Zuschauer von ihren wahren Interessen ablenken sollen. Eine Masse von Zuschauern soll in einer Denkunfähigkeit gehalten werden. In zahlreichen Programmen kann fast jeder zum Hanswurst erniedrigt werden und diese peinliche Rolle spielen, ohne dass er es anscheinend selber merkt.

Wo ist heute der gesellschaftliche Anspruch, wie ihn der Rat des Kreises Reichenbach in der DDR im Jahr 1960 formulierte: Die Neuberin-Gedenktage „sollen uns schaffende Menschen auch aufrufen und anhalten, in ihrem Sinne für die Entwicklung einer neuen Theaterkultur zu wirken, selbst mit künstlerisch tätig zu sein und dadurch die einstige Kluft zwischen Künstler und Volk endgültig schließen zu helfen. Viele Volkskunstgruppen in unserem Kreise, Zirkel lesender oder schreibender Arbeiter, die Veranstaltungen des Deutschen Kulturbundes, das Arbeitertheater des VEB Renak und andere Laienkunstgruppen beweisen das durch ihre Arbeit, ihre Leistungen und Erfolge.“ In ihren Händen, so der Rat, liege das Erbe „unserer Neuberin“.

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"Die Vorkämpferin der Theaterkunst", UZ vom 4. März 2022



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