„Die vorhandene Angst in Widerstand verwandeln“

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

UZ: Nun ist es amtlich. Die seit zwei Jahren laufenden Verhandlungen über die Transpazifische Partnerschaft sind vorerst geplatzt. Eine gute Nachricht auch für die TTIP-Gegner?

Uwe Hiksch: Ja und Nein. Auf der einen Seite ist es gut, dass die Verhandlungen gegenwärtig nicht vorwärtskommen. Dazu kann man den TTP-kritischen Initiativen und Gewerkschaften in den betroffenen Ländern nur gratulieren. Auf der anderen Seite kann diese Situation dazu führen, dass die Verhandlungen über das TTIP-Abkommen noch mehr beschleunigt werden, um damit in den innerimperialen Auseinandersetzungen über die Vorherrschaft auf den Weltmärkten die Position der transnationalen Konzerne und Investorengruppen aus den Ländern der EU zu verbessern.

UZ: Was bedeutet dies für die TTIP-Kritikerinnen und -kritiker in der EU?

Uwe Hiksch ist Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde Deutschlands und Anmelder der Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin. Weitere Informationen: http://ttip-demo.de/home

Uwe Hiksch ist Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde Deutschlands und Anmelder der Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin. Weitere Informationen: http://ttip-demo.de/home

Uwe Hiksch: Die Eliten der EU nehmen zur Kenntnis, dass fast 2,5 Millionen Menschen die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative unterschrieben haben. Den TTIP-kritischen Organisationen ist es gelungen, ein gut funktionierendes europäisches Netzwerk aufzubauen. Hier werden Aktionen und Proteste über Staatsgrenzen geplant und organisiert. Die TTIP-kritischen Bewegungen müssen sich aber noch mit anderen Protesten vernetzen. Hier gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten. Die systematische Zerstörung der peripheren Länder der EU, wie Griechenland, Portugal oder Spanien, oder das ökonomische Zurückdrängen der französischen oder italienischen Einzelkapitale hat die gleichen Ursachen: Die Herrschenden in den ökonomischen Zentren versuchen, ihre Wettbewerbspositionen gegenüber der Peripherie weiter zu verbessern.

UZ: Wie sieht aktuell die Protestbewegung gegen TTIP aus?

Uwe Hiksch: In dem Bündnis für eine selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative sind mehr als 480 Organisationen aus allen 28 EU-Staaten zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sie die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA durchgeführt. In 22 der 28 Mitgliedsstaaten der EU wurde das von der EU-Kommission vorgeschriebene Quorum überschritten. In Deutschland arbeitet im Bündnis „TTIP: unfairHandelbar“ über 90 Organisationen und Initiativen zusammen, um TTIP und CETA zu verhindern. In Gewerkschaften, Umweltverbänden, Verbraucherschutzorganisationen, Menschenrechtsorganisationen sind zwischenzeitlich fast überall Arbeitsgruppen und Aktionsgruppen aktiv, um sich gegen diese neoliberale Freihandelsabkommen zu engagieren. Ich merke das auch bei den NaturFreunden. Der Widerstand gegen TTIP und CETA hat hier eine ähnliche Dimension erreicht, wie in der Hochphase der Friedensbewegung oder der Anti-Atom-Bewegung. Dieses Unbehagen muss auf die Straße getragen werden.

UZ: Und wie ist der Stand der Vorbereitungen aktuell?

Uwe Hiksch: Wir wollen am 10. Oktober ein Zeichen gegen die neoliberale Freihandelspolitik der EU-Kommission und der Bundesregierung setzen. Unter dem Motto „STOP TTIP, CETA – für einen gerechten Welthandel“ werden wir gegen diese falsche Politik der neoliberalen Eliten auf die Straße gehen. Diese Herrschenden versuchen gegen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ihre Politik durchzudrücken. Zur Demonstration werden fünf Sonderzüge organisiert, wir erwarten zwischen 400 und 450 Busse.

UZ: Warum ziehen die politischen Eliten diese Freihandelsabkommen durch, obwohl dort viele Menschen sie ablehnen?

Uwe Hiksch: Die Volkswirtschaften der Länder des globalen Nordens befinden sich seit geraumer Zeit in der Phase der strukturellen Überakkumulation. Die Herrschenden wissen das und versuchen die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu verbessern. Die nationalen und regionalen Kapitalfraktionen kämpfen in Verbindung mit den jeweiligen Staaten oder Staatengruppen um die ökonomische Vorherrschaft auf den Weltmarkt. EU und USA versuchen mögliche Konkurrenten wie Indien, China, Russland oder Brasilien zurückzudrängen, um die bestehende imperialistische Weltordnung möglichst lange zu erhalten.

Durch Liberalisierung und Privatisierung sollen neue Anlagemöglichkeiten für das überschüssige Kapital erschlossen werden. Die Freihandelsabkommen sind ein Baustein für diesen großflächigen Angriff gegen die erkämpften Rechte der unselbstständig Tätigen. Diese Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche steht erst am Anfang. Hierfür nehmen die Herrschenden eine Zerstörung der demokratischen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft in Kauf.

UZ: Und warum kritisieren sie besonders die geplanten Investor-Staat-Schiedsgerichte?

Uwe Hiksch: Wenn vor wenigen Jahren linke Kommentatoren gesagt hätten, dass internationale Abkommen durchgedrückt werden sollen, damit Staaten durch transnationale Unternehmen verklagt werden können, wenn gewählte Parlamente sozialen oder ökologischen Fortschritt ermöglichen, wären diese als „linke Spinner“ beschimpft worden. Heute stehen wir kurz vor der Umsetzung dieses Zieles in der EU. Mit den Freihandelsabkommen TTIP und CETA sollen für ausländische Investoren privilegierte Rechte festgeschrieben werden, die soziale, ökologische und kulturelle Standards gefährden. Solche Investor-Staats-Schiedsverfahren schaffen schon heute eine Paralleljustiz, die internationalen Investoren Sonderrechte gegenüber Staaten einräumt. Ziel von TTIP und CETA ist, dass die schon heute gängigen Verfahren auch auf die Länder der EU ausgedehnt werden.

Bis Ende 2013 gab es insgesamt 568 Investor-Staats-Schiedsverfahrens-Klagen, die bisher meist von großen transnationalen Konzernen aus den USA oder der EU gegen Länder des globalen Südens durchgeführt wurden. 31 Prozent dieser Klagen wurden gewonnen, bei 26 Prozent wurden die Verfahren mit einem Vergleich abgeschlossen. Auch bei solchen Vergleichen muss der beklagte Staat häufig hohe Zahlungen leisten oder eine beschlossene Maßnahme oder Gesetz aufheben oder ändern.

UZ: Sehen Sie konkrete Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung für linke Politik gegen TTIP und CETA?

Uwe Hiksch: In vielen gesellschaftlichen Gruppen ist Unbehagen gegen diese Politik zu spüren. Ich hoffe, dass die Demonstration am 10. Oktober einen Beitrag leisten kann, eine Erweiterung des Aktionsspielraums für fortschrittliche Kräfte zu erreichen. Wir NaturFreunde werden mit dem Motto „TTIP wegkicken!“ und „Freihandelsabkommen stoppen!“ aufzeigen, das wir die neoliberale Freihandelsideologie als Ganzes ablehnen und wollen damit einen Beitrag leisten, die Debatte zu erweitern.

Es ist gelungen einen sehr breiten Trägerkreis mit 32 Organisationen zu bilden. Gewerkschaften, Umweltverbände, Verbraucherverbände, Sozialverbände, Menschenrechtsinitiativen, globalisierungskritische Organisationen und die uns unterstützenden Parteien spiegeln eine beeindruckende Breite wider. Damit bekommt der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen neue Fahrt. Aus dem punktuellen Widerstand gegen diese beiden Freihandelsabkommen muss sich jedoch eine grundlegendere Debatte über die heutige Verfasstheit des neoliberalen Weltmarktes, und damit des Kapitalismus, entwickeln.

Wichtig ist, nicht alleine die einzelnen Gefahren von TTIP und CETA darzustellen, sondern dies mit einer Analyse der gegenwärtigen Situation des Kapitalismus zu verbinden. Die heutigen Angriffe des Kapitals gegen Sozial-, Umwelt- und ArbeitnehmerInnenrechte sind erst der Anfang. Zur Verbesserung der Profitbedingungen der internationalen Finanzgruppen werden die sie tragenden Kapitalgruppen und politischen Eliten auf eine weitgehende Zurückdrängung von Schutzrechten im Umwelt-, Sozial- und VerbraucherInnenschutz drängen. Hochprofitable Investitionsmöglichkeiten wie Fracking, grüne Gentechnologie oder die Zementierung einer zentralistischen Energieerzeugungsstruktur sollen damit ermöglicht werden.

UZ: Wo liegt die Aufgabe von Linken in diesem Prozess?

Uwe Hiksch: Unsere Aufgabe wird darin bestehen, die vorhandene Angst in Widerstand zu verwandeln und diesen Widerstand mit einer theoretischen Analyse zu verbreitern.

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"„Die vorhandene Angst in Widerstand verwandeln“", UZ vom 7. August 2015



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