Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“, hat in Frankreich unfassbare Verbrechen begangen. Doch gelang es ihm – wie so vielen der Nazi-Verbrechern –, jahrzehntelang in Südamerika ein angenehmes Leben zu führen. Zwei Mal wurde ihm in Abwesenheit der Prozess gemacht, zwei Mal wurde er zum Tode verurteilt. Erst 1983 gelang seine Verhaftung und ihm wurde – diesmal in Anwesenheit – erneut der Prozess gemacht, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Todesurteile waren hinfällig. Sie waren wegen Kriegsverbrechen erfolgt und bereits verjährt.
Zum 35. Jahrestag des Prozesses ist in Frankreich eine besondere Graphic Novel erschienen, die nicht nur Leben und Verbrechen Barbies nachzeichnet, sondern vor allem auch seinen Opfern eine Stimme gibt und die Überlebenden zu Wort kommen lässt.
Besonders ist dieser Band, der jetzt auf Deutsch bei Bahoe Books vorliegt, auch, weil der Zeichner Jean-Claude Bauer den Prozess als Gerichtszeichner verfolgt hat. Im Gegensatz zu seinen schon damals berühmten Kollegen hat er nicht nur die ersten Tage angesehen und gezeichnet, sondern ist dageblieben, als Barbie sich weigerte, weiter am Prozess teilzunehmen. Und so zeichnete Bauer die Zeugen, die Opfer Barbies.
In der Graphic Novel nimmt der Prozess einen großen Raum ein, zuvor jedoch folgt er dem Leben Barbies – und seinen Verbrechen. Die Buntstiftzeichnungen, deren Ähnlichkeit mit Gerichtsporträts nicht zu übersehen ist, sind für die Zeit der Nazis und die Darstellung von Barbies Verbrechen in Brauntönen gehalten. In nüchternen und doch schwer zu ertragenden Bildern berichten Jean-Claude Bauer und Koautor Frédéric Brrémaud über den Beginn von Barbies Verbrecherkarriere in den Niederlanden, von seiner Versetzung nach Frankreich, der Verfolgung der Résistance, den mit sadistischer Wonne durchgeführten Folterungen, die auch vor Kindern keinen Halt machten. Auf mehreren Seiten widmet sich der Band Jean Moulin und dessen Rolle in der Résistance, der Folter, die Barbie ihn erleiden ließ, und seinem Tod.
Erst im späteren Teil der Graphic Novel, wenn es um den Prozess geht, kommen Bauer und Brrémaud auf die Kinder von Izieu zu sprechen. Am 6. April 1944 ließ Barbie in dem Kinderheim eine Razzia durchführen. Bis zum Sturz Mussolinis hatte Hitler ihm die Kontrolle über die Region überlassen – die Verfolgung der Juden war im italienischen Faschismus nicht so tödlich wie im deutschen, daher wurde dort ein Kinderheim für jüdische Waisen eingerichtet. Als Deutschland die Macht über die Region Izieu übernahm, beschloss Barbie umgehend, das Heim mit den jüdischen Kindern zu liquidieren. Äußerst brutal verlief die Razzia am 6. April. 44 Kinder und sieben Betreuer wurden verhaftet und über Zwischenstationen nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Erzieherin Léa Feldblum sagte im Prozess gegen Barbie aus. Sie war die einzige Überlebende.
Nach der Niederlage des deutschen Faschismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel Barbie sofort auf die Füße. Auch, weil die junge BRD und Teile der Alliierten keinerlei Interesse an der Verfolgung von Nazi-Verbrechern hatten. Die konnten schließlich gute Dienste leisten im Kampf gegen den Kommunismus. Und so arbeitete auch Klaus Barbie zunächst für das Counter Intelligence Corps (CIC, Spionageabwehrkorps) der USA, das ihn auch vor einer Auslieferung nach Frankreich bewahrte. Schließlich sollte Barbie helfen, „kommunistische Netzwerke“ aufzuspüren. Der Comic erzählt nicht, dass Barbie in dieser Zeit Jugendliche für den rechtsextremen „Bund deutscher Jugend“ rekrutierte. 1951 emigrierte Barbie mit Hilfe der USA auf der Rattenlinie nach Südamerika.
Dort fühlte er sich wohl – gab es doch genug gleichgesinnte alte Verbrecher und wunderbare Aufgaben für einen alten Nazi: In Bolivien beriet Barbie die Militärdiktatur und bildetet die Mörder Che Guevaras aus. Zeitweise wurde er zum Waffenimporteur – die BRD lieferte gern Waffen an die Diktaturen in Lateinamerika. Folgerichtig werden die Zeichnungen in diesem Teil der Graphic Novel farbig. Sattes Grün erzählt von den Dschungeln Lateinamerikas, vielfarbige Bilder von Lebensfreude.
Obwohl Barbie schnell enttarnt wurde, wurde er erst 1983 an Frankreich ausgeliefert. Seine Dienste waren in Bolivien nicht länger erwünscht. 1987 wurde ihm der Prozess gemacht. Das einstimmige Urteil in allen Anklagepunkten lautete: Schuldig. Das Gericht verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Sie sollte nicht lange währen. Am 25. September 1991 starb der Schlächter von Lyon an Blutkrebs.
An seiner Enttarnung und Auslieferung haben die Nazi-Jäger Beate und Serge Klarsfeld großen Anteil gehabt. Im Prozess war Serge Klarsfeld einer der Opferanwälte. Auch ihre Rolle findet Eingang in die Graphic Novel, auch ein Vorwort haben sie beigesteuert. Dieses hat in Anbetracht jüngster Äußerungen einen seltsamen Beigeschmack.
Das rechtsextreme Rassemblement National (RN) hält Serge Klarsfeld heute für keinen Feind der Juden mehr – im Gegenteil, verkündete der Rechtsanwalt vor den jüngsten Wahlen in Frankreich: „Ich betrachte Rassemblement National als Verbündeten.“ Marine Le Pen habe sich schließlich von Jean-Marie Le Pen, ihrem antisemitischen Vater und Gründer der Vorgängerpartei Front National, losgesagt. Gefahr drohe für Juden heute von anderer Seite, von den Muslimen. „Für mich ist eine Partei dann rechtsextrem, wenn sie antijüdisch ist. Das ist ihre DNA. In dem Moment, wo sie diese antijüdische Identität aufgibt, erachte ich sie nicht mehr als Feind.“ Der Nazijäger hat also nur was gegen Nazis, wenn sie antisemitisch sind. Das schmälert nicht sein Lebenswerk. Aber es ist tragisch.
Jean-Claude Bauer
Frédéric Brrémaud
Klaus Barbie. Der Schlächter von Lyon
Bahoe Books, 149 Seiten, 26 Euro
Erhältlich im UZ-Shop