Schon mal ein Buch gelesen über eine Frau, die eine Kochsendung moderiert? Nein? Dann wird es Zeit – zumindest, wenn es Bonnie Garmus‘ „Eine Frage der Chemie“ ist und die Kochsendung nicht das seichte Unterhaltungsprogramm darstellt, das wir uns normalerweise darunter vorstellen.
Elizabeth Zott, Star der TV-Kochshow „Essen um sechs“ erklärt 1961, als Frauen Hemdblusenkleider tragen und in Gartenvereinen Mitglied werden, im US-amerikanischen Nachmittagsfernsehen, welche Nährstoffe wie wirken und wo sie drin sind. Die Chemikerin und alleinerziehende Mutter ist alles andere als die typische Fernsehmoderatorin im engen Kleidchen, die am Schluss der Sendung Cocktails für den armen, abgearbeiteten Mann mixt. Stattdessen runzelt Zott die Stirn und sagt in die Kamera: „Kinder, deckt den Tisch, eure Mutter braucht einen Moment für sich.“ Wofür das vor allem weibliche Publikum sie liebt, das hasst der oberste Programmdirektor sehr. Er hatte doch extra ein enges Kleid und Cocktails bestellt!
Elizabeth Zott ist generell nicht so wie andere Frauen beziehungsweise so, wie die Gesellschaft erwartet, dass Frauen sind. Sie ist Chemikerin, hat aber dank eines sexistischen Doktorvaters keinen Doktortitel. Sie ist verliebt, aber weigert sich zu heiraten, weil sie nicht an die Institution der Ehe glaubt. Sie ist Forscherin, verliert aber ihre Anstellung, als sie unehelich schwanger wird. Und sie ist nachtragend, „doch sie war das hauptsächlich in Bezug auf eine patriarchalische Gesellschaft, die auf der Idee fußte, Frauen seien weniger. Weniger fähig. Weniger intelligent. Weniger schöpferisch. Eine Gesellschaft, die es für richtig hielt, dass Männer arbeiten gingen und wichtige Dinge taten – Planeten entdecken, Produkte entwickeln, Gesetze verfassen – während Frauen zu Hause blieben und die Kinder großzogen.“ Elizabeth Zott glaubt an die Wissenschaft und an empirische Beweise – Sexismus und Frauenfeindlichkeit sind danach schlichtweg aberwitzig, weil es keine Begründung für sie gibt. Und so zeigt sie ihrem erstaunten Publikum eines Tages eine Tomate und erklärt, dass wir mit dieser 60 Prozent unserer DNA teilen und mit anderen Menschen sogar 99,9 Prozent. „Sie legte die Tomate beiseite und hielt ein Foto von Rosa Parks hoch. ‚Deshalb unterstütze ich die führenden Köpfe der Bürgerrechtsbewegung, einschließlich der mutigen Rosa Parks. Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ist nicht nur wissenschaftlich absurd, sondern auch ein Zeichen großer Dummheit.‘“
Bonnie Garmus ist mit ihrem Erstlingswerk „Eine Frage der Chemie“, das in 35 Ländern erscheinen wird, ein Plädoyer für Emanzipation und Gleichberichtigung gelungen, dessen literarische Heldin nicht bei Demos mit einem Megaphon vorneweg läuft, sondern stetig und beharrlich in den Mühen der Ebene kämpft, indem sie die Wahrheit sagt: Dem Chef, der Nachbarin, dem Gynäkologen, dem Liebsten, der Tochter und dem Fernsehpublikum.
Und dann rudert sie auch noch, dabei ist das nun wahrlich kein Frauensport!
Garmus ist es gelungen, einen leichten Unterhaltungsroman über einen komplexen Stoff zu schreiben. Mit viel Tiefgang erzählt sie Leben, Schicksal und Leid der Elizabeth Zott und schafft es dabei, trotz der schweren Themen von Sexismus bis Trauer bisweilen zum Schreien komisch zu sein. Zu allem Überfluss bevölkert dieses Buch neben Elizabeths kluger Tochter Mad und der patenten Nachbarin Harriet auch noch ein philosophierender Hund namens Halbsieben, der zwar nicht sprechen, aber denken kann – und das ist nur halb so verrückt wie es klingt.
Vor allem ist Bonnie Garmus aber ein Buch gelungen, das fröhlich ist und Mut macht. Denn, so erklärt Zott ihrem Publikum, Chemie ist Veränderung und Veränderung ist Mut. Ihre Aufforderung an Zuschauerinnen und Leserinnen gleichermaßen lautet: „Nutzen sie die Gesetze der Chemie, meine Damen, und ändern sie den Status quo.“
Bonnie Garmus
Eine Frage der Chemie
Aus dem Englischen von Ulrike
Wasel und Klaus Timmermann
Piper Verlag, 464 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 22 Euro
Erhältlich unter uz-shop.de