Nur ein Vorname, nur „Bettina“. Vertraulich, fast schon zu intim klingt der Titel, den Regisseur Lutz Pehnert seinem Dokumentarporträt über die Berliner Sängerin und Lyrikerin Bettina Wegner gegeben hat, die im November 75 wird. Die beiden kennen sich seit über dreißig Jahren und haben mehrere TV-Beiträge miteinander gedreht. Das gibt seiner Einschätzung einiges Gewicht: „Ich glaube, dass Bettina Wegner bis heute in zwei Welten lebt – hüben und drüben, auch wenn sie gerade selbst nicht genau weiß, wo gerade hüben und wo drüben ist.“
Hüben und drüben ist natürlich Berlin. Das erst halb geteilte, wo sie 1947 in Lichterfelde als Tochter überzeugter Kommunisten geboren wird, von wo aber die Währungsreform den Umzug der Eltern in den Ostteil erzwingt. Dort macht sie eine Ausbildung und beginnt ein Schauspielstudium. Mit dem kanadischen Sänger Perry Friedman gründet sie den „Hootenanny-Club“, den sie aber verlässt, als er zum FDJ-geleiteten Oktoberklub wird. Mit der Staatsmacht in Konflikt gerät sie durch eine Flugblattaktion gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ – das Urteil lautet auf 19 Monate auf Bewährung, die sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes Benjamin antreten soll – der Kindsvater Thomas Brasch „hatte da schon eine andere zu laufen“, sagt sie lakonisch im breiten Berlinerisch.
Es folgen weiterer Druck nach der Biermann-Ausbürgerung und ihr erster „West-Auftritt“ im Bethanien, der ihr Plattenverträge einträgt, aber auch den Druck der DDR-Behörden, die sie lieber im Westen sähen. Dem gibt sie gemeinsam mit Ehemann Klaus Schlesinger im Juli 1983 nach, tritt unter anderem mit der US-Sängerin Joan Baez in der Westberliner Waldbühne auf, nach der „Wende“ auch wieder in Ostberlin, wo sie nach wie vor viele Anhänger hat, weil die ewig Unangepasste auch jetzt ihr Fähnlein nicht nach dem Wind hängt. Nach 35 Berufsjahren tritt sie 2007 offiziell von der Bühne ab – in eine Art „fortgesetzten Unruhestand“.
Bei einer so politisch geprägten Biografie überrascht es kaum, dass die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ zu den Finanziers des Films zählt – umso überraschender ist das Ergebnis. Denn wer nun ein großes Lamento über den „Unrechtsstaat DDR“ erwartet, wird krass enttäuscht, und dafür sorgt Pehnerts dramaturgischer Ansatz. Denn mehr als ein Film über sie ist „Bettina“ ein Film mit ihr geworden. Pehnert bringt in ausführlichen Gesprächen die Sängerin zum Reden und dämpft so den „Star-Effekt“, der so oft eine psychologische Wand zwischen Betrachter und Porträtierten schiebt. Das Bild der gestrengen, harten Musikerin, das man von ihren Bühnenauftritten kennt, setzt Pehnert in Schwarzweiß gegen die intimen, freundlich warmen Beobachtungen bei den Studioproben mit dem renommierten Trio „L’Art de Passage“. Knappe Wortfetzen, mehr von den Musikern als von ihr, und immer dabei im Stil der Nouvelle Vague die unvermeidliche Zigarette.
Eigenwillig, wie sie ist, hat Bettina Wegner sich ihre eigenen Zehn Gebote gegeben, und Pehnert nutzt sie passend zu Kapitelüberschriften. „Bei Verletzung nicht mehr weinen!“ heißt eine davon, und grundehrlich beichtet sie gleich darauf, dagegen gesündigt zu haben. Und natürlich schöpft er ausführlich aus dem Fundus ihrer Lieder, deren Texte vielfach wie ein Spiegel ihrer Biografie zu lesen sind. Ihr Song „Kinder“ („Sind so kleine Hände …“), den Joan Baez weltweit auch auf Deutsch bekannt machte, wurde so populär, dass sie sich juristisch gegen eine rassistische Umtextung durch eine Neonaziband wehren musste; gelegentlich tritt sie damit bis heute auf Benefiz-Veranstaltungen auf.
Nicht minder bedeutend die explizit politischen Texte in „An die Weggegangenen“ und „Was ich noch sagen will“, Letzteres mit trotzigem Schnitt gesetzt hinter den Auszug aus den originalen Prozessakten, mit denen der Film immer wieder die Stimmung der Lieder hart auf den Boden der sozialistischen Realität setzt. Umso packender, wie bei einem großen Konzert ein erlösendes Lächeln über ihre Züge geht, als ihre Liedzeile „Leute ohne Rückgrat ha’m wir schon zuviel“ tosender Applaus die ungebrochene Aktualität ihrer Texte bestätigt.
Bettina
Regie: Lutz Pehnert
Im Kino