Wie deutsche Gerichte über die Verwendung der Parole „From the river to the sea“ urteilen

Die Umstände des Einzelfalls

Die Palästina-Solidarität in Deutschland wird mit Repressionen überzogen. Verbote, brutale Räumungen, Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen Aktivisten sind an der Tagesordnung. Besonders häufig im Fokus: Die in der Solidaritätsbewegung weit verbreitete Parole „From the river to the sea …“. Schon mehrere Gerichte haben sich mit dem Ausruf befasst und sind zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt. Der Jurist Ralf Hohmann ordnet die aktuellen Verfahren und Urteile ein.

Die nachfolgenden Entscheidungen veranschaulichen das uneinheitliche Meinungsbild in der aktuellen Rechtsprechung sowohl zu der Frage, ob eine Verwendung der Parole „From the river to the sea…“ (auf Deutsch oder anderen Sprachen) im Rahmen des Versammlungsrechts untersagt werden darf und/oder ob der Wortlaut der Losung die Straftatbestände der Paragrafen 130 Strafgesetzbuch (StGB) (Volksverhetzung), 140 StGB (Billigung von Straftaten) und Paragrapf 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) erfüllt. Der Fallstrick in allen nachgenannten Beschlüssen (auch in jenen, die die Parole im Grundsatz erlaubt halten) liegt in der (bei Juristen üblichen, alle Hintertürchen offenhaltenden) Formulierung, es käme stets auf die „Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug“ an. Allein dem „Zufall“ ist damit dennoch nichts überlassen. Der Blick in die Entscheidungen ist hilfreich, um jene „Umstände des Einzelfalls“ besser abschätzen und in laufenden Verfahren besser argumentieren zu können.

Inhaltsverzeichnis

Verfassungsgerichtshof Bayern, 26. Juni 2024
Verwaltungsgerichtshof Frankfurt am Main, 22. März 2024
Hessischer Verfassungsgerichtshof, 22. März 2024
Landgericht Mannheim, 29. Mai 2024
Verwaltungsgericht Freiburg, 3. April 2024
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 3. April 2024
Verwaltungsgericht Münster, 17. November 2023
Oberverwaltungsgericht Bremen, 30. April 2024
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, 2. Dezember 2023
Verwaltungsgericht Berlin, 20. Dezember 2023
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1. Dezember 2023

Verfassungsgerichtshof Bayern, Beschluss vom 26. Juni 2024, (Az.: 10 CS 24.1062)

„Kommt es für die Strafbarkeit der Formulierung ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ bzw. ‚From the river to the sea‘ demnach auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an, ist ihr pauschales Verbot im Wege der Versammlungsbeschränkung nur dann verhältnismäßig, wenn eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde ergibt, dass die Formulierung in strafbarer Weise verwendet werden wird. Andernfalls würden unter Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG (Grundgesetz) und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch zulässige Verwendungsformen untersagt, zumal von solchen Pauschalverboten ein erheblicher Abschreckungseffekt hinsichtlich der freien Meinungsäußerung ausgehen würde“. Die Entscheidung hob die Vorinstanz Verwaltungsgericht München vom 25. Januar 2024, Az.: M 10 S 24.3621, auf. Das Erstgericht war der Auffassung, „es sei offen, ob die Verwendung der Parolen ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ bzw. ‚From the river to the sea‘ einschließlich etwaiger Kombinationen strafbar sei, vieles spreche jedoch dafür“.

(Das Urteil als PDF)

Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 22. März 2024, Az.: 5 L 985/24.F

Das Verwaltungsgericht hat „Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (…) Gewichtige Gründe sprechen dafür, dass die denkbar weitgefasste Verfügung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat jedenfalls hinsichtlich der Parole ‚From the river to the sea‘ aufgrund der Anknüpfung an den Inhalt einer politisch unliebsamen Meinungsäußerung mit Art. 5 Abs. 1, insbesondere Satz 3, Abs. 2 GG unvereinbar ist und der staatlichen Neutralitätspflicht nicht genügt, entgegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auf politische Anschauungen zielt und sich die Verfügung vom 2. November 2023 daher als teilnichtig darstellen könnte“.

(Das Urteil)

Hessischer Verfassungsgerichtshof, Beschluss vom 22. März 2024, Az.: 8 B 560/24

„Ein vollständiges präventives Verbot der Äußerung der Parole vermag das Vereinsverbot jedenfalls nicht zu rechtfertigen, da eine das Bild der Versammlung prägende Bezugnahme auf die Hamas weder dargelegt noch ersichtlich ist“.

(Das Urteil)

Landgericht Mannheim, Beschluss vom 29. Mai 2024, Az.: 5 Qs 42/23

(Verneinung der Strafbarkeit, Beschwerde der Staatsanwaltschaft abgelehnt, Ansicht der Vorinstanz bestätigt)

„Infolgedessen bleibt der Ausspruch, sofern aus dem Kontext nichts Anderes hervorgeht, sehr allgemein und lässt sich aus ihm gerade nicht entnehmen, auf welche Weise das historische Palästina befreit werden soll. Der Zusatz from the river to the sea weist dabei gerade nicht zwingend darauf hin, dass Israel damit vernichtet würde, sondern nimmt insoweit nur das historische Gebiet von Palästina (Mandatsgebiet Palästina), das unabhängig von seiner politischen Zugehörigkeit für die Palästinenser Referenzpunkt ihrer historischen Heimat ist, in Bezug“.

Der geschichtliche Teil der Gerichtsentscheidung zur Frage der Herkunft der Parole ist für ein deutsches Landgericht außergewöhnlich und beachtenswert.

(Das Urteil)

Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 3. April 2024, Az.: 4 K 1340/24

Diese Entscheidung wurde wenige Stunden (!) nach ihrem Erlass aufgehoben (Verwaltungsgerichtshof Mannheim siehe unten). Das VG Freiburg vertrat die Auslegung, ob der Slogan „From the River to the Sea“ ein Kennzeichen der Hamas sei, sei zweifelhaft. Die strafrechtliche Relevanz der Parole bleibe daher offen.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. April 2024, Az.: 2 S 496/24

„Das vom Antragsteller angegebene Versammlungsthema ‚From the river to the sea – Palestine will be free! Für ein freies Palästina für ALLE Menschen‘, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, es solle ‚für Frieden und Freiheit für alle Menschen mit den gleichen Rechten unabhängig von Religion oder Herkunft vom Fluss bis zum Meer‘ eingetreten werden, und man wolle alle zivilen Opfer in die Öffentlichkeit bringen und ein weiteres Sterben verhindern, genügt angesichts der Dominanz der strittigen Parole für eine ausreichende Klarstellung nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Anliegen nicht auch ohne Verwendung des streitigen Slogans (hätten) inhaltlich ausreichend vorgebracht werden können“. Bemerkenswert ist, dass hier die Verwaltungsrichter in Mannheim eine gänzlich andere Auffassung haben als die oben genannten Mannheimer Richter am Landgericht.

(Das Urteil)

Verwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 17. November 2023, Az.: 1 L 1011/23

„Eine Strafbarkeit der Parole für sich genommen scheidet danach bereits deshalb aus, weil sie sich nach naheliegendem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv gegen den Staat Israel, nicht aber mit einer hinreichenden Konkretheit gegen etwa den jüdischen Bevölkerungsteil Deutschlands richtet. Besondere Umstände bei der Verwendung der Parole während der vergangenen Versammlungen, die diese nicht strafbare Deutungsmöglichkeit als fernliegend ausschließen ließe, hat der Antragsgegner in seinem angegriffenen Bescheid nicht mitgeteilt (…) Es ist bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht erkennbar, dass insoweit der angeführte Straftatbestand der Volksverhetzung nach Paragraph 130 Abs. 1 StGB erfüllt wurde. Der Antragsgegner hat keine konkreten Umstände dargelegt, aufgrund derer davon ausgegangen werden könnte, dass die Äußerung über eine polemisch und scharf formulierte Kritik an der Reaktion Israels auf den Angriff der Hamas hinausging und im konkreten Zusammenhang mit dieser Äußerung – wie für die Erfüllung des Straftatbestandes erforderlich – zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Bevölkerungsteile aufgefordert oder deren Menschenwürde angegriffen worden sei“.

(Das Urteil)

Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 30. April 2024, Az.: 1 B.163/24

„Mit Blick darauf, dass eine Variante der Parole in der Organisationsverfassung der Hamas zu finden ist, erscheint es aus Sicht des Senats nach summarischer Prüfung naheliegend, dass sich die Hamas die Parole zu eigen gemacht hat und der Slogan ‚From the river to the sea‘ als ihr Kennzeichen einzustufen ist“. (…) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin ihre Versammlung in Form der stationären Kundgebung an dem von ihr gewählten Ort mit dem Motto ‚Situation im Nahen Osten‘ grundsätzlich durchführen darf. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie ihr zentrales Anliegen – namentlich die Aufklärung über die Lage der Bewohner Gazas – ohne die Verwendung des Slogans nicht hinreichend vorbringen könnte. Demgegenüber sprechen aus Sicht des Senats nach den obigen Ausführungen gewichtige Gründe für eine Strafbarkeit nach Paragraph 86a Nr. 1 i.V.m. Paragraph 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Auf Seiten des öffentlichen Interesses ist zudem einzustellen, dass eine einmal getätigte Äußerung irreversibel ist und durch ein nachträgliches Einschreiten der Polizei oder nachträgliche Strafanzeigen in der Sache nicht wieder rückgängig gemacht werden kann“.

(Das Urteil)

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Dezember 2023, Az.: 15 B 1323/23

„Ob die Parole ‚From the river to the sea‘, wie der Antragsgegner meint, (gerade) den Straftatbeständen der Paragraphen 130, 140 StGB unterfällt, ist zwar zweifelhaft; in Betracht kommt jedoch ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot nach Paragraph 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, weil die vorgenannte Parole Kennzeichen der sowohl nach EU-Recht als auch nach der Verfügung des Ministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 verbotenen Organisation der ‚Hamas‘ sein könnte. Dies lässt sich in der zur Verfügung stehenden Zeit des gerichtlichen Eilverfahrens nicht abschließend aufklären. (…) Mit Blick darauf, dass eine Variante hiervon (von der Parole, der Verfasser), worauf der Antragsteller selbst hinweist, in der aktuellen bzw. der Gründungscharta von Hamas zu finden ist, erscheint es möglich, dass sich die Hamas die Parole zu eigen gemacht hat und sie demzufolge (auch) ihr zuzuordnen ist. Dass diese Parole bereits vor Gründung der Hamas und auch heute noch von anderen Organisationen verwendet wird, ist nach den vorgenannten Maßstäben unerheblich. Unterstellt, es handelt sich bei der Parole um ein Kennzeichen der Hamas, liegt die Annahme einer ausnahmsweise zulässigen Verwendung im Rahmen der Versammlung hier fern“.

(Das Urteil)

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 20. Dezember 2023, Az.: 1 L 507/23

Mit der „Äußerung des angezeigten Themas der Versammlung (‚From the river to the sea, you will get the hug you need‘) (ist) eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden, weil jedenfalls der hinreichende Verdacht einer Strafbarkeit dieser abgewandelten Parole vorliegt. Insofern ist (…) der Staatsanwaltschaft Berlin (…) Einschätzung zuzustimmen, dass auch bei der abgewandelten Form der Parole der Anfangsverdacht der Verwendung des Kennzeichens einer verbotenen Organisation (hier: Hamas u. Samidoun) gem. Paragraphen 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 2 StGB sowie ein Anfangsverdacht gem. Paragraph 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG besteht“.

(Das Urteil)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023, Az.: 18 L 3167/23

„Die in diesem Rahmen auch streitgegenständliche Äußerung ‚From the river to the sea, Palestine will be free‘ sowie Abwandlungen dieser sind aufgrund der Verbotsverfügung des Bundesministeriums (…) nach Paragraph 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 i.V.m. Paragraph 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VereinsG verboten. Im aktuellen Kontext der geplanten Versammlung ist davon auszugehen, dass eine solche Äußerung auch nicht in erlaubter Weise, d.h. zu sozialadäquaten Zwecken, verwendet werden würde, sodass jedenfalls hinreichend belastbare Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer Straftat bestehen dürften“.

(Das Urteil)

In den vorgenannten Entscheidungen wird auf die Verbotsverfügung des Bundesministerium des Inneren, veröffentlicht am 2. November 2023, Bezug genommen. Dort heißt es:

„Verbot der Vereinigung ‚HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya)‘ / ‚Gemäß (…) erlasse ich folgende Verfügung (…) 3. Es ist verboten, Kennzeichen der HAMAS für die Dauer der Vollziehbarkeit öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden. Das Verbot betrifft insbesondere folgende Kennzeichen: (…) sowie die Parole ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ (auf Deutsch oder anderen Sprachen).‘“

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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