Gefährliche Zusammenlegung droht – Kanzleramt schiebt Unwissenheit vor

Die Trennung der Dienste wackelt

Von Uwe Koopmann

Der tödliche Anschlag des Tunesiers Anis Amri auf zwölf Besucher des Berliner Weihnachtsmarktes am Breitscheidplatz wird funktionalisiert: Es wächst die Zahl der Populisten, die die nach außen gezeigte Trennung der Geheimdienste und der Polizei weiter aufgeweicht wissen möchten. Dieser Ausfallschritt nach rechts geht einher mit relativ nebensächlichen Scharmützeln wie den Rücktrittsforderungen von Seiten der CDU und der FDP im Januar an den NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) und Schuldzuweisungen von der SPD gegen Bundesinnenminister Karl Ernst Thomas de Maizière (CDU).

Das Geplänkel kommt nicht von ungefähr. Am 14. Mai sind in NRW Landtagswahlen. Da wird im Wahlkampf von der Opposition auf Jäger, den NRW-Chef von Polizei und Geheimdienst, gezielt. Auf der Abschussliste von Armin Laschet, dem CDU-Oppositionsführer, steht allerdings an erster Stelle Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Um sie in die Knie zu zwingen, bedarf es robuster Angriffe. Die Vergeiger Jürgen Rüttgers (CDU) und Norbert Röttgen (CDU) sind bei den letzten Wahlen mit schlimmen Blessuren aus dem Rennen gegangen. Es geht also bei der Munition von Laschet um mehr als nur Silvester-Knaller der Kölner Bauart.

Die Wahlkampfrhetorik bringt allerdings nicht viel, denn beide, de Maizière und Jäger, haben ihren Laden nicht im Griff. Jeder Angriff auf den jeweils anderen könnte sich als Rohrkrepierer erweisen. An dem Spiel ist aber noch einer beteiligt: Peter Altmaier (CDU), seit 2013 Chef des Bundeskanzleramtes, Herr der „Nachrichtendienstlichen Lage“ und Koordinator der Geheimdienste. Die Liste seiner mehr oder weniger untauglichen Vorgänger liest sich wie ein „Who’s Who“ der Auf- und Absteiger. Die letzten drei: Steinmeier, de Maizière und Pofalla.

Verfassungsrelevant-gefährliche Munition kommt eher aus der zweiten Reihe. Da hat man erkannt, dass es nicht angeht, dass Anis Amri 50 Dienststellen, unter anderem Polizei, Staatsanwaltschaften und Nachrichtendienste, foppen kann, ohne dass er festgenommen oder gar abgeschoben wurde. Wer darf was? Relativierung des Verbots der Zusammenarbeit der Dienste? Ab 1933 wurden die Länder in ihren polizeilichen und geheimdienstlichen Aufgaben beschnitten. Es entstand die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Das Grundgesetz setzte 1949 Grenzen, die heute hinderlich erscheinen.

Gegenwärtig sehen sich die Verantwortlichen ob der strukturbedingten Unzulänglichkeiten der Dienste einerseits und der kriminellen Vita Amris lächerlich gemacht. Im Fokus steht insbesondere das Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf, das trotz Telefonüberwachung die Dimension des Gefährders nicht erkannt haben soll. Thomas de Maizière gibt vor, diese Gefahr gesehen zu haben. Sein Bundeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft zeigten sich allerdings uninformiert. Bruno Jost, Bundesanwalt a. D., soll nun als „Sonderbeauftragter“ die Fehler ans Tageslicht fördern.

Ob das gelingt, mag nach Recherchen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) und des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) bezweifelt werden. Das PKGr legte einen Bericht vor. Der ist aber geheim. Clemens Binninger (CDU) wird Kompetenz zugesprochen. Seine geradezu systemrelevante Karriere begann als Streifenpolizist. Sie endete als Referent für Innen- und Sicherheitspolitik im Staatsministerium Baden-Württemberg. Als MdB ist er nun Chef des PKGr. Im Deutschlandfunk whistelte er: „Alle wissen, dass unser Gremium aus guten Gründen geheim arbeitet, weil es um brisante Informationen geht …“ Binninger kritisierte wiederum das GTAZ, das Amri zwar auf dem Schirm hatte, ihn aber unzureichend bewertete. Mehr Chaos geht kaum.

MdB Binninger weiß als Chef der Geheimdienst-Kontrolleure allerdings die Lösung. Im Mitteldeutschen Rundfunk betonte er: Das Föderalismusprinzip sei hinderlich. Abschiebungen müssten zentral geregelt werden. Terroristische Gefährder müssten auf der Bundesebene zentral bearbeitet werden. Es müsse „eine Stelle (geben), die das Sagen hat“. Die Entscheidung auf Bundesebene wäre das einzig richtige. Gebraucht werde eine Bündelung wie bei den Terrorermittlungen durch den Generalbundesanwalt: „Wir brauchen sie beim Thema Abschiebung. Da könnte man die Bundespolizei dann auch heranziehen.“ Im Deutschlandfunk verlangte Binninger eine zentrale Zuständigkeit auf Bundesebene zur Gefahrenabwehr. Für den kommenden Bundestag will er nicht mehr kandidieren. Vielleicht sind die Aussagen von denen, die bald nichts mehr zu sagen haben, mit einem besonderen Wahrheitsgehalt versehen.

In der Badischen Zeitung wird berichtet, dass PKGr-Mitglieder eine „engere Einbindung von Justiz und Ausländerbehörden bei der Gefährder-Bewertung“ fordern würden. Und: Zudem sei der Bundesnachrichtendienst in Fällen mit Auslandsbezug stärker hinzuzuziehen.“ An dieser Stelle ergibt sich dann eine gefährliche Schnittstelle: „Vereinheitlichung“ der Dienste von VS und BND. Das könnte sich zu einem Abgrund an Verfassungsverrat im Lande auswachsen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die Trennung der Dienste wackelt", UZ vom 7. April 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit