Rund 20 Jahre lang haben die USA und NATO-Verbündete, darunter Deutschland, Krieg in Afghanistan geführt. Mehr als 240.000 Menschen wurden bei dem von Washington im üblichen Euphemismus „Operation Enduring Freedom“ getauften Militäreinsatz getötet, ein Fünftel davon Zivilisten. Die „Operation andauernde Freiheit“ sollte den militärischen Sieg über die Taliban erkämpfen, Sicherheit schaffen und Demokratie bringen. Ein Trugschluss in alter Kolonialherrenattitüde – im August 2021 zogen die bewaffneten Islamisten siegreich in die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Die US-Truppen samt Kriegsverbündeten verließen fluchtartig das verheerte Land. Die Bilder verzweifelter Afghanen, die zu Tausenden vor den Taliban fliehen wollten und zurückgelassen wurden, gingen um die Welt.
Ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag befasst sich mit dem Desaster – nicht des Krieges, sondern allein mit dem chaotischen Abzug der Bundeswehr, mit dem Rückruf des deutschen Personals und dem Umgang mit den sogenannten Ortskräften, also Afghanen, die als Hilfskräfte der NATO-Truppen gearbeitet haben. Der elfköpfige Ausschuss soll Empfehlungen ausarbeiten, wie man es beim nächsten Krieg besser machen kann. Am Donnerstag dieser Woche soll Angela Merkel den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Afghanistan, das war der Krieg der CDU-Kanzlerin – 16 Jahre des zwei Dekaden währenden Bundeswehreinsatzes am Hindukusch war sie im Amt und politisch verantwortlich.
„Freiheit“, der verklärende Kernbegriff des militärischen Operationsnamens, schmückt die gerade publizierten politischen Memoiren Merkels. Zum glücklosen Kriegsende erinnert die ehemalige Kanzlerin in ihrem Buch in aller Kürze, sie sei am 13. August 2021, zwei Tage vor dem endgültigen Sieg der Taliban, von ihrer Verteidigungsministerin telefonisch über die zugespitzte Lage rund um Kabul informiert worden. „Am folgenden Morgen hatte ich daraufhin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Telefonkonferenz mit den weiteren zuständigen Ministern grünes Licht für die detaillierte Vorbereitung einer Evakuierungsoperation gegeben.“ Mehr Gedanken zum Krieg darf man nicht erwarten, auch nicht im Untersuchungsausschuss.
In der vergangenen Woche haben sich zwei ehemalige Kabinettskollegen Merkels im Untersuchungsausschuss er- und den Krieg einmal mehr verklärt. Der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller verwies auf deutsche Aufbauleistungen am Hindukusch. Was die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dort geleistet habe, „ist ein bleibender Wert“, schwärmte der CSU-Politiker. Dies gelte insbesondere, wenn er an die Frauen in Afghanistan denke. Es seien Millionen Frauen unterrichtet und Schulen gebaut worden. „Zehntausende Frauen konnten und können auch heute noch ein ganz anderes Leben führen“, meinte Müller.
„Viel Geld floss direkt in den Krieg, relativ wenig in den Aufbau des Landes. Milliarden wurden verschwendet. Entsprechend wenig bleibt nach dem Abzug der Amerikaner“, urteilt dagegen die konservative Schweizer „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ). Die Haushaltskosten des Afghanistan-Krieges beliefen sich in den USA laut Brown-University auf über 2,3 Billionen Dollar. Die Bundesregierung spricht von 17,3 Milliarden Euro an Steuergeldern, die der Einsatz der deutschen Soldaten und Entwicklungshelfer in Afghanistan gekostet hat – rund 12,5 Milliarden Euro davon gingen für die Kriegführung drauf.
Der frühere Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte, beim deutschen Abzug aus Kabul „nach bestem Wissen“ entschieden zu haben. Im Nachhinein seien viele Einschätzungen falsch gewesen. Bei der Bewertung müsse die damalige Informationslage berücksichtigt werden. So habe der Bundesnachrichtendienst den Zusammenbruch der afghanischen Regierung und den Vormarsch der Taliban „fehlerhaft prognostiziert“. Die BND-Einschätzung, dass mit einem kurzzeitigen Fall Kabuls nicht zu rechnen sei, „ist leider von der Realität überholt worden“. Für den Präsidenten des deutschen Auslandsgeheimdienstes hatte die Fehlprognose keine Konsequenzen.