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Boris Alexejewitsch Litwinow ist Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik. Von Juli bis November 2014 war er Vorsitzender des Obersten Sowjets der DVR. UZ sprach mit ihm in Donezk über die wirtschaftliche Entwicklung der DVR und die Chancen auf einen Frieden mit der Ukraine.
UZ: Boris Alexejewitsch,wie sieht die Situation in der DVR im ökonomischen Bereich aus, welche Probleme gibt es und welche Position haben die Kommunisten der DVR dazu?
Boris Litwinow: Traditionell ist im Donezker Gebiet die Hauptbranche die Kohle, in der Republik sind Bergwerke in Betrieb; Die Kohle reicht für unseren Bedarf vollständig. Die Donezker Volksrepublik fördert derzeit pro Jahr acht bis neun Millionen Tonnen, die Hälfte der Kohle versuchen wir zu exportieren. Dies können wir nicht direkt tun, weil wir keine ökonomischen Verbindungen mit anderen Ländern haben.
Deshalb kaufen russische Unternehmer unsere Kohle sehr billig, für 4 000 bis 4 500 Rubel pro Tonne, sie wird auf dem äußeren Markt für 10 000 bis 12 000 Rubel pro Tonne verkauft. Die Differenz stecken die Vermittler, vor allem russische, ein. Wir müssen Absatzmöglichkeiten und -wege für die Kohle finden. Wir könnten mehr fördern, 12 bis 14 Millionen Tonnen, aber dafür muss man wissen, was mit der Kohle geschehen soll.
Die zweite Branche ist die Elektroenergie. Zwei große Kohlekraftwerke decken vollständig unseren Bedarf, ein Teil des Stroms geht in die Lugansker Volksrepublik. Dabei nutzen unsere Kraftwerke nur die Hälfte ihrer Kapazität, weil viele Unternehmen stillstehen. Wir haben also die Möglichkeit, die Industrieproduktion zu steigern, da wir Strom genug haben. Unsere dritte grundlegende Branche ist die Metallindustrie.
In unserer Republik gibt es eine Reihe von Metallwerken. Es gibt Unternehmen, die Stahlprodukte benötigen, wir haben Koks, aber kein Erz. Früher wurde es aus Kriwoj Rog und Poltawa importiert, jetzt aus Russland.
Und weil wir kein Subjekt des internationalen Rechts sind, haben sich auch in der Metallbranche Unternehmer aus Russland niedergelassen. Sie liefern Rohstoffe, aber sie verfügen auch vollständig über die Produktion.
In der Republik gibt es 480000 Hektar Ackerland, aber weil ein erheblicher Teil vermint ist oder im Kampfgebiet liegt, werden derzeit nur 240000 Hektar bearbeitet.
In diesem Jahr haben wir 242000 Tonnen Getreide geerntet. Das reicht vollständig für unsere eigene Versorgung. Aber damit sich das Land erfolgreich entwickeln kann, müssten wir eine Million Tonnen ernten, mindestens aber 500000.
UZ: Gibt es weitere Probleme?
Boris Litwinow: Der Handel funktioniert, es gibt kleine und mittlere Geschäftsleute, aber im Ganzen finden viele Unternehmen, die von den früheren Besitzern verlassen wurden, heute keinen Absatzmarkt für ihre Produkte, sind nicht in Betrieb. Viele sind durch den Krieg beschädigt.
UZ: Haben die Kommunisten dafür einen Lösungsansatz?
Boris Litwinow: Die heutige Aufgabe unserer Republik ist es aus der Sicht der Partei, diese Unternehmen zu nationalisieren. Möglicherweise könnten dann kollektive Unternehmen geschaffen werden, Konzessionen vergeben oder Betriebe verpachtet werden. Wir als Partei sind bereit, uns in diese Arbeit einzuschalten, um der Regierung und unserem Land unsere Sicht darzulegen und unsere Erfahrung und unser Wissen einzubringen.
UZ: In letzter Zeit ist sehr viel über die Steinmeier-Formel zu hören. Welche Position haben die Kommunisten der DVR zum Minsker Prozess?
Boris Litwinow: Ich glaube nicht, dass die Ukraine auf eine Umsetzung der Minsker Vereinbarungen eingeht. Mehr noch, die Minsker Vereinbarungen sind nicht mehr aktuell, außer in zwei oder drei Punkten. Wir sind uns alle einig, dass wir Frieden in unserem Land brauchen, dass Kriegsgefangene ausgetauscht werden müssen. Wir wollen, dass die Ukraine mit unserer Führung in direkte Verhandlungen eintritt. Es muss über eine friedliche Koexistenz der zwei Staaten gesprochen werden, über mögliche Handelsbeziehungen. Heute können wir nicht in den Staatsverband der Ukraine übergehen, gleichgültig mit welchem Status. 2014 (beim Beginn des Minsker Prozesses, Anmerkung der Redaktion) gab es in der Verfassung der Ukraine keine Klausel, dass die Ukraine in EU und NATO strebt. Damit wir überhaupt beginnen können, über irgendetwas zu sprechen, muss die Ukraine ihre Verfassung ändern, den Status eines blockfreien Landes annehmen. Nach ukrainischer Militärdoktrin ist Russland der Feind Nr. 1 für die Ukraine. Nach ukrainischen Gesetzen, die bald in Kraft treten, wird Grund und Boden dort zum Objekt von Kauf und Verkauf. Für unsere Republik ist das und vieles weitere grundsätzlich unannehmbar. Aber dennoch muss das Töten aufhören. Das ist die Frage Nummer 1, die Frage des Friedens.
UZ: Welche Auswirkungen haben die Minsker Vereinbarungen in der Ukraine?
Boris Litwinow: Wir sehen bereits jetzt, dass die Formel Steinmeiers die ukrainische Gesellschaft gespalten hat und das weiter tut. Die ukrainischen Radikalen und Poroschenko haben Blut an den Händen. Sie müssen zeigen, dass das, was sie getan haben, nicht umsonst war, ihre Idee muss siegen, man muss uns vollständig besetzen. Mir scheint, dass es in der Ukraine innerhalb des nächsten Jahres einen weiteren Staatsstreich geben wird. Selenskij muss entweder den Minsker Prozess aufgeben und vollständig dem Willen der Nationalisten nachgeben oder man wird versuchen, ihn zu stürzen. Innerhalb der Ukraine könnte ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen. Und wenn das geschieht, so werden auch andere Teile wie Odessa, Nikolajew, Cherson, Charkow ihre Unabhängigkeit von der Ukraine erklären. Und diese von der Ukraine abgetrennten Gebiete sollten mit uns in Verhandlungen über die Bildung eines neuen Staates eintreten. Dann wird die Geschichte neu geschrieben werden. Natürlich würden wir Kommunisten wollen, dass dieses Land eine sozial orientierte oder sozialistische Entwicklung nimmt. Aber ich fürchte, dass in der heutigen Entwicklungsetappe sowohl bei uns in der DVR als auch in der Ukraine das Minimalprogramm für uns eine allgemeine demokratische Umwälzung ist.
UZ: Wie ist die Situation der Kommunisten derzeit in der Ukraine?
Boris Litwinow: In der Ukraine wurde die Kommunistische Partei der Ukraine in fünf Jahren in den Untergrund getrieben und fast vernichtet. Und in fünf Jahren hat man aus der KPU, aus der sozialistischen Idee, in der Ukraine ein Schreckgespenst gemacht. Allgemeindemokratische Prinzipien müssen wiederhergestellt werden mit einer Entwicklung des Parteiensystems, mit der Abschaffung des Gesetzes über die Dekommunisierung in der Ukraine. Wenn die linke, die sozialistische und kommunistische Bewegung wiederbelebt wird, dann wird man sich zusammenschließen müssen, um eine neue Ukraine auf einem sozial orientierten, sozialistischen Weg zu begründen, aber das wird in vielem von den Prozessen abhängen, die jetzt in der Russischen Föderation stattfinden. Auch dort spitzt sich die soziale und politische Lage zu und wenn dort ein linker Umschwung stattfinden, dann wird es auch für uns leichter, unsere Ziele zu erreichen.