Zwei Monate bevor das Museumsschiff „Seute Deern“ im Alten Hafen von Bremerhaven versank, feierte man noch in der Seestadt den 100. Geburtstag des Schiffes. Das Schiff war nicht besonders alt, erst 1919 war es gebaut worden. Es war bereits bei seinem Bau ein „Anachronismus“, denn 1919 wurden Schiffe, zumal Frachtschiffe, schon seit Jahrzehnten aus Stahl gebaut und nicht aus Holz. Das Schiff war ursprünglich aber auch keine Dreimastbark, sondern nur ein sogenannter Schoner. Erst 1938 bekam es drei Masten aus Stahl für die Besegelung einer Bark. In Deutschland wurde es kurz vor dem 2. Weltkrieg nicht etwa von Bremerhaven oder Bremen aus eingesetzt, sondern von Hamburg aus, also ohne jeden Bezug zu seinem späteren Liegeplatz. Vor allem wurde es nach dem 2. Weltkrieg nie mehr als „Frachtensegler“ eingesetzt, sondern als Hotelschiff in Hamburg, und selbst in Bremerhaven, wo das Schiff nach zahlreichen Umbauten Ende der 1960er Jahre eintraf, konnte es als Restaurantschiff besucht werden: Der Laderaum war zum Restaurant umgebaut worden.
Das Schiff hatte von Anfang an einen gravierenden Konstruktionsfehler. Es war durch das Verziehen des Rumpfes und Schiffbohrwurmfraß dauern undicht und musste stets gelenzt sowie nach jeder Fahrt repariert werden. Trotz einer Runderneuerung 1938 und der späteren Umbauten sank es wegen Undichtigkeit im Hafen von Emden schon 1965, bevor es dann 1966 nach Bremerhaven verholt wurde. Zur Zeit der letzten großen Instandsetzung 1978 drangen täglich 600 Liter Wasser ein. Seitdem förderten ständig sechs Pumpen Wasser nach außen. Erst als ausgerechnet nach der 100-Jahr- Feier und einem Brand an Bord des Schiffes die Pumpen ausfielen, sank es erneut. Dieses Mal auf den Grund des Museumshafens in Bremerhaven.
Nun endlich beschloss man, das Schiff abzuwracken. Doch in der Öffentlichkeit wurden immer mehr Stimmen gegen den fahrlässigen Umgang des Deutschen Schifffahrts-Museums (DSM) mit dem eigenen Objekt laut. Tatsächlich bestätigte der ehemalige Direktor des Museums, der Schiffsarchäologe Detlev Ellmers, den fahrlässigen Umgang mit dem Objekt, als er erklärte, das Schiff hätte schon längst in ein Trockendock gelegt werden müssen, „aber im Wasser sah das Schiff eben schöner aus“. Angesichts dessen tut sich der Verdacht auf, man habe trotz des Zustands des Schiffes (und der zu hohen Kosten einer Renovierung) einfach abgewartet und nur zugeschaut („Sieht schöner aus“). Damit aber wird ungewollt bestätigt, dass das Schiff weder zu Beginn „historisch wertvoll“ noch später überhaupt „erhaltenswert“ war und ist.
Nun plötzlich beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestags Bundesmittel in Höhe von 47 Millionen Euro für die Rekonstruktion (also nicht für den Erhalt!) des Schiffes bereitzustellen. Tatsächlich geändert hatte sich die Sachlage zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Im Gegenteil: Es gab weder neue Erkenntnisse über den angeblichen historischen Wert des Objektes noch irgendeinen wissenschaftlichen oder sonstigen Grund, das Schiff mit einem solchen (und möglicherweise noch höheren Kostenaufwand!) zu rekonstruieren.
Der Lokalredakteur Thomas Sassen sprach von einer „fragwürdigen Verschwendung von Steuergeldern“ und betonte, die beschlossene Summe sei schon angesichts der marginalen historischen Bedeutung des Schiffes unverhältnismäßig. Zu Recht wurde die Frage gestellt, ob nicht die zweifelhafte Windjammerromantik Ursache für die Spendierfreudigkeit der öffentlichen Haushälter war. Die Reduzierung von Schifffahrtsgeschichte auf maritime Technikgeschichte und die Reduzierung maritimer Technikgeschichte auf alles, was irgendwie „alt aussieht“ oder nur „schön“. Seit Jahren hatten Historiker die einseitige Ausrichtung an maritimer „Schiffsgeschichte“, also an alten Schiffen, anstatt zum Beispiel an der Sozialgeschichte der Seeschifffahrt, kritisiert. Schon 1987 war in einer Denkschrift Kritik an der einseitigen Technik- und Schiffsgeschichte des Museums geübt worden. Nachdem die Forderung der Gewerkschaften nach einem eigenen „Museum der Arbeit“ mit der Begründung abgelehnt worden war, für so ein Projekt gebe es „kein Geld“, hatte die Arbeitsgruppe untersucht, wie der Aspekt der Arbeit in den vorhandenen Museen deutlicher gemacht werden könnte. Stattdessen wurde weiter an bloßer Technik- und Schiffsgeschichte gebastelt und zugleich die mehr als fragliche Windjammer-Ideologie weiter reproduziert. Doch blieb die Sozialgeschichte der Seefahrt seit Gründung des Museums konsequent ausgespart. Daran änderte sich auch nichts, als 1987, 2011 und nochmals 2017 kritische Denkschriften vorgelegt wurden und das DSM nachdrücklich zur Einhaltung der Verpflichtung zur Untersuchung und Darstellung der sozialen Verhältnisse in der Seeschifffahrt aufgefordert wurde.
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