Sie schüren schon jetzt die Angst vor Staatsausgaben • Kolumne von Lucas Zeise

Die Schuldenbremser

Die Schuldenbremse wurde nur gelockert. „Ausgesetzt“ heißt das im juristischen Deutsch der beiden Häuser des Parlaments. Man muss die Drohung der regierenden Parteien und ihres breiten Anhangs bei Grünen, FDP und AfD durchaus ernst nehmen. Das Instrument der Staatsführung wird nicht als unbrauchbar und kontraproduktiv beiseite gelegt werden, sondern soll in der Periode „nach der Corona-Krise“ wieder voll zum Einsatz kommen. Wir hatten das schon einmal.

Anfang 2009, der Höhepunkt der großen Finanzkrise war gerade erreicht, die deutsche Regierung hatte Geld in zuvor nicht gekannter Menge zur Rettung „ihrer“ Banken bereitgestellt und haute zwei Konjunkturprogramme heraus. Just in diesem Moment wurde damals die Schuldenbremse im Grundgesetz installiert. Die Regierenden fühlten sich in der Rolle des jungen, später heiligen Augustinus, der, wie er in seinen „Bekenntnissen“ berichtet, mit seinem lebhaften Sexualtrieb kämpfte und zu Gott betete: Herr, lass mich die Sünde vermeiden – aber bitte noch nicht jetzt. Frau Merkel klang später ähnlich, als sie den Industriellen und Arbeitgebern des Landes eingestand, mit der massiven Geldverteilung auf Pump eine Sünde begangen zu haben, aber ihnen zugleich versprach, dergleichen werde nicht wieder vorkommen.

Ich hatte die Installation der Schuldenbremse damals für einen – ziemlich schlechten – Scherz gehalten. Bei der nächsten kleinen Krise werde sie sicher mit guten Ausreden beiseitegelegt werden, erwartete ich, weil die Kapitalisten für ihre Zwecke höhere Staatsausgaben benötigen und dann auch durchsetzen werden. Aber wie ich mich getäuscht hatte! Die nächste Krise kam schon 2011 in Gestalt der Eurostaatsschuldenkrise. Sie wurde von der deutschen Regierung genutzt, um ihre Schuldenbremse zum Programm für die Eurozone und die EU zu machen, und damit ihre relative Finanzstärke in politische Dominanz zu verwandeln. Nebenbei strömte Fluchtgeld aus den geknechteten Eurostaaten nach Deutschland. Die hiesigen Kapitalisten bedurften keiner zusätzlichen Staatsknete mehr, und die Schuldenbremse wurde bis ins Jahr 2020 angewandt.

Schon bevor das Coronavirus zuschlug, deutete sich an, dass unser herrschendes Kapital den Unsinn loswerden wollte. Michael Hüther, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts des BDI (Industrieverband) und BDA (Arbeitgeberverband), plädierte öffentlich für mehr Staatsausgaben. Jetzt, da die Corona-Bremse die Volkswirtschaften fast in aller Welt in die Depression zu drücken droht, treten Großindustrie und Banken sogar offen für „Solidarität“ mit anderen EU-Staaten ein. Der größte Vorteil des heimischen Kapitals, der EU-Binnenmarkt, ist in höchster Gefahr. Was linke und halbwegs vernünftige Ökonomen seit Jahrzehnten sagen, wird nun Allgemeingut: Ohne eine massive Stützung dieses Marktes und eine entsprechend furiose Ausweitung der Staatsschulden geht er vor die Hunde.

Der DGB spricht in der jetzigen Situation „Klartext‘: „Trotzdem werden schon wieder Ängste geschürt: Neoliberale Ökonomen warnen vor einer „Belastung zukünftiger Generationen“, CDU-Generalsekretär Ziemiak will schnellstmöglich zur ‚Schwarzen Null‘ zurück und die neuen Schulden am besten bis 2030 wieder abbauen. Der sogenannte ‚Bund der Steuerzahler‘ ist ‚entsetzt‘ über den Nachtragshaushalt und fordert einen ‚ehrgeizigeren‘ Tilgungsplan von der Bundesregierung. Tatsächlich ist aber das Gegenteil notwendig und sinnvoll.“ Die Tilgung der jetzt aufgenommenen hohen Schulden könne locker über viele Jahrzehnte gestreckt werden.

Anders gesagt: Es kommt in der aktuellen Situation nicht darauf an, die Zahlungsfähigkeit des imperialistischen Staates zu sichern, sondern dafür zu kämpfen, dass seine erhöhten Ausgaben in den Aufbau und die Festigung der sozialen Infrastruktur, in Gesundheit, Bildung und Umweltschutz fließen.

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"Die Schuldenbremser", UZ vom 26. Juni 2020



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