Bittere Erfahrungen

Die Schande von Gijón

Von Karl Rehnagel

Bitter: Die Logik, dass die Medaille immer zwei Seiten hat, wurde schon vor Beginn bestätigt: Meine Ex-Freundin saß neben der schönen M. am Tisch, als ich erschien. Mein rosaroter Schleier verwandelte sich in eine Farbe, die mit Wehrmachtsgrau nicht schlecht beschrieben ist. Bei der Stimmung, die fortan am Tisch herrschte, hätte der BVB eigentlich mit 18:0 gewinnen müssen, aber wir wissen alle, er versagte ein weiteres Mal auf allen Ebenen. Warum, zur Hölle, hatte ich nicht Lotto gespielt? An so einem Tag wären sechs Richtige eine angemessene Schmerztablette gewesen für Exfrauen und Nichtfußballer. Die letzten 20 Minuten des Spiels dauerten gefühlt 387 Stunden und erinnerten an die „Schande von Gijón“: eine Art Nichtangriffspakt hatte Hoffenheim und den BVB heimgesucht, als die Spieler merkten, dass ein 3:1 beiden Teams für die Champions-Leage reichte. Bitter.

Bitter auch für die Frankfurter: Der FC Steuerhinterziehung München verliert sein letztes Spiel „überraschend“ gegen Stuttgart, die erste Niederlage zu Hause nach 38 Heimspielen. Die Münchener klauen Frankfurt damit nicht nur den Trainer zur nächsten Saison, sondern auch den 7. Tabellenplatz, den nun Stuttgart innehat. Und damit die Berechtigung zur Teilnahme beim internationalen Geldscheffeln.

Bitter, aber erwartet: der HSV und Wolfsburg gewinnen beide ihre Spiele, ersterer steigt ab, zweiterer geht in die Relegation gegen Holstein Kiel. Leipzig haut Berlin sechs Dinger rein und wird sechster und Leverkusen versaut sich mit einem 3:2 selber die Königsklasse. Schalke spielt gefühlt das 823. mal 1:0 und wird Vizemeister. Also eigentlich Meister, denn der erste Platz wird ja bereits vorher an Bayern vergeben. Irgendwo habe ich den schönen Satz gelesen, dass Kinder, die jetzt eingeschult werden, nur Bayern München als Meister kennen. Bitter.

Bitter und unerwartet: Die schöne M. nimmt das Erscheinen meiner Ex zum Anlass, den Fernseher, ihren Hund oder die Bedienung anzustarren, nur mich nicht. Ein hässlicher Saisonabschluss. Abends, solo auf einer Hochzeitsfeier, fragt mich die frische Ehedame, warum ich meine Frau nicht mitgebracht habe. Ich wollte ob ihrer Leibesfülle mit einem „Und du bist schwanger, wie toll!“ parieren, aber das fantastische Buffet in ihrem Rücken ließ mich in letzter Sekunde umdenken. Vollgefuttert, mit einem Glas weißen Burgunder auf den schönen Dortmunder Kanal starrend, endet der Abend, der eigentlich deutlich länger dauern sollte. Mir geht es gerade wie dem BVB: Satt ja. Aber irgendwie auch … bitter.

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"Die Schande von Gijón", UZ vom 18. Mai 2018



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