Inszenierter Flügelkampf in Baden-Württemberg nutzt der AfD

Die Sagbarkeitsgrenzen verschieben

Von Manfred Sohn

Nach den Wahlerfolgen der „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei den Landtagswahlen im März und ihrem Programmparteitag richteten sich einige Hoffnungen und Befürchtungen derer, die diese Partei beobachten, auf Baden-Württemberg. Diejenigen, die den Aufstieg dieser zur Partei gewordenen Stahlhelm-Fraktion der alten Dregger-CDU mit Sorge beobachteten, hatten gehofft, dass die Spaltung der frisch gewählten AfD-Landtagsfraktion mit ihrem Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen an der Spitze, der Beginn einer erfolgreichen Selbstzerfleischung der Partei sein könnte. Die Sorge war nicht unbegründet, wie die entsprechenden Befürchtungen der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF), die so eine Art Zentralorgan der neuen Rechten geworden ist, zeigten. Dort gab es beschwörende Rufe, die Spaltung zu beenden und einen klaren Trennungsstrich zu den – so auch die JF – offen antisemitischen Äußerungen ihres Fraktionsmitgliedes Wolfgang Gedeon zu ziehen.

Nun sind beide Fraktionen politisch wieder vereint, Jörg Meuthen ist erneut nicht nur AfD-Bundesvorsitzender, sondern im Südwesten auch Fraktionsvorsitzender, Gedeon bleibt fraktionslos. Diejenigen, die in seinen Äußerungen nichts Aufregendes entdecken konnten, sind wieder in der Fraktion. Der Vorgang könnte unter der Rubrik „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ abgelegt werden. Er könnte auch genutzt werden, um genauer die Konfliktlinien nachzuzeichnen – in der weiter bestehenden Hoffnung, entlang dieser Linie könnte es doch noch eine Spaltung und damit Schwächung dieser Partei geben, die zum Sprung in den Deutschen Bundestag ansetzt und gegenwärtig in den Umfragen noch vor der Partei „Die Linke“ und den „Grünen“ gehandelt wird.

Beides würde den Blick verstellen auf die viel dramatischeren Lehren, die die Spaltung und nun – vielleicht sogar nur vorübergehende – Wiedervereinigung dieser Landtagsfraktion vermittelt.

In Köln hat es vor einiger Zeit eine heftige in den Medien ausgetragene Auseinandersetzung gegeben, nachdem junge Antifaschisten eine Podiumsdiskussion mit AfD-Mitgliedern beendet hatten. Es ging in der Debatte um die Frage der Meinungsfreiheit, zu der es im „Kölner Stadtanzeiger“ am 15. Juni folgende Wortmeldung von Naika Foroutan gab, die von dem Abbruch der Diskussion als Podiumsteilnehmerin betroffen war, aber Verständnis dafür hatte, der AfD „öffentliche Bühnen zu entziehen“. Sie legte den Mechanismus offen, durch den es der AfD unter kräftiger Mithilfe der meisten Medien der Republik gelingt, Aufmerksamkeit und am Schluss sogar Zustimmung hervorzurufen: „Dazu gehören inszenierte ‚Flügelkämpfe‘ zwischen dem Führungspersonal der AfD. Sie dienen dazu, rassistische Positionen vorzutragen, die im ersten Schritt für Empörung und Aufmerksamkeit sorgen. Im zweiten Schritt kommen die Schein-Beschwichtiger der AfD und platzieren das Gedankengut ihrer Partei mit einer vermeintlich erklärenden Position breitflächig im Diskurs. Damit verschieben sich nach jeder Provokation die Sagbarkeitsgrenzen mit den Koordinaten. ‚Das wird man doch wohl noch sagen dürfen‘ und ‚Den oder das kann man doch nicht ernst nehmen‘. Der Protestraum wird damit immer weiter eingeengt, und die menschenverachtenden Positionen der AfD erscheinen als immer weniger radikal.“

Unter diesem Gesichtspunkt ist es müßig, sich an den weidlichen Spekulationen zu beteiligen, ob in diesem Baden-Württemberger Schmierentheater nun Frau Petry oder Herr Meuthen obsiegt hätten. Das wesentliche Ergebnis ist ein anderes: Diese ganze Debatte hat keinen Schaden für die Partei angerichtet. Ob Antisemitismus oder nicht – noch während der Spaltungsdebatten im Südwesten wurde die AfD Anfang September vor der CDU zweitstärkste Partei bei den dortigen Landtagswahlen im Nordosten, zog eine Woche später überall dort, wo sie angetreten war, in die Rathäuser und Kreistage in Niedersachsen ein, „triumphierte auch in Berlin und zieht in das zehnte Landesparlament ein“, wie die JF am 23. September stolz titelte.

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"Die Sagbarkeitsgrenzen verschieben", UZ vom 21. Oktober 2016



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