Was haben Polizisten vor Gericht, Chefärzte bei Notdienstverhandlungen und die rechte israelische Regierung gemeinsam? Für sie alle gelten andere Wahrheiten als für den Rest der Welt. Beweise für aufgestellte Behauptungen? Unnötig, denn sie haben qua Definition und Amt immer recht. Kritik an von ihnen geäußerten Thesen? Anmaßend, unverschämt, ehrabschneidend oder gar antisemitisch.
Wer einmal das Missvergnügen hatte, bayrischen USK-Beamten bei ihren Aussagen vor Gericht beizuwohnen, gibt auf die gerne beschworene „Unabhängigkeit der Justiz“ nicht mehr viel. Denn dann hat man erlebt, wie schlecht einstudierte, aufeinander abgestimmte Aussagen vom mitgebrachten Zettel abgelesen werden und die Richter den Polizisten trotz allem mehr Glauben schenken als anderen Zeugen. Genauso ergeht es immer häufiger Kolleginnen und Kollegen vor deutschen Gerichten und in Notdienstverhandlungen, wenn ihnen per einstweiliger Verfügung ihr Grundrecht auf Streik genommen werden soll. Das Grundschema: Die Klinikleitungen und ein Heer von Anwälten versuchen, gestützt auf ärztliche Aussagen, nachzuweisen, dass die von ver.di und den Streikleitungen festgesetzten Mindestbesetzungen untragbar seien, da sie das Patientenwohl gefährden. Dahinter steht das Kalkül, auf Richter zu treffen, die von der medizinisch-pflegerischen Materie keine Ahnung haben und deshalb blind den Aussagen der Chefärzte glauben.

Vor Kurzem hat sich ein Berliner Gericht zu einer ganz besonderen juristischen Posse berufen gefühlt: Die streikbereiten Beschäftigten der CFM (Charité Facility Management) wurden von der Klinikleitung der Charité beschuldigt, mit ihrem Streik die Patientensicherheit zu gefährden. Das Gericht entschied daraufhin: zwar sei der Streik grundsätzlich zulässig, aber es müssten am Streiktag mehr (!) Beschäftigte im Dienst sein als zu anderen Zeiten, um das Patientenwohl nicht zu gefährden. In zunehmendem Maße verlassen sich Gerichte auch bei grundsätzlichen Fragen zu Streik und Streikrecht auf die Aussagen von Chefärzten und Klinikleitungen, ohne kritisch zu hinterfragen, ob diese nicht womöglich ein von der Patientensicherheit völlig unabhängiges, nämlich ökonomisches, Eigeninteresse haben könnten, die Streiks möglichst ineffektiv zu gestalten. Aber warum sich die Mühe machen, die Argumente und Fakten der direkt betroffenen Pflegekräfte und Servicekollegen zu prüfen, wenn es so viel leichter ist, dem Herrn Chefarzt zu glauben, mit dem man am Wochenende wieder zum Golfspielen verabredet ist? Es lebe die Unabhängigkeit der Justiz.
Immerhin gibt es hierzulande keine gezielten Tötungen von Kolleginnen und Kollegen im Dienst. Anders als in den besetzten, palästinensischen Gebieten, wo kürzlich mehrere Rettungskräfte des Roten Halbmonds durch israelische Soldaten ermordet und anschließend verscharrt wurden. Der Überfall wurde durch das weiterfilmende Handy eines getöteten Rettungssanitäters auch dann weiter dokumentiert, als dieser bereits erschossen war. Über das Video fanden die so dokumentierten Taten israelischer Soldaten den Weg zur UN und der Weltöffentlichkeit. Keine offizielle, bis dahin getätigte Aussage der rechtsextremen israelischen Regierung zu dem Vorfall hielt im Verlauf der Untersuchung einer Überprüfung stand. Dennoch steht die deutsche Regierung fest zur Staatsräson bedingungsloser Unterstützung dieser Regierung. Diese geht so weit, sich von den rechten Kräften dort diktieren zu lassen, welcher Redner im Rahmen der Buchenwald-Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung eingeladen werden darf. So wurde der bekannte israelische Philosoph Omri Boehm auf Betreiben der israelischen Botschaft ausgeladen. Gut möglich, dass er dieses Schicksal bald mit russischen Vertretern und Überlebenden des Faschismus teilt. Auch hier gilt mit dem Genossen Lenin: Die Wahrheit ist immer konkret.