„Streik in der Klinik, Streik in der Fabrik – das ist unsere Antwort auf eure Politik!“ 500 Beschäftigte der sechs Unikliniken Nordrhein-Westfalens skandieren diese Losung mit, laut und kraftvoll. Sie haben sich auf der Friedrich-Ebert-Straße in Düsseldorf versammelt, vor dem DGB-Haus.
Es ist kurz nach halb elf an diesem Freitag, dem 10. Juni. Der Himmel ist leicht bewölkt. 18 Grad. Bestes Demowetter. Die Kolleginnen und Kollegen der Unikliniken Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster sind zumeist per Bus angereist. Es ist die siebte Woche ihres unbefristeten Streiks für einen Tarifvertrag Entlastung, der für alle Klinikbeschäftigten gelten soll – nicht nur für Krankenpfleger. 1.500 Kollegen streiken heute.
Die 500 sind in die Landeshauptstadt gekommen, um der neuen Landesregierung klar zu machen: Wir streiken, bis ihr unsere Forderungen refinanziert. Der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Werneke wird später auf der Abschlusskundgebung sagen, dass diese Tarifbewegung ein Ausdauerlauf sei: „Wir gehen nie wieder weg!“
Trotz des langen Streiks ist die Stimmung auf der Demo fröhlich und kämpferisch. Von Müdigkeit keine Spur. „Könnt ihr noch?“, fragt ein Kollege aus Köln. Ein fünfhundertfaches „Ja!“ schallt durch die Straßen. Seit Monaten druckse die Landesregierung herum, kritisiert der Kollege. Die Arbeitsbedingungen sind dermaßen miserabel, der Druck auf die Beschäftigten so groß, dass ihr Streik den Kollegen alternativlos erscheint. Einige erzählen in Redebeiträgen aus ihrem Arbeitsalltag. Es sind erschütternde Berichte, die ein düsteres Bild vom desolaten Zustand unseres Gesundheitssystems malen.
Radiologieassistentin Maria sagt: „Wir möchten nicht mehr alleine an den Geräten arbeiten.“ Ohne assistierende Kollegin müsse öfter nachjustiert werden. Patienten würden öfter geröntgt als notwendig, die Strahlenbelastung steige. Die Fehlerquote auch. Das gefährde das Leben ihrer Patienten.
Viola arbeitet in der Allgemeinen Chirurgie. „Eure Jugend wird nicht ausgebildet, sondern ausgebrannt und ausgebeutet!“, ruft sie. Ihre Kollegin Carina ist Auszubildende. Der Personalmangel zwinge sie dazu, sich fachliche Expertise selbst anzueignen. Sie frage sich jetzt schon, wie sie ihr ganzes Leben lang im Klinikum arbeiten solle. Manchmal stehe sie 20 Stunden lang im OP.
Monika arbeitet in der Physiotherapie. Gesundheitsminister Laumann behaupte, es sei kein Geld da, um ihre Forderungen umzusetzen. Dabei könne man die alleine von der Steuersenkung auf Krafstoffe, die jetzt die Bilanzen der Ölkonzerne aufhübsche, auf Jahrzehnte finanzieren. Carola verweist auf die 100 Milliarden, die die Bundesregierung mal eben so für Rüstung locker mache. „Aber für uns ist kein Geld da! Das ist verlogen wie nur irgendwas.“ Sie erinnert daran, dass noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sechs Unikliniken auf einmal bestreikt wurden. Ihr ist die Signalwirkung des Streiks bewusst: „Die ganze Republik schaut auf uns.“
Viele der Rednerinnen betonen, dass man nicht für den eigenen Geldbeutel streike, sondern für die Patienten. Früher oder später landet jeder mal im Krankenhaus und hofft auf gute Versorgung. Das ist vielen Passanten in der Düsseldorfer Innenstadt bewusst. Viele bleiben stehen, lesen Schilder und Transparente oder hören Redebeiträgen zu. Viele äußern Zuspruch, klatschen, winken oder nicken. Manche reihen sich sogar in die Demo ein und laufen ein Stück mit.
Diese Solidarität tut Not. Klar ist: Von sich aus wird die neue Landesregierung die Forderungen von ver.di nicht umsetzen. Das illustrieren zwei Zwischenstopps der Demo. Der erste wird vor der Landeszentrale der Grünen eingelegt. Deren Pressesprecher Jan Miebach kommt heraus, bekommt ein Mikrofon in die Hand gedrückt und sagt, was Pressesprecher eben so sagen: Laufende Koalitionsverhandlungen, da könne er nicht vorgreifen, das Anliegen werde thematisiert, seine Frau sei Ärztin. Beim zweiten Stopp am Finanzministerium kommt niemand raus.
Auf der Abschlusskundgebung im Hofgarten ist dann die Rede von einem ersten Angebot der „Arbeitgeberseite“. Nach sechs Wochen Streik endlich ein Angebot zu erhalten sei ein Erfolg, sagt Frank Werneke. Das Angebot sieht fünf zusätzliche freie Tage pro Jahr vor – aber nur für Pflegende, nicht für Beschäftigte in der Diagnostik, der Küche und anderen Bereichen der Kliniken. „Die Streikbewegung kann aber nicht gespalten werden!“ Wieder lautstarke Zustimmung, fünfhundertfach. Die Verhandlungen werden weitergeführt, der Streik auch. „Wir werden erfolgreich sein“, macht Werneke Mut.
Der Streik in den Kliniken für Entlastung bleibt die richtige Antwort auf die desaströse Gesundheitspolitik.