Die Ausstrahlungskraft des Programms hat unter dem Reformismus gelitten – es muss überarbeitet werden

Die revolutionäre Strategie schärfen und aktualisieren

Von Klaus Mausner

Einen positiven Effekt hat der Diskussionsbeitrag von Björn Blach und Paul Rodermund mit seiner z. T. erfrischend-respektlosen, z. T. aber auch etwas saloppen Art auf jeden Fall schon erreicht: Er hat die notwendige breite Diskussion über unsere antimonopolistische Strategie heftig angefacht.

Ein Hauptproblem unserer Strategie-Diskussion besteht darin, dass es offenkundig zwei sich in letzter Konsequenz diametral widersprechende Interpretationen der antimonopolistischen Strategie gibt:

• Eine reformistische Variante in Form der „Transformationstheorie“, die zwar v. a. in der Europäischen Linkspartei die Linie vorgibt (darin verschwimmt die Machtfrage bis zur Unkenntlichkeit, z. B. beim Thema EU „Europa neu gründen“), die sich aber auch in Teilen der DKP z. B. in den „Thesen“ des ehemaligen PV-Sekretariats widerspiegelt.

• Und eine revolutionäre Orientierung der DKP heute, die aber als unsere antimonopolistische Strategie im Sinne einer revolutionären Überwindung des Imperialismus neu präzisiert werden muss.

Leider haben sich einige tendenziell reformistische Illusionen auch im Kompromisscharakter unseres aktuell gültigen Parteiprogramms von 2006 niedergeschlagen, wie z. B. die pauschale Zuordnung von „kleinen und mittleren Unternehmen“ (als) „Kräfte des Fortschritts“ oder manche nette Wunschvorstellung wie „Selbstbestimmung am Arbeitsplatz“ und einiges mehr (im Kapitalismus!?) im Abschnitt zur „Wende“.

Deswegen wird es in unserer aktuellen Debatte auch um die mittelfristig anstehende revolutionäre Klärung und Überarbeitung unseres Programms gehen. Und es geht außerdem darum, eben keine „Transformationsstrategie mit verbalrevolutionärem Schwänzchen“ zu kreieren.

Zwei Grundprämissen

Zwei Grundprämissen scheinen mir deshalb für die Strategiediskussion unserer KP unverzichtbar:

1. Die möglichst präzise Klassenanalyse der aktuellen politökonomischen Situation unseres Landes. Dabei ist unstrittig, dass wir es mit einem hochentwickelten, monopolistisch dominierten Zustand und einer komplexen Verflechtung mit dem Staatsapparat auf allen Ebenen zu tun haben. Der Begriff „Stamokap“ umschreibt das in allgemeiner Form, die heutige Ausprägung des deutschen Imperialismus auch mit seinen internationalen/transnationalen Verflechtungen müsste allerdings in vielen Aspekten noch gründlicher analysiert werden, auch mit seinem explosiv zunehmendem Aggressions- und Zerstörungspotential nach innen und außen, bis zur Atomkriegsgefahr.

2. Die kapitalistischen/imperialistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse sind nicht ohne revolutionären Bruch zu überwinden. Es wird kein irgendwie geartetes parlamentarisch-demokratisches (oder wie auch immer) „Hineinwachsen“ in einen nachkapitalistischen bzw. sozialistischen Entwicklungsweg geben. Damit sind wir aufgefordert, über Art und Weise dieses Bruchs genauer nachzudenken, über das Herankommen und die Lösung der Machtfrage, so realistisch wie möglich, ausgehend von heutigen Bedingungen in eine vorstellbare Zukunft.

Selbst wenn das immer auch pro­gnostische Züge trägt – und deshalb mit gewissem dialektischem Vorbehalt versehen werden muss –, so ist dennoch für unsere heutige politische Praxis der Kompass einer möglichst stimmigen realistischen Strategie unverzichtbar. Sie bestimmt nicht nur unser heutiges taktisches Vorgehen, sondern trägt auch entscheidend zu unserer Ausstrahlungskraft auf die neu zum Antikapitalismus stoßenden Teile der Linken und in der nach Perspektiven suchenden Jugend bei.

Diese Ausstrahlungskraft hat in den letzten Jahren durch unsere innere Zerstrittenheit bzw. durch unverkennbar reformistische Tendenzen in Teilen unserer Partei („Marxistische Linke“) deutlich gelitten.

Aus Punkt 1. folgert meiner Meinung nach zwingend, dass wir nicht nur eine antikapitalistische Strategie (Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit), sondern eben eine dezidiert antimonopolistische Strategie brauchen (Hauptwiderspruch der übergroßen Gesellschaftsmehrheit zu den Monopolen). Zwischen diesen beiden Aspekten gibt es ein unvermeidliches dialektisches Spannungs- und Wechselverhältnis.

Das stellen auch Björn und Paul fest: „In diesem Sinne ergibt sich logisch eine antimonopolistische Strategie, die die Arbeiterklasse als zentrale Kraft im Klassenkampf begreift, die andere werktätige Schichten als Bündnispartner zu gewinnen versucht.“

Konsequenzen ziehen

Leider setzen Björn und Paul im Folgenden ihres Beitrags nicht mit der nötigen Konsequenz ihre eigene logische strategische Schlussfolgerung um, verheddern sich zu sehr in der Aus­einandersetzung mit der Vorstellung einer „antimonopolistischen Demokratie“ (die im aktuellen Parteiprogramm bewusst nicht mehr genannt wird), der Einschätzung der heutigen Kräfteverhältnisse und des unmittelbar heute Durchsetzbaren und der komplizierten Bündnis-Einschätzung der „kleinen und mittleren Bourgeoisie“, sodass sie in Teilen ihrer eigenen logisch-strategischen Schlussfolgerung sogar widersprechen. Dies ist z. B. der Fall, indem sie die aktuell-strategische Phase des Kampfes um die „Wende“ als „illu­sionär“ bezeichnen und zum Schluss direkt antimonopolistische Losungen in Frage stellen, weil sie „doch gerade in Kleinbetrieben auch zu einiger Verwirrung beitragen“ könnten.

Also was denn nun?

Meiner Ansicht nach gibt es keine vernünftige realistische Alternative zu einer antimonopolistischen Strategie, auch wenn sorgfältig unter die Lupe genommen werden muss, wo sich womöglich in den letzten Jahren tendenziell reformistische Illusionen z. B. in die Ausgestaltung der „Wende“-Vorstellungen im Programm eingeschlichen haben.

Von reformistischem Beiwerk entschlacken

Bei einer Präzisierung bzw. Aktualisierung müsste es sicher auch um ein „Entschlacken“ von solch reformistischem Beiwerk gehen. Wenn der Hauptstoß unserer Strategie sich logischerweise gegen die Herrschaft des Monopolkapitals und des von ihm dominierten Staates gehen muss („Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“), so ist dies kein Widerspruch zu grundsätzlich antikapitalistischer Stoßrichtung („Machen wir den Bossen Dampf – Klassenkampf!“). Sondern es geht – mit Lenin gesprochen – zuallererst um die „Kommandohöhen der Ökonomie“, bevor „der große Rest“ der kapitalistischen Gesellschaft in einem weiteren (evtl. länger dauernden) Umwälzungsprozess in Angriff genommen werden kann.

Wenn es z. B. gelänge, die 100 größten Monopole unseres Landes der Finanz-, Industrie-, Energie-, Handels- und Medienkonzerne und des Militär-Industrie-Komplexes in öffentliches Eigentum zu überführen und einer revolutionär-demokratischen Kontrolle (und Planung) zu unterwerfen, dann wäre ein gewaltiger und in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender erster Schritt in Richtung Überwindung des Kapitalismus und in Richtung Sozialismus geschafft, auch wenn dann immer noch eine große Zahl von kleinen und mittleren Kapitalisten (zunächst) weiterexistieren würde.

Aber mit der Durchsetzung dieses entscheidenden qualitativen Schritts wären die wichtigsten polit-ökonomischen Voraussetzungen gegeben, um über Wirtschafts-, Steuer- und Sozialgesetze die Gesamtbedingungen der (zunächst noch weitestgehend) kapitalistischen Gesellschaft einer gesellschaftspolitischen Veränderung zu unterziehen, die weitere revolutionäre Schritte in Richtung Sozialismus möglich machen würde.

Doch schon bei dieser Vorstellung liegt klar auf der Hand, dass das eine qualitative Veränderung der politischen Rahmenbedingungen der Klassen-Kräfteverhältnisse zur Voraussetzung hätte. Und zwar nicht nur eine viel stärkere und in der Arbeiterklasse verankerte KP mit einflussreichen Betriebsgruppen in allen wichtigen Konzernbetrieben, eine entsprechend kämpferische Gewerkschaftsbewegung mit starken Bündnisbeziehungen zu großen Teilen der technischen/wissenschaftlichen/künstlerischen und Medienintelligenz, sondern auch zu kleinen Selbstständigen/Handwerkern und Gewerbetreibenden und kleinen Bauern (und Genossenschaften). All das wäre nur vorstellbar vor dem Hintergrund einer revolutionären Situation (wo die Oberen nicht mehr so weitermachen können und die Unteren nicht mehr so weitermachen wollen).

Politische Machtfrage klären

Damit kommen wir zu den Schlussfolgerungen aus Prämisse 2. Klar ist, dass eine bloß quantitative Veränderung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie unter Beibehaltung des bürgerlich-kapitalistischen Staatsapparats diesen Bruch nicht zulassen würde. Schon das Ansinnen dieses antimonopolistischen Bruchs wird den wütenden und mit allen Mitteln operierenden Widerstand der herrschenden Klasse hervorrufen. Die aktuellen Übungen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur „Terrorbekämpfung“ lassen ahnen, was im Kontext der Notstandsgesetze seit 1968 „Staatsräson“ ist, nämlich mit allen notfalls auch bewaffneten Kräften einen sozialen Umsturz im Keim zu ersticken.

Es braucht also ein entsprechend gewaltiges Potential und Übergewicht zur Überwindung dieses zu erwartenden Widerstands. Theoretisch vorstellbar wäre die Bildung einer revolutionär-demokratisch-antimonopolistischen Regierung unter Beteiligung einer starken KP, die mit entschlossenen Maßnahmen vorwärtsgeht und sich nicht nur auf eine breite Parlaments-Repräsentanz stützen kann, sondern vorrangig von einer mächtigen außerparlamentarischen Bewegung mit Schwerpunkt in kämpferischen Basisstrukturen, v. a. in den Betrieben, aber auch in den Stadtteilen und Kommunen getragen wird (Räte?). Hier hilft vielleicht das Stichwort Lenins von einer „revolutionären Demokratie der Arbeiter und armen Bauern“ weiter. Heute wären darunter sicher eine revolutionäre Demokratie der Arbeiterklasse im Bündnis mit großen Teilen der Intelligenz und der kleinen Selbstständigen zu verstehen. In welcher Relation sich diese revolutionäre Demokratie zu Teilen der kleinen und mittleren Bourgeoisie verhalten würde, hängt nicht nur von uns ab. In unserem Interesse anzustreben wäre, dass zumindest Teile dieser nichtmonopolistischen Bourgeoisie sich nicht zu Werkzeugen der Konterrevolution machen ließen. In unserem Interesse läge es zumindest, den Exponenten der kleinen und mittleren Bourgeoisie eine unter Umständen längere Perspektive in einem zunehmend sozialistischen Vergesellschaftungs- und Umwälzungsprozess anzubieten (mit sozialer, antimilitaristisch-friedlicher, demokratischer, ökologischer und feministischer Stoßrichtung).

Machtfrage an der Basis klären

Für diesen Umwälzungsprozess ist es notwendig, schon heute über Basisstrukturen nachzudenken, wie sich die „Volkskräfte“ unter Führung einer kämpferischen Arbeiterbewegung organisieren können. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hat uns gegenüber auch in dieser Hinsicht einen gewissen Vorlauf.

Über viele Machtaspekte einschließlich des komplizierten Problems, wie wir einer möglichen bewaffneten Konterrevolution begegnen können, ist weiter nachzudenken. Aber unterm Strich scheint klar, dass die Erringung der politischen Macht (Bevölkerungsmehrheit) einschließlich ihrer Absicherung vor der Durchsetzung der entscheidenden ökonomisch-antimonopolistischen Umwälzungen erkämpft sein muss. Diese Überlegungen unterstreichen, dass wir entlang dieser strategischen Orientierung noch über viele Teilaspekte außerordentlich sorgfältig zu debattieren haben, dass wir aber andererseits gemäß unserer Hauptstoßrichtung gegen die Monopole und „ihren Staat“ auch keine Angst vor antimonopolistischen Parolen haben dürfen und unsere heutige Praxis bereits danach ausrichten müssen.

Es gibt meiner Meinung nach keine vernünftige Alternative zu diesem längerwierigen Weg unserer Neuverankerung in der Arbeiterklasse und einer klassenmäßigen Bündnispolitik. Jeder Versuch einer ungeduldigen „Abkürzung“ würde zu unserer Selbstisolierung und zum Schaden für die Sache der Überwindung des Kapitalismus führen. Die Idee von Björn und Paul einer „Guerilla-Taktik“, ausgehend von Gramsci, ist zwar originell, kann aber eine strategische Konzeption nicht ersetzen.

Kampf um die „Wende“ verteidigen

Zur strategischen Überlegung einer „Wende“ etwas ausführlicher. Trotz berechtigter Einzelkritik an eventuell illusionären Teilformulierungen unseres Parteiprogramms ist festzuhalten: Der strategische Grundgedanke des Kampfes um die „Wende“ als heute aktuelle Phase der antimonopolistischen Strategie besteht in der Dialektik des Kampfes gegen die fortwährenden Angriffe und Zumutungen des unter „Neoliberalismus“ firmierenden Stamokap – und der darin zu gewinnenden Sammlung von Kampferfahrungen, von Organisationskraft sowie Klassenbewusstsein, um aus der heutigen Defensivsituation herauszukommen, eine entscheidende Veränderung der Kräfteverhältnisse zu erkämpfen und damit die Arbeiterklasse plus Verbündete wieder in die Offensive zu bringen. Dieser Kampf um die „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ wäre dann die entscheidende Voraussetzung und Ausgangslage, um den Kampf für weitergehende antimonopolistische Umwälzungen aufnehmen zu können – letztlich den Kampf um den Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen.

Unser Parteiprogramm

Zur Verdeutlichung noch eine Bemerkung zu unserem Parteiprogramm: Noch so berechtigte Kritik an Einzelaspekten unseres aktuellen Parteiprogramms (als Kompromiss von 2006) darf nicht in Zweifel ziehen, dass die überwiegende Gesamttendenz unseres Programms auf den Lehren von Marx, Engels und Lenin fußt und somit als revolutionär und marxistisch-leninistisch zu verteidigen ist. Dies muss auch sorgfältig im Sinne der Verteidigung unserer Identität als DKP bedacht werden. Wir Marxisten-Leninisten sind die eigentliche „Programmpartei“ – mit viel größerem Recht als die sich auf Teilformulierungen berufenden „Thesianer“ und „Ma(rxistische)Li(nke)-Vertreter“!

Zum Schluss noch zum Verhältnis von Theorie und Praxis: Es ist sicher richtig, dass es uns bei unserer aktuellen Schwäche auch an revolutionärer Praxis mangelt. Aber ich halte es für unrichtig, daraus abzuleiten, dass wir erst dann wieder unsere revolutionäre Theorie schärfen können, wenn wir über mehr revolutionäre Praxis verfügen. Eher umgekehrt wird ein Schuh daraus: „Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis!“ (Lenin) Ohne unsere wissenschaftliche Weltanschauung kein Kompass für die Praxis, ohne die Geburtsurkunde des „Kommunistischen Manifests“ keine Herausbildung der kommunistischen Arbeiterbewegung. Die fast 170 Jahre seither, die über 70 Jahre Sowjetunion, über 40 Jahre Realsozialismus in Europa, bald 70 Jahre Volksrepublik China, Volksfront-Regierungen in Spanien, Chile usw. sowie die Geschichte unserer eigenen Partei liefern schon eine riesige Menge von praktischen Erfahrungen (im Guten wie im Schlechten), die es allerdings mit dem richtigen revolutionären Maßstab auszuwerten gilt.

Deshalb brauchen wir heute gleichzeitig eine Schärfung unserer revolutionären Theorie und die Neu- und Wiederentfaltung unserer revolutionären Praxis, vor allem in der Arbeiterklasse.

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"Die revolutionäre Strategie schärfen und aktualisieren", UZ vom 24. März 2017



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