Das letzte Aufgebot des Finanzkapitalismus

Die „Rettungspakete“ gegen die Krise

Conrad Schuhler

Am 28. Mai wurde Conrad Schuhler, der Mitbegründer des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw), 80 Jahre alt. Aus diesem Grunde dokumentieren wir einen Auszug aus dem isw-Report 121 „Finanzcrash. Rezession.Pandemie.“ Wir gratulieren Conrad, der von 1988 bis Ende 1989 Chefredakteur der UZ war, zu seinem Geburtstag.

Schon 2008 war das Rettungspaket des internationalen Finanzkapitals für das bedrohte System eindrucksvoll. Insgesamt gut 5 Billionen Dollar fanden damals in kurzer Zeit zu den von der Insolvenz bedrohten Konzernen, die „too big to fail“, zu groß waren, um fallengelassen zu werden. Vor allem die Banken, die Hauptverursacher der Krise, kamen in den Genuss der Hilfe, und erhielten so die Munition, um sofort ein weiteres Mal Finanzblasen zu entfachen. Die Gelder gingen zum geringeren Teil in die materielle Produktion, der Großteil sorgte für die spekulative Preissteigerung der Vermögenswerte, wie an den Aktien- und Immobilienwerten abzulesen. „Dieses Mal ist alles anders“ war der Schlachtruf der Finanzstrategen, um genau wieder das Übel der Misere als sein Heilmittel auszugeben. Und heute, 2020, erleben wir es von Neuem. Mit einer gigantischen Kreditoffensive sollen die Wirtschaftsakteure aus der Misere gezogen werden. Der Staat, und das heißt: der Steuerzahler, übernimmt die Schulden. Die Kredite kommen wieder nicht in die reale Wirtschaft. Die Schulden steigen, die Wirtschaft stagniert oder geht erheblich zurück; die Staaten wollen wegen des Schuldenabbaus wieder Austeritätsprogramme auflegen, der „Sozialklimbim“ muss reduziert werden, um das Rot wieder aus den Staatsbilanzen zu entfernen. Dieser Kreislauf – Spekulationsblasen, Crash, Rettung per öffentliche Schulden, Austeritätsprogramme – wird soeben auf historisch erstmaliger Höhe im entscheidenden Akt, nämlich der „Rettung“, fortgeführt.

Die Hilfspakete

Eine Liste ausgewählter „Retter“ bestätigt, dass wir es mit Summen zu tun haben, wie sie noch nie im Krisenfall mobilisiert wurden:

  1. Die USA. Die US-Notenbank FED hat Ende März 2020 Abend für Abend für 125 Milliarden Anleihen aufgekauft (Spiegel 4.4.2020). Würde sie dieses Programm 30 Tage fortführen, hätte sie damit allein 3,75 Billionen US-Dollar in den Markt gepumpt. Der US-Kongress hat ein „Hilfsprogramm“ von 2 Billionen Dollar beschlossen, die Trump-Regierung will noch 250 Milliarden Dollar draufpacken. (Microsoft News, 8.4.2020) Die FED hat bekanntgegeben, dass sie zusätzlich 2,8 Billionen Dollar an Krediten zur Verfügung stellt.
  2. Deutschland. Der Bundestag hat ein Programm über 1,2 Billionen Euro beschlossen.
  3. Der Internationale Währungsfonds (IMF). Der IMF hat 1 Billion Dollar an Krediten im eigenen speziellen Coronakrisen-Angebot. Sein „Fiscal Monitor“ zeigt, dass die Hilfsmaßnahmen der verschiedenen Länder sich auf acht Billionen US-Dollar belaufen, wozu noch die Maßnahmen der G20-Länder hinzukommen.
  4. Die EZB. Die Europäische Zentralbank hat Kredite über 750 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Über weitere Maßnahmen, bei denen es um mehr als 500 Milliarden Euro geht, streiten die Regierungen der Eurozonen-Staaten erbittert. Deutschland und Holland sind strikt gegen „Corona-Bonds“, die die Staaten gesamtschuldnerisch in Haft nehmen würden. Dass darüber die EU zerbrechen könnte, ist das eine. (SZ, 8.4.2020) Die EZB plädiert für Stützungsmaßnahmen in Höhe von 1,5 Billionen Euro.

Wir kommen schon mit dieser Aufschlüsselung auf mehr als 10 Billionen US-Dollar, die von Staaten, Notenbanken und internationalen Organisationen ausgeschüttet werden, um „dem schlimmsten ökonomischen Zusammenbruch seit der Großen Depression“ (IMF-Chefin Kristalina Georgieva) zu begegnen. Wo gehen diese gewaltigen Finanzmassen hin?

Aufschluss darüber gibt das „größte Hilfspaket in der Geschichte Deutschlands“, wie das Bundesfinanzministerium die Maßnahmen anpreist. Vieles liegt dort im Dunklen, was zum Beispiel den Komplex der „steuerlichen Hilfsmaßnahmen“ anlangt, der jedenfalls exklusiv an Unternehmen, Selbständige und Freiberufler geht, deren Steuervorauszahlungen angepasst, Steuerzahlungen gestundet und Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt werden können. Was das in Euro und Cent für die Einzelnen ausmacht, wird sich noch herausstellen, aber man muss kein Steuerberater sein, um zu wissen, dass Unternehmen hiervon umso besser Gebrauch machen können, je größer sie sind. Diese Hinwendung an das große Geld wird offensichtlich, wenn man sich die zur Ausschüttung vorgesehenen Beträge und ihre Adressaten ansieht. Da gehen drei Milliarden Euro an die „soziale Sicherung“, 50 Milliarden „Soforthilfe für Selbständige, Freiberufler und kleine Betriebe“ und – 600 Milliarden Euro in einen „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“, der ausschließlich für Unternehmen offensteht. Die vielen Milliarden gehen also vor allem an die, die schon zuvor die größten Vermögen besaßen und die sich wieder als die größten Versager bis hinein in Crash und Rezession herausgestellt haben. Auf ein Neues also.

Allein die obige unvollständige Liste der neuen Rettungspakete kommt auf eine Gesamtsumme von weit über 10 Billionen US-Dollar. Dazu kommt, dass die Leitzinsen sowohl in den USA wie im EU-Raum bei Null liegen, zu diesen Null-Prozent könnten sich die Banken jederzeit Geld bei den Notenbanken besorgen. Nach oben gibt es für Kredite (fast) keine Grenze. Die Regierungen und ihre Notenbanken können so viel Geld beschaffen, wie sie wollen. Mit den 10 Billionen Dollar der oben angeführten Programme kommen wir auf rund 12 Prozent des Welt-BIP. Gehen wir mal davon aus, dass sich im BIP die realen Werte der Güter und Dienste darstellen. Jeder Dollar ist Anspruch auf den realen Gegenwert. Der Anspruch löst sich in dem Maß auf, in dem Dollars (oder Euros oder wie immer die Währungen heißen) das Maß der realen Güter und Dienste übersteigen. Die erste Frage, die den Volkswirt beschäftigen muss bei der Bewertung kreditfinanzierter Rettungsmaßnahmen, ist deshalb die, ob die Kredite die reale Produktion anwerfen. Die Antwort ist bestürzend – das einzige, was sich nach oben bewegt hat, sind die Vermögenspreise. Am 16.3. waren die Börsen tiefer abgestürzt denn je seit dem „Schwarzen Montag“ 1987, der New Yorker Dow Jones wie der Frankfurter DAX um rund 40 Prozent. Auf die „Rettungsmaßnahmen“ reagierten die Börsianer zunächst mit Zukäufen, die die Verluste auf 27 Prozent (DAX) und 25 Prozent (Dow Jones) verringerten. (Spiegel, Nr. 15, 4.4.2020, S. 11) Damit lagen sie immer noch neben dem Finanzcrash 2009 auf einem historischen Tief, nur übertroffen von der Großen Depression um 1930.

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"Die „Rettungspakete“ gegen die Krise", UZ vom 29. Mai 2020



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