Auch für die Integration von Flüchtlingen lässt sich das Geld dort holen, wo es ist

Die Reichen mal zur Kasse bitten

Von Werner Sarbok

In einer atemberaubenden Geschwindigkeit tanzt die Große Koalition nach weitgehend erfolgtem Abbau des Asylrechts weitere soziale Rechte für Flüchtlinge in unserem Land an. Opfer dieser Angriffe ist – über die Flüchtlinge hinaus – die große Masse der arbeitenden Menschen in unserem Land, Nutznießer das große Kapital und unmittelbar die AfD.

„Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen die Praktikumszeiten, bei denen vom Mindestlohn abgewichen werden kann, auf mindestens sechs Monate verlängert werden“, heißt es in dem „Integrationspapier“, das die CDU am Montag vorgelegt hat. Im Vorfeld hatte sie marktschreierisch verkünden lassen, dass der Mindestlohn generell für Flüchtlinge ausgehebelt werden müsse. Diese Provokation scheint nun erst einmal vom Tisch zu sein. Und nun wird ausgerechnet der Agenda-SPD das sozialpolitische Verdienst ans Revers geheftet, diesen Anschlag auf den soeben vereinbarten Mindestlohn abgewehrt zu haben.

Doch die Arbeitsteilung in der Großen Koalition funktioniert. „Wer über Integration redet und über die Finanzierung schweigt, der belügt die Bevölkerung“, sagte Gabriel am Montag in Mainz. Als Kumpan der Herrschenden verschweigt die einst sozialdemokratische SPD selbstredend, wer von der Flüchtlingspolitik der großen Koalition profitiert. Deutlicher kann man ihre Politik und die der großen Koalition nicht mehr charakterisieren: So – gleichgültig zu welchem Zweck – von Finanzierung die Rede ist, wird sie automatisch und ausschließlich der Bevölkerung aufgebürdet.

Das Geld dort zu holen, wo es ist – dieser Gedanke ist natürlich Teufelszeug in den Augen der Regierenden. Ihre Maxime ist das Ziel, dass die Reichen und Mächtigen noch reicher und mächtiger werden.

Und der Erfolg gibt ihnen recht: Das reichste Prozent der privaten Haushalte in Deutschland besitzt mit 9 000 Milliarden Euro ein Drittel des Nettovermögens, Tendenz steigend. Aufgabe erfüllt, Klassenziel erreicht.

Nach dem massenhaften Aufspalten des „Arbeitsmarktes“ in Beschäftigte unterschiedlicher Klassen soll nun unter dem Deckmantel der „Praktikumszeiten“ mit den Flüchtlingen eine Paria-Kaste in den Betrieben etabliert werden. Nach den ostdeutschen KollegInnen, Zeitarbeitern oder Werkverträglern sollen nun die Flüchtlinge als Speerspitze des Lohndumpings in den Betrieben unseres Landes missbraucht werden. Und Andrea Nahles will dazu auch ihren Beitrag leisten. Ihr fällt da allerdings nichts anderes ein, als die auf ganzer Linie gescheiterten Ein-Euro-Jobs aus der Mottenkiste der Hartz-IV-Unrechts-Gesetzgebung zu holen.

Immer weiter wird der Druck erhöht auf die Löhne und auf unser Sozialsystem. Angst wird geschürt und Unsicherheit, die den wachsenden Rassismus nähren. Soziale Teilhabe der arbeitenden Menschen steht nicht auf ihrer Agenda, weder für die hier Geborenen noch für die nach hier Geflüchteten. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung lebt fast jedes fünfte Kind in einem Haushalt, der als einkommensarm gilt. Viele Kinder der zu uns Geflüchteten sind da nicht mitgezählt und doch davon in besonderem Maße betroffen. Über ein Drittel der Flüchtlingsfamilien, die schon länger in der BRD leben, haben ein Einkommen unter der Armutsschwelle.

Ihre Armut steigert den Reichtum der Reichen, wie jede andere Armut auch. Diese Erkenntnis gilt es denjenigen entgegenzusetzen, die mit einer Angst- oder Neiddebatte alles dafür tun wollen, dass das alles so bleibt. Wer etwas verändern möchte, muss den Geldhahn schon aufdrehen – und zwar dort, wo es sich lohnt. Und das lohnt sich dann richtig!

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"Die Reichen mal zur Kasse bitten", UZ vom 19. Februar 2016



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