Die Europäische Union spielt sich mal wieder als Schiedsrichter auf. In einem am vergangenen Sonntag verbreiteten Statement ihres Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, teilt man mit, dass die am 2. August von Venezuelas Wahlbehörde veröffentlichten Ergebnisse der am 28. Juli durchgeführten Präsidentschaftswahlen nicht anerkannt werden könnten, solange nicht alle offiziellen Auszählungsergebnisse aus den Wahllokalen veröffentlicht worden seien. „Jeder Versuch, die vollständige Veröffentlichung zu verzögern, wird nur zu wachsenden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der offiziell publizierten Ergebnisse führen“, so Borrell. Sein venezolanischer Amtskollege Yván Gil teilte ihm daraufhin mit, er solle seine Nase nicht in Dinge stecken, die ihn nichts angingen. „Hier ist ein Volk, das mit Blut und Schweiß seine Unabhängigkeit erkämpft hat. Die von ihnen beschützten Faschisten werden niemals zurückkehren“, teilte Gil über den Internetdienst X (ehemals Twitter) mit.
Dabei hatte sich Borrell immerhin mehr zurückgehalten als US-Außenminister Antony Blinken. Dieser verkündete am 1. August, es sei den Vereinigten Staaten klar, „dass Edmundo González Urrutia bei Venezuelas Präsidentschaftswahlen am 28. Juli die meisten Stimmen gewonnen hat“. Auf welcher Grundlage man zu dieser Überzeugung gekommen ist, teilte Blinken leider nicht mit. Wenn Washington es so will, dann hat es halt so zu sein. Allerdings haben sich die Zeiten geändert – mit seiner Sichtweise konnte sich Blinken nicht einmal mehr in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) durchsetzen, die jahrzehntelang als „US-Kolonialministerium“ bekannt gewesen war. Eine Resolution, in der Venezuelas Wahlbehörde zur sofortigen Veröffentlichung der Wahlergebnisse aufgefordert werden sollte, fand am 1. August auch nach fünfstündiger Debatte unter den Delegationen der Mitgliedsstaaten keine Mehrheit. Das düpierte ganz nebenbei einmal mehr OAS-Generalsekretär Luis Almagro, der am Tag zuvor Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro aufgefordert hatte, „seine Niederlage anzuerkennen“.
Am 2. August veröffentlichte der Nationale Wahlrat (CNE) Venezuelas ein zweites Bulletin mit den Ergebnissen der Präsidentschaftswahl. Auf der Grundlage eines Auszählungsstandes von 96,87 Prozent aller Urnen habe Maduro mit knapp über 6,4 Millionen Stimmen 51,95 Prozent erhalten, González Urrutia lang demnach um mehr als eine Million Stimmen hinter Maduro und kam auf 43,18 Prozent. Alle anderen Kandidaten kamen auf jeweils weniger als ein Prozent der Stimmen.
Nach wie vor fehlt aber die vom CNE bereits am Abend der Wahl angekündigte Veröffentlichung der Einzelergebnisse aus allen Stimmlokalen. Eine offizielle Begründung dafür gibt es bislang nicht, in den staatlichen Medien Venezuelas werden Hackerangriffe auf die elektronische Infrastruktur für die Verzögerungen verantwortlich gemacht. Die Internetseite des CNE ist seit Wochen zumindest vom Ausland aus nicht zu erreichen, auch der Zugriff aus Venezuela ist wohl nur unregelmäßig möglich. CNE-Präsident Elvis Amoros hatte Maduro bereits am Tag nach der Wahl offiziell zum Sieger erklärt, obwohl zu diesem Zeitpunkt erst ein Zwischenergebnis von 80 Prozent der Stimmen veröffentlicht worden war. Am 31. Juli hatte Maduro den Obersten Gerichtshof um eine Überprüfung des gesamten Wahlvorgangs gebeten. Die obersten Richter bestellten daraufhin alle Kandidaten zu einer Anhörung ein, der González Urrutia allerdings als einziger fernblieb.
Urrutia fehlte auch, als die Opposition am vergangenen Wochenende zu Großdemonstrationen gegen den angeblichen Wahlbetrug aufrief. Stattdessen trat Maria Corina Machado auf, die als eigentliche Oppositionsführerin gilt und in der Vergangenheit unter anderem eine militärische Invasion der USA in Venezuela gefordert hatte. Auch wenn sich die internationalen Medien bemühten, den Protest hochzuschreiben, blieb das Echo auf die Aufrufe der Regierungsgegner geringer als erwartet. Selbst die Tageszeitung „El Nacional“ schrieb nur von „Hunderten“ Menschen, die die Avenida Las Mercedes im Mittelschichtsbezirk Baruta „gefüllt“ hätten. Derweil demonstrierten tausende Regierungsanhänger auf der Avenida Bolívar im Zentrum der Hauptstadt für Frieden und gegen den „cyberfaschistischen Putsch“ der Reaktion. Die in den Tagen nach der Wahl aus vielen Städten gemeldeten Ausschreitungen, die mehrere Menschenleben gefordert hatten, gingen in der Zwischenzeit offenbar zurück, Venezuela ist weitgehend stabil und ruhig.
Mindestens 43 Länder der Welt haben das Wahlergebnis in Venezuela inzwischen offiziell akzeptiert und Maduro Glückwünsche geschickt, wie die staatliche Nachrichtenagentur AVN unter Berufung auf Außenminister Yván Gil meldete. Zu diesen gehören neben den engsten Verbündeten in der Region wie Kuba, Bolivien und Nicaragua auch Russland, China, Serbien, Palästina, die Westsahara, Vietnam und Indonesien.