Jahresgutachten der „Wirtschaftsweisen“ ist ebenso teuer wie überflüssig

Die PR-Truppe des Finanzkapitals

Von Klaus Wagener

Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ hat seine Wachstumsprognose auf 1,6 Prozent 2018 beziehungsweise auf 1,5 Prozent für 2019 abgesenkt. „Außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen“, „temporäre, produktionsseitige Probleme“ und „Kapazitätsengpässe“ hätten „sich zusammengetan, um das Expansionstempo zu dämpfen“. Für den Euro-Raum sieht der „Rat“ ein Wachstum von 2 Prozent in diesem und 1,7 Prozent im nächsten Jahr. Auch die neuste Runde der hochbezahlten Kaffeesatzleser förderte kaum Überraschendes zu Tage. Die ökonomischen Entwicklungen, auch in den Zeiten des Wirtschaftskrieges, sind hochgradig von politischen Entscheidungen abhängig und werden mit der Kennziffer Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur ausgesprochen oberflächlich erfasst. Gerade Agenda-Deutschland liefert den Beweis, dass ein steigendes BIP mit einer großflächigen Verschlechterung der Lebens- und Einkommensverhältnisse, „wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt“ (Schröder), durchaus einher gehen kann. Die sozio-ökonomische Spaltung der Gesellschaft spricht Bände.

Eine Rezession beziehungsweise ein Ende „einer der längsten Aufschwungphasen der Nachkriegsgeschichte“ sehen die sogenannten „Wirtschaftsweisen“, genauer die akademische PR-Abteilung des deutschen Finanzkapitals, bislang nicht. Deutschland geht es bekanntlich gut. Eine „Aufschwungphase“, bei dem 4,4 Mio. Kinder von Armut betroffen sind, jede dritte Frau und jeder achte Mann in „atypischen Beschäftigungen“ steckt, jeder Fünfte von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht ist und jeder Zehnte trotz Jobs in Armut zu landen droht. Arbeitnehmer hätten durch die Vollbeschäftigung „sehr viel mehr Macht für ihre Privilegien einzutreten“, phantasierte der „Ratsvorsitzende“, Christoph Schmidt. Ob das auch in der Krise nachhaltig und sinnvoll sei, sei eine andere Frage. Genauer: Ein Mindestlohn von 8,84 Euro erscheint den „Weisen“ nicht nur zu hoch, es sollte ihn „aus systematischen Gründen“ überhaupt nicht geben.

Die „Sachverständigen“ sehen die Risiken, genauer die Profitrisiken etwa in der „ungewissen Zukunft der multilateralen, globalen Wirtschaftsordnung“. Also in jener Ordnung, in der die deutsche Exportindustrie pro Jahr einen Exportüberschuss von etwa 300 Mrd. Euro einfahren kann. Einen Überschuss, den andere Staaten mit Krediten finanzieren müssen. Die deutschen Exportüberschüsse und die große Verschuldung auch in Europa sind zwei Seiten einer Medaille. Von den Finanzmärkten, besser den Spekulationshaien, wird eine Disziplinierung Italiens erhofft, genauer eine Verteuerung italienischer Staatskredite. Wie zu sehen ist, liegt den „Weisen“ das Wohlergehen, vor allem der Menschen in Südeuropa, dringend am Herzen.

Das zeigt sich auch beim Dauerbrenner demographischer Wandel. Der werde sich bald beschleunigen. Der Wirtschaft würden bald die Fachkräfte der Babyboomer-Jahre wegsterben. Dann drohe der ohnehin latente Fachkräftemangel manifest zu werden. Die Rezepte dagegen hießen Zuwanderung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Statt mit einem nicht finanzierbaren Rentenpaket zu kommen, solle die GroKo, wie seinerzeit Rosaoliv, die Menschen schon jetzt, mit einem langen Zeithorizont, auf ein höheres Renteneintrittsalter einstimmen.

Und wenn es schon darum geht, sich für die Profitinteressen in die Brust zu werfen, darf auch der „internationale Steuerwettbewerb“ nicht fehlen. Da müsse Deutschland „was tun“, nachdem die Amerikaner gewissermaßen vorgelegt hätten und damit die USA für die internationalen Kapitalanleger, besser Spekulanten, wieder attraktiv geworden sei. Man dürfe da nicht wieder ins Hintertreffen geraten.

Ob Brexit, die Abschaffung des „Soli“, ob CO2-Steuer, der Feinstaub, die Mieten oder das Gesundheitswesen – immer soll der Markt es richten, immer heißt die Lösung: mehr Profit. Der Verkehrsinfarkt, die marode Infrastruktur, die Bildungs- und Gesundheitsmisere – kein Thema. Der Sozialklimbim ist was für Gutmenschen. Lasst uns aus der Misere einfach ein Geschäft machen. Das ist die schlichte Weisheit der „Wirtschaftsweisen“. Eine ebenso überflüssige wie überbezahlte Truppe. Zumindest für alle, die nicht mit dem fetten Aktienportfolio in der Hand geboren wurden.

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"Die PR-Truppe des Finanzkapitals", UZ vom 23. November 2018



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