Kerstin Köditz ist Sprecherin für antifaschistische Politik der sächsischen Linksfraktion und Mitglied des Bundesvorstandes ihrer Partei
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UZ: Regelmäßig gerät Sachsen aufgrund rassistischer und offen neofaschistischer Aktivitäten von Teilen der Bevölkerung, die sich maßgeblich gegen Geflüchtete, aber auch deren Unterstützer richten, in die Schlagzeilen. Zuletzt wegen der Attacken in Clausnitz, wo ein aufgebrachter Mob den Einzug von Flüchtlingen in ihre Unterkunft zu verhindern versuchte (UZ berichtete). Wie erklären Sie sich die regelmäßig aufflammenden Aktivitäten der Rechten?
Kerstin Köditz: Wenn etwas regelmäßig aufflammt, dann muss eine Glut vorhanden sein. In Sachsen allerdings lodert es ununterbrochen hell und hoch. Es vergeht nahezu kein Tag, an dem nicht von rassistischen Übergriffen, Demonstrationen und Anschlägen berichtet wird. Für mich ist es ein Skandal, dass erst jetzt, nach einem – ich schäme mich fast es so auszudrücken – alltäglichen Übergriff, der Ministerpräsident mit einer Pressekonferenz reagiert. Jetzt plötzlich nennt er das, was über Jahrzehnte verharmlost, vertuscht und verschwiegen worden ist, beim Namen: Rassismus. Er spricht nicht davon, dass seine sächsische CDU 2005 mit einem Parteitagsbeschluss auf den Einzug der NPD in den Landtag reagierte, in dem sie sich verpflichtete, in der Bevölkerung „positive nationale Wallungen“ zu wecken. Wesentlich verantwortlich dafür war der heutige CDU-Landtagspräsident Matthias Rößler. Ausnahmsweise stimme ich hier der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ zu, die kommentierte: „Die sächsische Union will die NPD mit ihren eigenen Waffen schlagen.“ Und jetzt steht Ministerpräsident Tillich da wie der berühmte Zauberlehrling, der die Geister, die er selbst gerufen hat, nicht mehr bändigen kann.
Nein, es gibt nichts zu beschönigen: In Sachsen ist die extreme Rechte über Jahrzehnte sträflich unterschätzt und verharmlost worden. Wie soll man auch konsequentes Handeln gegen rechts von einem CDU-Landesverband erwarten, der selbst zum rechtesten in der Bundespartei geworden ist? Belege für ein mehr als fragwürdiges Demokratieverständnis und völliges Unverständnis für die extreme Rechte findet man ausgerechnet in den Tagebüchern des ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, für deren Publikation vom Freistaat 307 900 Euro geflossen sind. Dieser schreibt in einer Notiz über den Antrittsbesuch der ersten Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz: „Wir sprachen über das, was sie zu schützen hat, den Staat und die Nation, die verfassungsmäßige Ordnung.“ Das entspricht der herrschenden Linie bis heute. Beobachtet wird vom Geheimdienst nur das, was den Staat und die Nation gefährdet. Rassismus ist nicht staatsgefährdend. An anderer Stelle schildert er ein Gespräch mit einem Landrat, später Vorsitzender des Innenausschusses des Landtages. Geradezu begeistert berichtet er von der Darstellung des Landrats bei einer CDU-Kreisvorsitzendenkonferenz über dessen Versuche, „Skinheads und Radikale dazu zu bewegen, sich um Asylbewerber zu bemühen, statt sie zu bekämpfen“. Und weiter: „Die Verbindungen der Gruppe, die planmäßig gegen Ausländer- und Asylbewerberheime vorgehe, reichten in alle Bevölkerungsschichten und schlössen teilweise auch Frauen ein.“ Der Landrat ging auch von Verbindungen des Polizeikommandeurs der Kreisstadt zu der Gruppe aus. Gleichzeitig warnte er, dem harten Kern der Gruppe komme es auch „auf ein paar Tote nicht an“. Das war im Oktober 1991. Neun Jahr später diagnostizierte der gleiche Ministerpräsident Biedenkopf – wider besseren Wissens –, die Sachsen seien „weitgehend immun gegen Rechtsextremismus“.
Also, um das bekannte Diktum von Max Horkheimer: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ zu variieren, sage ich: Wer von der CDU nicht reden will, der sollte auch vom Rassismus schweigen.
UZ: Sind die Sachsen besonders anfällig für extrem rechte Positionen, wie aktuell in manchen bundesdeutschen Medien konstatiert wird?
Kerstin Köditz: Es ist nicht die ethnische Herkunft, die Menschen rassistisch macht. Es sind die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Zustände der Gesellschaft, in der sie leben, die rassistisches Denken und Handeln fördern. Und hier muss man feststellen, dass die extreme Rechte in Sachsen ein Biotop gefunden hat, in dem sie blühen und gedeihen konnte. Die mehr als zaghaften Ansätze der Förderung der Zivilgesellschaft dagegen wurden stets mit Misstrauen beäugt. Unmittelbar nach den Übergriffen in Clausnitz erklärte der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß gegenüber der „Jungen Freiheit“: „Mit irgendwelchen zweifelhaften Förderprogrammen, mit denen am Ende nur Linksextremisten alimentiert werden, helfen wir niemandem.“ Diese Dumpfbackigkeit ist es, die Rassismus und die extreme Rechte fördert.
UZ: Welche Rolle spielen Abstiegsängste der sogenannten bürgerlichen Mittelschicht in der Frage der rassistischen Massenmobilisierungen dieser Tage?
Kerstin Köditz: Diese Abstiegsängste gibt es sicherlich im Rest der Republik genauso. Sachsen aber ist einsame Spitze bei rassistischen und neofaschistischen Attacken und hat traditionell herausragende Wahlergebnisse für Parteien der extremen Rechten. Die Abstiegsängste können also zumindest keine entscheidende Rolle spielen. Außerdem sind natürlich soziale Ängste keine Rechtfertigung für Rassismus. Übrigens: als Hartz IV und andere soziale Grausamkeiten eingeführt werden sollte, hatten die Regierenden kein Ohr für die „berechtigten Sorgen und Ängste der Bevölkerung“.
UZ: Trotzdem: Hätte nicht auch die politische Linke anders agieren und die Sorgen der Menschen ernster nehmen müssen?
Kerstin Köditz: Ich bin skeptisch gegenüber einer Politik der Selbstgeißelung. Opposition hat immer nur eingeschränkte Möglichkeiten.Wenn die Opferberatung RAA feststellt, dass sich die Zahl rechter Gewalttaten in Sachsen seit 2012 verdoppelt hat und es 74 Angriffe auf Flüchtlingsheime gegeben habe, dann weiß ich nicht, auf welche Weise wir dies hätten verhindern sollen. Es sind wohl weniger die „Sorgen der Menschen“ gewesen, die zu 700 rassistischen Demonstrationen im vergangenen Jahr geführt, sondern eher ein ausgeprägter Sozialchauvinismus. Den können und dürfen wir als Linke nicht bedienen.
UZ: Am vergangenen Dienstag startete das NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ist ein NPD-Verbot ein probates Mittel im Kampf gegen den zunehmenden Rassismus?
Kerstin Köditz: Natürlich haben die zehn Jahre Agitation der NPD im Sächsischen Landtag zu den heutigen Zuständen im Freistaat beigetragen. Vieles ist sagbar und „normal“ geworden, was ohne die NPD wohl – zunächst – unsagbar geblieben wäre. Juristische Mittel sind in der Politik immer bestenfalls die zweitbeste Lösung. Politische Probleme sollten politisch gelöst werden. Sollte es zu einem Verbot der NPD kommen, befürchte ich einen Placebo-Effekt. Man lehnt sich beruhigt zurück, obwohl das Problem noch genauso virulent ist. Dabei kreisen die Aasgeier bereits über der NPD. Andere neonazistische Parteien stehen für die Klientel bereit, als Wahlalternative steht die weniger stigmatisierte AfD zur Verfügung. Der Nutzen eines solchen Verbotes wäre sehr überschaubar.
UZ: Neben den extremen Rechten sorgen auch Behörden und Polizei im Freistaat regelmäßig für – nennen wie es freundlich – Verwunderung. Ist die Polizei in Sachsen auf dem rechten Auge blind, oder haben Sie sogar Hinweise auch Verbindungen zwischen den Beamten und extrem rechten Kreisen?
Kerstin Köditz: Es gibt nachweisbar einzelne Beamte, die die extreme Rechte unterstützen. Erfahrungsgemäß sind autoritäres Denken und Rassismus in den von Ihnen genannten Gruppen ausgeprägter als in der Gesamtbevölkerung. Aber ich würde keinesfalls „der“ Polizei unterstellen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Oftmals ist sie schlicht überfordert.
Womit wir wieder bei der Staatsregierung wären, die einen verantwortungslosen Stellenabbau betrieben hat.