Endlich ein marxistisches Einführungsbuch zur Orientierung im Dickicht der Überinformation zum Thema „Digitalisierung“! Der Titel: „Neue Technik …“ ist leider nicht so klar wie der Anfang des Buchs: Es geht um Politik, nicht um Technik! Das Schlagwort Digitalisierung löst zunächst Überdruss aus, zu Recht: In den Medien der Herrschenden dient es zur Verschleierung der Angriffe des Imperialismus unserer Tage und zieht dort im Schlepptau die Kampfvokabeln „Transformation“ und „Flexibilisierung“ hinter sich her.
Es geht um Politik, um den Kampf um die Weltmärkte, um „die Stellung der Beschäftigten, egal wo sie leben“, um die Machtverschiebungen im Klassenkampf durch den Schub der Produktivkraftentwicklung, den wir erleben. War es in den Jahren der Jahrtausendwende die „Globalisierung“, die als naturereignishafte Rechtfertigung für die Angriffe des Kapitals herhalten musste, so ist es heute die „Digitalisierung“. Um fit zu werden für unsere Verteidigung müssen wir also Klarheit in den Begriffsnebel bringen: Das anzupacken, ist das Verdienst des im Klassenkampf erfahrenen Marxisten und ausgewiesenen Informatikfachmanns Stefan Kühner.
Kühner schafft Überblick durch die Einordnung der Fakten und Begriffe. Was heißt „4. industrielle Revolution“? Kühner erinnert daran, dass die Entwicklung des Kapitalismus untrennbar mit der industriellen Revolution verbunden ist. Sein Vorschlag, von vier Etappen der industriellen Revolution zu sprechen, scheint in diesem Zusammenhang sinnvoll. Diskutabel ist sicher seine weitere Unterteilung in eine erste und zweite „wissenschaftlich-technische Revolution“, ein Begriff, den man, Marx folgend, auch auf die gesamte industrielle Revolution anwenden könnte.
Ein großer Nutzen des Buchs ist, dass es einen allgemeinverständlichen Überblick gibt über die Folgen des gegenwärtigen Entwicklungsschubs der Produktivkräfte in allen Wirtschaftsbereichen: Vom Digitalisierungsprogramm der Bundesregierung über „Künstliche Intelligenz“, deren Einsatz in der Fabrik, in Autos, Medien, dem Gesundheitsbereich, der öffentlichen Verwaltung, der Landwirtschaft, dem Einzelhandel und der Finanzwirtschaft. Kühner nennt Treiber, Profiteure und Verlierer.
Nützlich ist weiter, im Kapitel über die „neue Arbeit“ Einordnung von Vernebelungsslogans wie „agiles Arbeiten“ oder „Selbstoptimierung“ zu finden mit Daten und Quellen zur Folgenabschätzung. Mit politischer Erfahrung richtet Kühner das Hauptaugenmerk auf die Bedrohung des in Klassenkämpfen durchgesetzten Normalarbeitsverhältnisses durch ein neues digitales Tagelöhnerdasein.
Dabei verweist Kühner konsequent auf unsere in denselben Klassenkämpfen entstandene Kampforganisation, die Gewerkschaft. Hier wäre aber von einem erfahrenen Klassenkämpfer zu erwarten gewesen, dass er auf den Hintergrund der „nicht ausreichenden“ Gewerkschaftspositionen eingeht, die politische Hegemonie der rechten Sozialdemokraten. Entsprechend diesen derzeitigen Kräfteverhältnissen in unseren Gewerkschaften bleiben so die Positionen eben nicht zufällig auf der Ebene von „Sozialpartnerschaft“ und „Standortverteidigung“.
Der Abschnitt über den Einfluss des Internet auf alle Bereiche der Gesellschaft – Überwachung, Beeinflussung, aber auch Erweiterung unserer Kommunikationsmöglichkeiten – bleibt notwendig kursorisch. Schließlich geht Kühner auf die Möglichkeiten unseres Eingreifens ein, ausgehend von der Frage der Verfügung über die Produktionsmittel, die sich in der Welt der neuen Technik noch stärker bei wenigen Konzernen konzentriert. Was tun? Der Illusion der Unterwanderung des Systems oder dem Warten auf seinen Zusammenbruch stellt Kühner Handlungsoptionen mit einer „antikapitalistischen oder zumindest antimonopolistischen Stoßrichtung“ gegenüber, zu denen er einige Denkanstöße gibt, nicht ohne zu vergessen, dass mehr linke Sachkompetenz in den angesprochenen Fragen aufgebaut werden muss. Kühner hat dazu einen beachtlichen Einstieg geliefert.
Stefan Kühner
Neue Technik, neue Wirtschaft, neue Arbeit? Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0.
Papyrossa Verlag, Köln, 2020,
160 Seiten, 13,90 Euro.