Mit Einführung der Kammer sollen Pflegekräfte für staatliche Aufgaben zahlen – Probleme wie Personalmangel bleiben

„Die Pflegekammer ist ein Ärgernis“

Die niedersächsische Landesregierung hat beschlossen, keine Pflichtbeiträge für die Mitglieder der Pflegekammer zu erheben. In NRW bereitet die Landesregierung ebenfalls eine Pflegekammer vor. Darüber sprachen wir mit Katharina Schwabedissen.

UZ: Wie bewertest du die Entscheidung in Niedersachsen?

Katharina Schwabedissen: Das ist ein großartiger Erfolg der Kolleginnen und Kollegen! Dass die Landesregierung in Niedersachsen die Einführung der Pflichtbeiträge zurücknehmen musste, zeigt, dass es sich lohnt, Protest zu organisieren. Und wir wissen jetzt, dass viele Pflegefachkräfte gar nicht wissen, was mit einer Pflegekammer auf sie zukommt. Die Proteste in Niedersachsen haben viele Informationen zu den Folgen einer Pflegekammer auch den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländer zugänglich und öffentlich gemacht. Die Zwangsbeiträge sind nichts anderes als eine Umlage für staatliche Aufgaben auf Kosten der Beschäftigten. Das ist schon ziemlich dreist.

UZ: Wer sind in NRW die Initiatoren und Befürworter einer Pflegekammer?

Katharina Schwabedissen: Ich erlebe vor allem Zustimmung aus dem akademisierten Bereich der Pflege und hier vor allem in den Krankenhäusern und Ausbildungsinstituten. Das Thema ist ein Thema der Leitungskräfte und der Forschenden. In NRW wurde die Kampagne für eine Pflegekammer vor allem durch den Pflegerat und den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) getragen. Bei den Parteien waren in NRW die CDU und große Teile der Grünen die treibenden Kräfte. SPD, FDP und die Linke standen der Kammer kritisch bis ablehnend gegenüber. Alle drei Parteien waren darin einig, dass es auf jeden Fall eine Befragung aller Pflegekräfte geben müsse. Stattdessen gab es eine undurchsichtige Umfrage von 1.500 Kolleginnen und Kollegen. Ich kenne keine einzige, die befragt wurde.

UZ: Wie steht ver.di zu den Planungen? Du hast gerade diese Umfrage angesprochen: Ende des letzten Jahres sind ganze 1 503 Beschäftige aus der Pflege im Auftrag der Landesregierung zu dem Thema befragt worden, von denen sich 59 Prozent für eine Pflegekammer ausgesprochen haben sollen. Spiegelt das tatsächlich die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen wider?

Katharina Schwabedissen: Die Situation für ver.di ist nicht einfach: ver.di lehnt die Pflegekammer mehrheitlich ab. Jetzt ist die Entscheidung gefallen, dass es in NRW eine Pflegekammer geben wird. Damit entsteht eine Verantwortung gegenüber den organisierten ver.di-Kolleginnen und -Kollegen, die Entscheidungen, die während des Aufbaus einer Pflegekammer getroffen werden, jetzt nicht ohne gewerkschaftlichen Einfluss zu lassen. Wir werden eine starke Stimme gegen alle Zwänge für abhängig Beschäftigte sein, zum Beispiel den Fortbildungs- und Beitragszwang. Wie die Stimmung in den Belegschaften ist, kann man in Niedersachsen erleben: Viele wissen nicht, was die Pflegekammer bringen wird, und wenn die Beitragsmahnungen kommen, ist das Entsetzen groß. Wir hätten es besser gefunden, wenn die Pflegekräfte insgesamt befragt worden wären. Und dann gäbe es vermutlich heute keine Kammerdebatten in NRW.

UZ: Das hauptsächliche Problem der Beschäftigten in der Pflege ist wohl zweifelsfrei die alltägliche Überlastung während der Dienste. Kann da eine Pflegekammer etwas richten? Was muss aus der Sicht von ver.di geschehen, damit die Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen durchhalten können?

Katharina Schwabedissen: Die Pflegekammer wird an der Überlastung der Pflegenden nichts ändern. Aber es ist wahrscheinlich, dass sie den Druck noch erhöht: Hier wird eine Berufsgruppe verkammert, die zu über 90 Prozent abhängig beschäftigt ist. Freistellungen für Fort- und Weiterbildung sind bereits jetzt ein Problem – auch ohne Zwang. Es ist ungeklärt, was mit den vielen Kolleginnen und Kollegen ist, die nicht mehr im Beruf arbeiten, aber möglicherweise zurückkommen würden, wenn die Arbeitssituation sich verbessern würde. Die müssen in Niedersachsen der Kammer beitreten oder verlieren im Zweifel ihre Zulassung.

UZ: Laut Minister Laumann soll die Kammer die Qualität der Pflege sichern. Aber die Kammer finanziert die Ausgaben für die Pflege nicht, auch sind Ausbildung und Weiterbildung der Pflegekräfte Sache des Staates beziehungsweise des Arbeitgebers. Ist das nicht ein Ablenkungsmanöver von den realen Verantwortlichkeiten?

Katharina Schwabedissen: Die Einrichtung der Pflegekammer heißt im Klartext, dass die Pflegekräfte für staatliche Aufgaben rund um ihren Beruf selbst zahlen sollen. Dabei geht es nicht mal um die Interessen der Beschäftigten, sondern um Standards zur Sicherung der Versorgung von kranken Menschen. Die sind aber nicht durch mangelnde Prüfungs- und Ausbildungsverordnungen gefährdet, sondern durch den eklatanten Personalmangel. Hier hilft keine Pflegekammer.
Für eine gesetzliche Personalbemessung sind die Parlamente zuständig. Kürzere Arbeitszeiten, Standards für den Gesundheitsschutz und höhere Löhne verhandelt ver.di mit den Arbeitgebern. Die Pflegekammer ist ein Geschenk an die akademische Pflege. Aber auch deren Problem wird mit der Pflegekammer nicht gelöst. Weder wird die Eingruppierung von akademischen Pflegefachkräften und Pflegewissenschaftlern in der Pflegekammer geklärt, noch wird sie Forschungsgelder oder -stellen bereitstellen.

UZ: Wie wird sich ver.di verhalten, wenn in NRW tatsächlich eine Pflegekammer eingerichtet würde?

Katharina Schwabedissen: Die Pflegekammer in NRW wird kommen. Wir werden alles dafür tun, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht durch noch mehr bürokratische Zwänge aus dem Beruf getrieben werden. Und sonst machen wir weiter, was wir ohnehin machen: für gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen und mehr Selbstbestimmung kämpfen – gemeinsam mit den ver.di-Kolleginnen und -Kollegen in den Betrieben. Die Pflegekammer ist ein Ärgernis, aber die wirklichen Probleme in den Krankenhäusern ist die Ökonomisierung und Privatisierung von sozialen Einrichtungen. Die Kammer ist ein weiterer Mosaikstein für den Rückzug des Staates aus der Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge. Aber sie ist ein kleiner Stein im Klassenkampf von oben.

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"„Die Pflegekammer ist ein Ärgernis“", UZ vom 3. Januar 2020



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