Die klassische deutsche Philosophie hatte ihren Höhepunkt und gleichzeitigen Abschluss in den Arbeiten von Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 bis 1831). Erst Jahrzehnte später fanden Karl Marx und Friedrich Engels den Weg, um aus der Misere des deutschen Idealismus herauszukommen. Sie stellten Hegel „vom Kopf auf die Füße“, benötigten weder ein höheres Wesen noch eine Vollendung durch den absoluten Geist, um die Geschichte der Menschheit, ihre Verhältnisse und ihre Zukunft zu erklären. Mit dem historisch-dialektischen Materialismus gelang ihnen eine Denkanstrengung, die Theorie und Praxis der Menschen in Einklang bringen soll.
Der gleichaltrige Jugend- und Studienfreund von Hegel, Friedrich Hölderlin (1770 bis 1843), stellte sich auf eigene Weise den Herausforderungen seiner Zeit. Er arbeitete im Feld der Dichtkunst, entwickelte Sprach- und Darstellungsformen, die einen „seherischen“ Blick verbunden mit einem „hohen Ton“ zu bis dahin unerreichten Früchten dieser Kunst führten. Die dialektische Spannung, die Hegel nicht nur im Herr-Knecht-Verhältnis treffend beschrieb, findet sich bei Hölderlin in den Widersprüchen zwischen Mensch und Natur, zwischen erfüllter Liebe und Verzicht und zwischen Zwängen und Freiheitswillen.
Im Kerber Verlag (Bielefeld/Berlin) ist jetzt ein schön gestalteter Bild- und Textband mit dem Titel „Hölderlins Orte“ erschienen. Die bekannte Fotografin Barbara Klemm hat sich auf Spurensuche gemacht zu tatsächlichen und Sehnsuchtsorten Friedrich Hölderlins, die Museumsleiterin im Tübinger Hölderlinturm Sandra Potsch hat eine kluge Textauswahl zu den Bildern getroffen.
Hölderlin-Turm in Tübingen
Nach seinem nochmaligen physischen und psychischen Zusammenbruch 1806 und der fürchterlichen „Behandlung“ in einer Tübinger Anstalt kam Hölderlin 1807 in die Obhut einer Handwerkerfamilie, die neben ihrem Wohnhaus direkt am Neckar diesen Rundbau hatte. Dort lebte Hölderlin bis zu seinem Tod 1843, er verließ die Stadt nie, seine geliebten Wanderungen fanden zumeist im Zimmer und höchstens im Garten statt. Er schreibt noch, vordergründig konkret, über die wechselnden Jahreszeiten und den vorbeifließenden Neckar, aber die Gedichte sind seltsam unbestimmt, auf eine ungewisse Ferne gerichtet. Erhalten ist zum Beispiel:
… „Will einer wohnen,
So sei es an Treppen,
Und wo ein Häuslein hinabhängt,
Am Wasser halte dich auf.
Und was du hast, ist
Athem zu holen …
… Denn wo die Augen zugedeckt,
Und gebunden die Füße sind,
Da wirst du es finden …“
Diotima-Büste in Bad Driburg
Der Sommer 1796 war sicherlich der persönlich wichtigste im Leben Hölderlins. Als Hauslehrer konnte er seine Geliebte Susette Gontard, von ihm in Gedichten und Briefen „Diotima“ genannt, nach Bad Driburg im Westfälischen begleiten. Wie er seinem Bruder schrieb: „In unserem Bade lebten wir sehr still, machten weiters keine Bekanntschaften, brauchten auch keine … und machten unter uns selbst den besten Cirkel aus.“ Ihrer Liebe war keine Dauer beschieden, später konnten sie sich nur noch heimlich sehen und schreiben. Der frühe Tod Susettes 1802 führte zu einem zeitweiligen Zusammenbruch, von dem Hölderlin sich kaum noch erholte. Auf einer kleinen Insel im Gräflichen Park in Bad Driburg soll diese Büste an Susette Gontard erinnern. Hölderlin selbst schrieb im Gedicht „Diotima“:
… Nun! Ich habe dich gefunden,
Schöner, als ich ahnend sah
in der Liebe Feierstunden –
Hohe! Gute! Bist du da …“
Von den Himmlischen dort
oben,
Wo hinauf die Freude flieht,
Wo des Alterns überhoben,
Immerheitre Schöne blüht.
Scheinst du mir herabgestiegen …
Hölderlins Orte
Fotografien von Barbara Klemm
Texte von Friedrich Hölderlin
Verlag Kerber
128 Seiten, 43 Abbildungen
24,00 Euro.