Eine biografische Annäherung an Olga Benario Prestes

Die nicht zur Verräterin wurde


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Es ist ein schmales Bändchen, mit dem der Verbrecher Verlag zur Erinnerung an Olga Benario Prestes beiträgt. In dem insgesamt 114 Seiten schmalen Buch umfasst die eigentliche „biografische Annäherung“ knappe 63 Seiten, inklusive Fotos. Besonders sind sie nicht nur, weil in ihnen bisher nicht ausgewertete Unterlagen der Gestapo einbezogen worden sind, sondern weil die Autorin der Annäherung Anita Leocádia Prestes ist, eine brasilianische Historikerin, Tochter von Olga Benario und Luís Carlos Prestes, geboren im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin.

Knapp berichtet Prestes von der Vorgeschichte der Verhaftung Benarios, die ihre gesamte Lebensgeschichte ist: 1908 in ein jüdisches Elternhaus mit sozialdemokratischem Vater in München geboren, Eintritt in die Kommunistische Jugend, mit nur 16 Jahren verließ sie München, um nach Berlin zu gehen. Dort wurde sie Mitglied der KPD, Kader des Jugendverbandes und war 1928 beteiligt an der Befreiung des KPD-Funktionärs Otto Braun, der wegen „Hochverrats“ im Gefängnis saß. Die Befreiung gelingt, aber die beiden mussten nach Moskau fliehen.

Dort wird sie Führungsmitglied der Jugendinternationale, studiert weiter den Marxismus-Leninismus und wird 1934 – auf Grund ihrer Qualifikation – von der Komintern gebeten, für die Sicherheit des brasilianischen Revolutionärs Luís Carlos Prestes zu sorgen, der in Moskau im Exil lebt. Auf Beschluss der Kommunistischen Internationale soll Prestes in sein Heimatland zurückkehren, um dort einen Aufstand vorzubereiten. Die beiden reisen zur Tarnung als Ehepaar, werden jedoch auf der Reise zu den Liebenden, was sie bisher nur vorgegeben hatten zu sein. Kaum ein Jahr können sie in Brasilien zusammenleben, dann werden sie im März 1936 verhaftet, im November zuvor waren die antifaschistischen Aufstände niedergeschlagen worden. Bei der Verhaftung rettet Benario Prestes das Leben. Die beiden werden sich nie wieder sehen.

In der Haft stellt Olga fest, dass sie schwanger ist, das müsste sie eigentlich vor der Auslieferung schützen, doch Brasilien schiebt sie nach Nazi-Deutschland ab.

Nüchtern beschreibt Anita Leocádia Prestes den Transport ihrer Mutter nach Deutschland, die Haftbedingungen der Schwangeren im Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße und die Umstände ihrer eigenen Geburt. Von sich selbst schreibt sie in der dritten Person, man merkt, dass sie die Historikerin in sich hat schreiben lassen. Den zunehmend verzweifelten Versuchen ihrer Großmutter und ihrer Tante, Olgas Freilassung zu erreichen oder sie und das Kind zumindest einmal zu sehen, stellt sie die Gestapo-Berichte gegenüber, die deutlich machen, dass alle Versuche umsonst sein werden, solange Olga nicht redet. „Wenn andere zum Verräter geworden sind, ich werde es jedenfalls nicht“, wird Benario von der Gestapo zitiert – Prestes hat dieses Zitat ihrem Buch vorangestellt.

Olga Benario weigert sich bei unzähligen Verhören, Angaben zu ihrer Tätigkeit und vor allem zu ihren Genossen zu machen. Währenddessen initiieren ihre Schwiegermutter Leocádia und ihre Schwägerin Lygia eine internationale Kampagne zur Freilassung Olga Benarios. Die „Kampagne Prestes“ bekommt Olga nicht frei, erreicht aber, dass ihre Tochter an die Schwiegermutter übergeben wird – Anita Prestes schreibt über die Menschen, die ihr mit einer Solidaritätskampagne das Leben retteten.

Alle Bemühungen Leocádias und Lygias um den Nachweis der Hochzeit mit Prestes, die Olga Benario die brasilianische Staatsangehörigkeit gegeben hätte, das organisierte Exil in Mexiko und anderswo, war vergebens. Olga Benario wird ins KZ Ravensbrück deportiert und schließlich in der Gaskammer ermordet. Bis zuletzt war ihr Leben geprägt von ihrer politischen Überzeugung und von Solidarität. Als man ihr kurz vor der Gaskammer zum letzten Mal ihre Kleidung wegnahm, die zurück nach Ravensbrück gebracht wurde, schmuggelte sie einen Zettel hinein. „Die letzte Stadt war Dessau. Wir wurden aufgefordert uns auszuziehen. Keine Misshandlung. Auf Wiedersehen.“

Dem Buch sind Briefe von Olga Benario und Luís Carlos Prestes angehängt sowie ein Interview mit Anita Leocádia Prestes, in dem man noch einmal interessante Aspekte aus dem Leben Olga Benarios erfährt. So ist die Tochter wütend darüber, dass Olga von der Jüdischen Gemeinde in Brasilien als Jüdin vereinnahmt wird. Dabei war Olga Benario mit 16 in Berlin zur Synagoge gegangen und hatte sich von der Religion losgesagt. Ermordet wurde sie nicht aufgrund des Glaubens ihrer Eltern, sondern weil sie Kommunistin war. In einem irrt sich Anita Prestes allerdings. Im Interview sagt sie über Olga Benario, „Sie war eine Person, die lieber gestorben wäre, als ihre Genossen zu verraten.“ Sie wäre nicht, sie ist.

Anita Leocádia Prestes
Olga Benario Prestes – Eine biografische Annäherung
Verbrecher Verlag, 114 Seiten, 16 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

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"Die nicht zur Verräterin wurde", UZ vom 13. Januar 2023



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