Ungewohnte Bilder. Der 81-jährige Salman ibn Abd al-Aziz bemühte sich persönlich nach Moskau. Es ist der erste Besuch des saudischen Monarchen bei Wladimir Putin. Man kann nicht behaupten, dass sich dort zwei alte Freunde begegnen. Spätestens seit dem saudischen Sponsoring für das CIA-aufgerüstete, islamistische Mittelalter in Afghanistan in den 1980er Jahren gibt es so etwas wie eine strategische Erbfeindschaft.
Am 20. Februar 1945 traf sich Franklin D. Roosevelt mit dem Vater des jetzigen Königs auf der „USS Quincy“ und begründete eine strategische „Partnerschaft“, in der die Saudis vor allem die Ölversorgung der USA sicherten und die USA die Sicherheit „ihrer“ Potentaten auf der größten Ölquelle der Welt garantierten.
Als der Ölpreis 1980 auf inflationsbereinigt (2014) über 100 Dollar/Barrel geklettert war und die Sowjetunion ihre Refinanzierung auf dem lukrativen Öl- und Gasexport abstützen konnte, überschwemmten die Saudis den Markt mit Öl und sorgten für einen Zusammenbruch des Ölpreises auf inflationsbereinigt unter 30 Dollar. Ein ähnlicher Absturz wurde 2008 erzeugt, als die Obama-Regierung Wladimir Putin das Fadenkreuz auf die Stirn gemalt hatte. Das partielle saudische Ziel hieß dabei: Die Position als wichtigster Player im Ölmarkt stärken und die Konkurrenz in den Bankrott treiben. Das hatte allerdings Folgen. Seit Mitte 2013 ist Saudi-Arabien ins Defizit und dann auch in eine massive Rezession gerutscht. 2015 realisierte das Land ein Budgetdefizit von 98 Milliarden Dollar (15 Prozent/BIP). Die Saudis mussten etwas völlig Ungewohntes tun: „Sparen“, also über ein umfangreiches Austeritätsprogramm, höhere Steuern und höhere Öl-Preise nachdenken.
Nachzudenken begannen die Sauds auch über die Zeit nach dem Ölzeitalter. Das massive Staatsdefizit machte die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu diversifizieren und das Land zu reformieren, mehr als deutlich. Der alerte Kronprinz Mohammad bin Salman bin Abdulaziz al Saud, kurz „MBS“ genannt, seit 2015 auch Verteidigungsminister, hat ein ambitioniertes gesellschaftliches und ökonomisches Entwicklungsprogramm entworfen: „Vision 2030“. Zentraler Bestandteil des Plans: Der Verkauf von etwa 5 Prozent der Aktien der angeblich 2 Billionen Dollar schweren staatlichen Ölgesellschaft Aramco. Dieser Börsengang (IPO, Initial Public Offering) soll der Größte aller Zeiten werden, und mit 100 Mrd. Dollar das Vierfache des bisherigen IPO-Spitzenreiters, Alibaba Group (China), in die saudischen Kassen spülen.
Das klingt einfacher als es ist. Für ein erfolgreiches IPO in diesen Dimensionen bedarf es eines sorgfältig vorbereiteten Umfeldes, potenter Interessenten wie China und einer profitabel aufgehübschten „Braut“. Niedrige Ölpreise sind da Gift. Angesichts der ökonomischen Probleme wurde das IPO vertagt.
Den US-Think-Tanks ist die Lage ihres strategischen „Partners“ am Golf natürlich nicht entgangen. Trumps erste Auslandsvisite galt den Sauds. Der umfangreiche Verkauf von teurem US-Kriegsgerät, 110 Mrd. Dollar in den nächsten Jahren, saniert allerdings weniger das defizitäre saudische Staatsbudget, als eher das der US-Rüstungsindustrie.
Bei aller Begeisterung für Trumps „Schwertertanz in Riad“ lässt sich die Krise der US-Geostrategie auch von den treuesten wahabitischen Vasallen nicht übersehen. Mit dem Eingreifen russischer und iranischer Verbände sowie der Hisbollah auf dem syrischen Kriegsschauplatz ist ein zentrales Unternehmen Riads, Washingtons und Ankaras, der Regime-Change in Damaskus, gescheitert. Den auch saudisch finanzierten dschihadistischen Halsabschneidern droht die Vernichtung in Syrien und Irak. Die große sunnitische Offensive, welche Saudi-Arabien zu einer regionalen Vormacht aufsteigen lassen sollte, ist damit ökonomisch und militärisch gescheitert. Von der 2016 mit großem Aplomb verkündeten sunnitischen Allianz, deren antischiitische Zentren Riad und Ankara bilden sollten, ist nichts mehr zu hören. Moskau dagegen ist wieder zu einem einflussreichen Faktor in „Greater Middle East“ geworden, bei dem sich nun selbst der saudische König vorstellig zu werden bemüßigt fühlt.
Auch hier wollten die ein wenig paranoiden Sauds modernstes Kriegsgerät einkaufen. Sie werden wohl, wie schon Iran und Türkei, die S-400-Abwehrraketen bekommen. Aber der Schwerpunkt dürfte auf ökonomischem und stragischem Gebiet liegen. Russland und Saudi-Arabien stehen für 25 Prozent der Welterdölförderung. Von einer „Neuen OPEC“ ist die Rede, die den Preis oberhalb von 60 Dollar stabilisieren will. Die Niederlage des Westens in Syrien einerseits und das Momentum der china-gesponserten eurasischen Infrastrukturinitiative „One Belt, one Road“ (OBOR) haben die Gewichte und Interessenlagen in Greater Middle East deutlich verschoben. Das gilt natürlich auch für die saudische „Vision 2030“. Wer im großen Spiel bleiben will, muss hier dabei sein. Das weiß auch „MBS“. Die Tage der „USS Quincy“ scheinen endgültig vorüber. Das jedenfalls dürfte die Botschaft aus Moskau sein.