Peter Mertens, Vorsitzender der PvdA, zum Ausgang der Abstimmung in Griechenland

„Die neue europäische Aristokratie will eine Abkehr von der Demokratie“

Glückwunsch an das griechische Volk. Mit mehr als der Hälfte der gezählten Stimmabgaben ist das Ergebnis deutlich: Nein zur Würgepolitik der europäischen Oligarchen. Nein zur autoritären Politik der europäischen Technokraten, Welche Legitimität haben die Dijsselbloems, Schäubles, Moscovicis, Junckers, Schulzen, Renzis und Merkels noch? Dies ist ein Nein zur gesamten Memorandumspolitik von der Troika, und eine bedeutender Rückschlag der hegemonialen Politik des neoliberalen Europas, Es ist ein Signal der Hoffnung auf diesem Kontinent.

Heute konnte Griechenland zwischen zwei Europas wählen. Es wählte das Europa der Solidarität und Demokratie, und es stimmte gegen das Europa der Einsparungen und gegen die Würgepolitik der neuen finanziellen Aristokratie, Dies ist ein enormes Signal. Es bedeutet einen impulsähnlichen Denkanstoß, mit dem sich die ganze europäische Regierungspolitik verändern lässt. Es bedeutet Hoffnung für jene Völker jener Staaten, die nach einer Alternative suchen: Von Spanien über Belgien bis Irland. Griechenland war in Europa das erste Land, das Opfer der finanziellen Strangulierungspolitik wurde. Heute ist Griechenland auch das erste Land, das einen anderen Weg wählt. Heute lassen die Griechen auch laut und deutlich wissen: Genug ist genug, es ist an der Zeit eine neue Seite aufzuschlagen.

Es war seitens der griechischen Regierung mutig, die Bevölkerung zu fragen und den Weg eines Referendums zu wählen. Es war auch mutig, das Volk aufzurufen, nein zu sagen gegen die vielen Ultimaten, weil ein Nein deutlich macht, dass das Schicksal eines Volkes nicht von den europäisch-technokratischen Monstern abhängig sein darf. Die Tatsache, dass ein Referendum organisiert wurde, zeigt, dass innerhalb der Europäischen Union verschiedene Wege gewählt werden können – ganz im Gegensatz zu dem, was man uns glauben machen möchte.

Das heutige Ergebnis ist eine Niederlage für die heutigen europäischen Spitzenpolitiker. Sie haben gegen die Griechen eine Pistole an den Kopf gesetzt. Die Griechen sollten Syriza gestürzt haben sollen, um zu zeigen dass angeblich keine Alternative zur würgeähnlichen Austerität toleriert werden darf. Darüber dachten – allerdings – die Griechen anders. Es muss eine Alternative geben, weil deren Sparmaßregelungen für die Griechen unverdaulich ist, weil deren Sparmaßregelungen die Griechen regelrecht erwürgen würden.

Dieses Ergebnis ist ein Sieg für die internationale Kampagne zur Unterstützung der Nein-Stimme, weil auch diese Kampagne eine Rolle in diesem Erfolg spielte. Der Kampf hat begonnen, die Völker von Europa bauen nun Schritt für Schritt ein gemeinschaftliches Bewusstsein gegenüber der neuen europäischen Aristokratie auf. Es wird nun deutlich: Dieser Sieg von OXI ist auch ein Rückschlag für die Legitimität der Troika (EZB, Europäische Kommission und IWF). Die Legitimität der europäischen Aristokratie ist hiermit von Athen aus zur Diskussion gestellt worden. Für ihre Politik gibt es eine Grundlage – trotz der beispiellosen Kampagne der europäischen Technokraten, der griechischen Oligarchen und der kommerziellen Helfershelfer privater Medien.

Aber zugleich warnen wir vor Euphorie, denn diese Auseinandersetzung ist kein Sandkastenspiel und es kommen auf Griechenland schwere Zeiten zu. Der Plan B der EU-Technokraten wird auf jeden Fall auf der Negierung des Ergebnisses des Referendum basieren und einem weiteren einmischendem Streben nach einer anderen griechischen Regierung. Schäuble, Dijsselbloem, Schulz, Juncker und Andere haben den Versuch, eine andere Regierung in Griechenland zu haben, nicht aufgegeben. Das griechische Volk verdient unsere Unterstützung mehr denn je.

Das griechische Volk hat das vielköpfige Monster der Troika schmerzhaft getroffen. Dieses Ergebnis verdanken wir dem Kampf der Jugend und der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands. Diese wollen eine wirkliche Zukunft haben, mit Investitionen in den öffentlichen Sektor, und sie wollen keine Zukunftssackgasse haben, die von ewigen und hohen Einsparungen und Rückzahlungen an die internationalen Banken geprägt ist. Sie wollen keine weiteren Rentenkürzungen hinnehmen. Sie wollen die Massenkaufkraft wiederherstellen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Menschen, statt ältere Menschen bis zum 67. Lebensjahr schuften zu lassen. Sie wollen den Bauern und Hotelbeschäftigten helfen, statt ihre Zukunft zu ersticken.

Es wird jetzt immer deutlicher, dass die neue europäische Aristokratie eine Abkehr von der Demokratie will. Es ist dies die Troika und ihre institutionalisierten Machtbereiche, die nicht gewählt wurden und sich jeglicher öffentlich-demokratischen Kontrolle entziehen. Es ist höchste Zeit dass diese installierten Machtbereiche überwunden werden. Die EU – und sicherlich auch die Troika – können anderen Völkern nicht vorschreiben, wie und auf welche Art und Weise Schulden abgebaut werden.

Der Kampf hat eben erst begonnen. Wenn wir in den letzten fünf Monaten etwas gelernt haben – auch mit diesem Referendum und insbesondere auch jetzt – dann ist es, dass bestimmte Dinge sich nur durch des Volkes Wille gestalten lassen – egal ob es die Stimme der Griechen auf dem Syntagmaplatz ist oder Stimme anderer Völker Europas in anderen Ländern. Nun stehen wir vor immensen Herausforderungen. Nicht allein wegen und für Griechenland aber auch für die Europäische Linke, die die OXI-Kampagne mit unterstützt hat und sich deutlich für ein anderes Europa ausgesprochen hat.

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"„Die neue europäische Aristokratie will eine Abkehr von der Demokratie“", UZ vom 10. Juli 2015



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