Die Innenstädte sterben. Ihr Tod ist ein lukratives Geschäft für die Vermieter

Die neue Corona-Aristokratie

Ein Gang durch die Innenstadt kann heutzutage verwirrend sein. Die Friseure dürfen öffnen, die Tattoo-Studios bleiben geschlossen. Schönheitschirurgen waren übrigens nie im „Lockdown“; in den vergangenen Monaten erlebten sie sogar einen Aufschwung. So kann das Bürgertum mit gestrafften Gesichtern und gepuderten Perücken durch menschenleere Stadtzentren flanieren. Ach, wenn es nur so leicht wäre, Krisengewinnler zu erkennen. Eine Gruppe müsste besonders festlich daherkommen: Vermieter und Spekulanten, die neue Corona-Aristokratie. Egal wie schlecht es den Mietern ging, egal wie hoch die Verluste der Geschäftskunden waren: Die Immobilienrenditen waren nie in Gefahr. Dafür sorgte die Bundespolitik, die ihre „Rettungsschirme“ an Mietzahlungen koppelte. Da konnte die Kneipe noch so pleite sein: Die Pacht floss bis zum Schluss. Dafür sorgte die unfassbare Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber, die trotz Kurzarbeit und Zukunftsangst zur vollen Zahlung der steigenden Wohnungsmieten gezwungen waren und sind. Gegen Letzteres regt sich derzeit Protest. Wenn die sozialen Auswirkungen der Krise voll durchschlagen und neue Armut auf überhitzte Wohnungsmärkte trifft, werden die Folgen katastrophal sein. Der Mietenstopp kann nicht schnell genug kommen und nur ein Anfang sein.

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Vincent Cziesla

Besonders heiß wird aktuell über Gewerbeimmobilien in den Innenstädten diskutiert. Die Stadtzentren befinden sich seit Jahren im Niedergang. Sie verlieren ihre Funktion als Shoppingmeile und Versorgungsstandort. Das liegt am wachsenden Online-Handel, aber auch daran, dass neue Ziele die Stadtentwicklung diktieren. Der demografische Wandel drängt zum Entwurf von altersgerechten und inklusiven Quartieren. Die Nahversorgung wird wichtiger, die Mobilitätswende erfordert kurze Wege. Zugleich bleiben die Mieten in den Innenstädten astronomisch hoch. Das nützt der Kapitalkonzentration: Die kleinen inhabergeführten Geschäfte können sich die hohen Mietpreise nicht mehr leisten. Sie werden von finanzkräftigen Handelsketten und Monopolisten verdrängt, die den Innenstädten den letzten Rest ihres ursprünglichen Charmes aussaugen. Den Schauplatz dieses Vernichtungszuges säumen leerstehende Ladenlokale. Krise und Krisenpolitik beschleunigen den Prozess.

Was tun die Städte? In völliger Ignoranz dieses umfassenden Wandels versuchen sie, die „gute alte Zeit“ zu restaurieren. Begründet wird das meist mit der berechtigten Angst vor Jobverlusten. Die wegfallenden Arbeitsplätze im Einzelhandel werden nur selten vor Ort aufgefangen. Ein Stadtzentrum für Menschen und Anwohner mit sozialen, kulturellen und gastronomischen Angeboten könnte öffentliche Beschäftigung schaffen und zur Neuentdeckung der Innenstädte führen. Doch solche Ideen werden, wenn überhaupt, nur halbherzig verfolgt. Stattdessen setzen die Kommunen alles daran, die Profite des Handels zu sichern. Vielerorts mieten die Städte leerstehende Ladenlokale an. Sie zahlen einen Großteil der regulären Miete und dekorieren die Schaufenster oder suchen selbst nach möglichen Mietern. Das freut vor allem die Vermieter, die nun überhaupt keinen Grund mehr haben, die hohen Preise zu senken. Die Rechnung der Immobilienfonds, die den Leerstand jahrelang in Kauf nahmen, um ihre Spekulationsobjekte mit überhöhten Mieterwartungen aufzuwerten, geht auf. Es freut auch die großen Handelsketten, deren Umfeld ästhetisch aufgewertet wird, ohne dass weitere Konkurrenz hinzukommt. Doch für die kleinen Geschäfte, die Handwerker und Dienstleister bleiben die Mieten zu hoch. Der Leerstand ist kein Hilfeschrei, sondern Ausdruck von schamloser Profitsucht und Mietentreiberei. Dass dieses Verhalten nun auch noch staatlich subventioniert wird, zeugt von der Hilflosigkeit der Kommunen und zugleich vom neoliberalen Geist, der die Rathäuser durchweht.

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"Die neue Corona-Aristokratie", UZ vom 5. März 2021



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