Asozialdarwinistisches Grünzeug: Markus Thielemanns Debütroman „Zwischen den Kiefern“

Die Natur ist kein Rückzugsort

David Groth

Irgendwann kam mal wer an, und meinte, das Feld/die Bergkuppe/das Moor vor seinen Augen sei schön. Natur ist im Auge des Betrachters wie auch immer aussehend. Wer ihr ausgesetzt ist, hat wenig Haltung zur Natur als Äußerlichkeit, sondern grundsätzlich zur Natur als Gefährlichkeit, als Mühsal, als potenzielle Krank- und Totmacherin.

Es mutet daher gruslig an, wenn der Trend hin zu poetischen Globuli wie dem sogenannten „Nature Writing“ geht. Wenn die Staffage der Welt, wie wir sie irgendwann mal vorgefunden haben, zur Protagonistin wird, dann mag man an Biedermeier denken, eigentlich aber ist es ein Schritt noch weiter zurück: Nicht einmal bequeme Einrichtung ist mehr okay, es muss so minimalistisch sein wie es geht, da wird auch an jeder Restzivilisation gespart. Um das hierzulande tief drinsteckende romantische Naturbild zu bedienen, rückt man der Umwelt selbst ästhetisch nicht mehr auf die Pelle und zwängt das eigene Schreiben in ein geistiges Tiny House.

Markus Thielemann, mit Hildesheim von einer Institution zum Schreiber ausgebildet worden, in der Naturlyrik-Kurse der Renner der letzten Semester sind, schlägt mit seinem Debütroman „Zwischen den Kiefern“ den Naturfetisch mit seinen eigenen Waffen. Thielemann geht räumlich, haptisch und olfaktorisch ganz nah an Wald und Wiesen ran: „Sie gingen über ein paar Wiesen mit kniehohen, vom Wind nach Ost gekämmten Grasflächen, darin blaue und rote Tupfer von Korn- und Mohnblumen. Sie kamen an eine Senke, in der efeuberankte Erlen standen, unten plätscherte ein Bach. Weiße Flicken von Sonnenlicht strichen im Rhythmus der im Wind knarzenden Kronen über Geißblatt und Farne und zogen im Wasser über algige Wurzelstrünke.“ Der Kitsch des aufgesetzten Schönen des wilden Grünzeuges schlägt in Abstoßendes um. Das korreliert mit dem Plot: Teenager Sören ist ganz Elterntrennungsschmerz und hat die Nase voll von seiner Althippiemutter, die ihn mit zu einem alten Kunstdeppen aufs Land schleppt, wo er vereinsamt und kein WLAN hat.

Als er, mittlerweile dauerbetrunken, neben einer Straße im Schmodder wach wird, findet ihn Mia, die mit ihrem Vater Kasimir das Unbehagen abseits der Kultur genießt. Sie leben in Zelten, jagen vorsintflutlich, setzen sich Wind und Wetter aus. Mia schneidet sich Stoff vom Hosenbein, wenn sie ihre Tage hat.

Sören lässt sich vom Charisma des wahnsinnigen Kasimir einlullen. Der mixt sich aus Versatzstücken der Philosophie des vorkantianischen Pantheisten Jakob Böhme und einer gehörigen Portion postfaschistischem Asozialdarwinismus einen toxischen Menschenhasscocktail, der zum Ökoterrorismus verleitet: „Weißt du, ich hasse die Landwirte nicht, sagte Kasimir in die Stille, nachdem er ein Fleischstück gekaut und heruntergeschluckt hatte. Ich respektiere sie sogar. Sie kämpfen ihren Kampf. Sie beuten die Reine Natur aus, maximal und nachhaltig. Sie stehen auf dieser Seite der Front und wir stehen auf der anderen Seite. Ich schätze sogar, dass ich sie mehr respektiere als die anderen es tun. Die wollen mit der Ausbeutung nichts zu tun haben, nur mit der Beute.“

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Thielemanns Zivilisationsfeinde sind keine radikalisierten Baumknutscher, ihr Idealismus strotzt vor selbstabgesondertem Dreck und was Pragmatismus ist, auf ihrer Mission, alles mit nach unten in die grüne Hölle zu zerren, haben sie schon verstanden.

Woher Kasimirs Beklopptheit kommt, bleibt unbeleuchtet. Und Sörens Motivation flutscht von Übersprungshandlung zu Mittäterschaft. Das stärkt die Vermittlung, es hier nicht mit armen Hascherln zu tun zu haben, die sich mit Psychologie rausreden können, nimmt aber auch den Blick darauf, was hier denn überhaupt das Mögliche ist. Dazu bräuchte es Interessen, die über üble ideologische Einrichtungen im Kopf hinausgehen.

Den Fimmel für eine angeblich authentische Natur hintergeht Thielemann gekonnt mit „Zwischen den Kiefern“, nicht nur seinem ersten Roman, sondern auch dem des Katapult Verlags – wir kennen das ihm vorangehende „Katapult Magazin“ von den aufklärerischen Landkarten im Internet. Dass Naturverliebtheit aber nur der Schatten des der Gesellschaft entwachsenen Irrationalismus ist (der Kunstdepp mit seinen unbrauchbar gebauten Möbeln ist ein loser Faden, der dahin führt; die Anlagen sind also alle da), streift er dagegen noch zu schüchtern.

Markus Thielemann: Zwischen den Kiefern.
Katapult Verlag, Greifswald 2021, 304 Seiten, 20,- Euro

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"Die Natur ist kein Rückzugsort", UZ vom 11. Februar 2022



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