In Brasilien, im fünftgrößten Land und in der neuntgrößten Volkswirtschaft der Welt, leben 206 Millionen Menschen, die Hälfte aller Südamerikaner. Rousseffs ungerechtfertigte Ausschaltung – und damit werden wir nun jeden Morgen wach – bedeutet endgültige Neokolonialisierung und strategischen Missbrauch ganz Lateinamerikas. Sie ist im Zusammenhang zu sehen mit der fragwürdigen Wahl des US-hörigen Mauricio Macri in Argentinien (2015, er hat umgehend zwei US-Militärbasen zugesagt), mit dem CIA-Monsanto-Putsch gegen Präsident Fernando Lugo in Paraguay (2012, eine Basis für die US-Airforce), mit dem anhaltenden Wirtschaftsterror gegen Venezuela, mit der Wahl des US-Bürgers Pedro Pablo Kuczynski in Peru (drei existierende US-Basen und mehrere Radarstützpunkte), mit den abstrusen Aktionen bolivianischer Bergleute, die sich auf einmal gegen Gewerkschaften und für Privatisierung stark machen, mit den unsäglichen Gräueln in Honduras und Mexiko und leider auch mit dem rätselhaften Weg, den Kuba eingeschlagen hat.
Lula da Silva hatte während seiner Amtszeit der US-Regierung einen Marinestandort in Rio und die Nutzung einer Raumfahrtbasis in Alcântara (MA) verweigert – letztere flog daraufhin in die Luft. Temers Außenminister José Serra hat entsprechende Verhandlungen bereits wieder aufgenommen. Serra, selbst der Korruption verdächtigt, gilt als „der Mann Amerikas in der Regierung“ (Brasileiros, 3.6.16), der in Zukunft gegen Brasiliens BRICS-Zugehörigkeit eingesetzt wird. Bezeichnend für das Niveau der neuen US-Handlanger: Serra war auf Befragen der Journalisten nicht in der Lage, die einzelnen Mitglieder der BRICS-Staaten fehlerfrei zu benennen.
Der US-gesteuerten Regierung Temer gelang es, sämtliche Wirtschaftsindikatoren rapid zu verschlechtern. Die Inflation stieg auf 9 Prozent, das unter Rousseff kontrollierte Haushaltsdefizit von 70 Mrd. Real (20 Mrd. Euro) in drei Monaten auf 170 Mrd. Real (48,5 Mrd. Euro), u. a. wegen so schamloser wie schlauer Gehaltsaufstockungen im oberen juristischen und administrativen Bereich. Dagegen haben 1,5 Millionen Brasilianer seit Temers Amtsantritt ihre Stellung verloren.
Die Automobilproduktion, wichtigster Industriewert, fiel allein im August um 18,4 Prozent. Die Privatisierung der Bundesuniversitäten ist angepeilt, die Ausgaben im Schulbereich sollen um ein Drittel verringert werden, „Schule ohne Staat“ ist die ausgegebene Losung. Im öffentlichen Gesundheitswesen wird eine grundsätzlich private Gesundheitsversicherung für alle angepeilt.
Argentiniens Präsident Mauricio Macri hat am 19. September sein Land wieder der Verschuldungsagentur IWF (Internationaler Währungsfond) geöffnet, Brasilien wird folgen. „Brazil open for business“ konstatierte das Wall Street Journal am 15.9.16.
Teil I, „Brasilien, der ungeliebte Präsident und die Olympischen Spiele“, erschien in UZ Nr. 39.