UZ: Bernd Lucke, Gründer der sozialchauvinistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist am Wochenende aus seiner Partei ausgetreten. Als Grund gab er den Durchmarsch des sogenannten national-konservativen Flügels um die neue Parteivorsitzende Frauke Petry an. Sehen Sie eigentlich gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen dem Lucke-Flügel und dem um Frau Petry?
Kerstin Köditz: Zunächst einmal: Nur rund 20 Prozent der AfD-Mitglieder hatten sich dem Spaltungsvorprodukt Bernd Luckes, dem „Weckruf 2015“ angeschlossen. Sowohl Luckes Umfrage unter seinen Anhängern als auch der bisherige Zulauf zum Parteigründungsvorprodukt „Neustart 2015“ der AfD-Europaabgeordneten Ulrike Trebesius zeigen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Lucke-Flügels wohl eher resignieren wird als sich unter Hurra-Gesängen in noch einer neuen Partei zu engagieren. Zudem ist festzuhalten, dass sich unter den Erstaufrufenden für eine Parteineugründung nur eine verschwindende Minderheit aus dem Osten Deutschlands befindet. Trotzdem behauptet der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, das Geld hinter Lucke repräsentierend, nicht die Dissidenten hätten sich von der AfD getrennt, sondern diese sich von ihnen. Auch ein Mandatsverzicht sei ausgeschlossen, denn, so Henkel im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Wähler haben uns ihre Stimme gegeben und damit auch das Programm gewählt, das wir vertreten. Es wäre ein Verrat an den Wählerinnen und Wählern, wenn wir jetzt unser Mandat an Nachrücker übergeben, die für etwas ganz anderes stehen.“
Wenn Henkel richtig läge, dann hätten bis zum Essener Parteitag zwei völlig unterschiedliche, gar inhaltlich entgegengesetzte Parteien unter einem Dach existiert. Es ist unter strategischen Gesichtspunkten nachvollziehbar, dass Henkel nunmehr eine trennscharfe Scheidung in „Gute“ und „Böse“ versucht. Mit Wahrhaftigkeit allerdings hat es nichts zu tun. Er selbst hatte noch vor einem Jahr die wegen ihrer Rechtslastigkeit kritisierten Björn Höcke und Frauke Petry gegen diese Vorwürfe in Schutz genommen. Und es war Bernd Lucke selbst, der im Bundestagswahlkampf 2013 dafür plädierte, die thematische Aufstellung der AfD dadurch zu verbreitern, dass z. B. die Thesen Thilo Sarrazins aufgegriffen würden. Auch persönlich verbindet diesen mit Bernd Lucke etwas: Beide praktizieren ein durch und durch traditionelles Familienbild und sind einem fundamentalistischen Christentum verpflichtet.
Dies hat allerdings als Kitt für diese Verbindung nicht ausgereicht, auch wenn die Unterschiede eher im taktisch-strategischen Bereich als in der Ideologie liegen. Durch und durch neoliberal ist Petry ebenso wie Lucke. Aber sie weiß, dass es für Luckes Orientierung am gehobenen Bürgertum in den ostdeutschen Landesverbänden genau an dieser Zielgruppe gesellschaftlich mangelt. Auch ist die von ihr repräsentierte Mehrheit der AfD durchaus kein homogener Block. Es findet sich noch immer eine wirtschaftsliberale, turbokapitalistische Strömung, so um die Zeitschrift „Eigentümlich frei“, eine Strömung, die aus den Völkischen um Björn Höcke, der „Neuen“ Rechten, der „Patriotischen Plattform“ sowie den „Identitären“ besteht, ein christlich-fundamentalistischer – mehrheitlich evangelikaler – Flügel, schließlich die im Wortsinne National-Konservativen um Alexander Gauland, faktisch eine Modernisierung des alten Stahlhelmflügels der CDU. Die nächsten Konflikte sind also bereits programmiert.
UZ: Welche Auswirkungen hat der Austritt Luckes und seiner Gesinnungsgenossen für die AfD?
Kerstin Köditz: Mit Lucke dürften vor allem auch etliche von dessen Geldgebern gehen. Etliche namhafte Unternehmer haben ihren Austritt bereits angekündigt. Dies wiegt schwer, da die Finanzen offenbar weiterhin ein Sorgenkind der – angeblich so wirtschaftskompetenten – AfD sind. Wegen des Chaos beim Geld wurde beim Essener Parteitag der Vorstand nicht entlastet. Dies könnte für die bevorstehenden vier Landtagswahlkämpfe im kommenden Jahr durchaus eine Rolle spielen.
Einige Landesverbände im Westen erleiden einen personellen Aderlass, der nicht nur zahlenmäßig von Bedeutung ist, sondern sich vor allem deshalb negativ auswirken wird, weil es sich zu einem erheblichen Teil um Funktionäre handelt. Es ist fraglich, ob der AfD hinreichend qualifiziertes Personal in der zweiten Reihe zur Verfügung steht. Besonders betroffen sind offenbar Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. In beiden Ländern wird im kommenden Jahr gewählt. Weniger gravierend sind die Abspaltungen in den Bürgerschaften von Hamburg und Bremen. In Bremen hatte man ohnehin die wichtige Fraktionsstärke verfehlt, in Hamburg ist die AfD notorisch zerstritten.
UZ: Sie gehen trotzdem nicht davon aus, dass die AfD sich in naher Zukunft erledigt haben könnte?
Kerstin Köditz: Nein, das wäre eine verfehlte Hoffnung. Die drei Landtagsfraktionen im Osten werden mindestens noch die nächsten vier Jahre vorhanden sein. Sie schaffen zusätzliche finanzielle Ressourcen und Hauptamtlichenstellen. Und sie garantieren nicht zuletzt, dass das öffentliche Interesse erhalten bleibt. Mit dieser Bastion im Osten wird die AfD Stück für Stück den Neuaufbau im Westen versuchen.
Vor allem aber sind die Probleme in der Bundesrepublik die gleichen geblieben wie vor der faktischen Spaltung. Ebenso existiert weiterhin eine relevante Zieltruppe, die für reaktionäre, allerdings nicht-nazistische Lösungen empfänglich ist. Gelingt es der AfD, diese mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen anzusprechen und gleichzeitig den Eindruck der Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu vermitteln, könnte die Zielgruppenansprache selbst dann gelingen, wenn die Fraktionen so inkompetent und unproduktiv sind wie die sächsische unter Frauke Petry.
UZ: Kann die Partei nicht auch verstärkt auf die Rassisten zurückgreifen, die aktuell im sächsischen Freital und in Meißen nahezu täglich gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte mobil machen?
Kerstin Köditz: Es mag sein, dass es ihr gelingt, einen Teil dieses aktivistischen, rassistischen Potenzials als Wählerschaft für sich zu gewinnen. Aber auch das ist nicht ausgemacht. Um nicht noch stärker als „Rechtsaußenpartei“ stigmatisiert zu werden, muss die AfD eine Art „Doppelsprech“ praktizieren, also eher interpretierbare Zwischentöne benutzen anstatt Klartext zu reden. Das wird die Mehrzahl der verharmlosend als „Asylkritiker“ bezeichneten Menschen nicht befriedigen. Für auch nur taktische Zwischentöne ist bei ihnen kein Raum. Sie wollen keine Fremden. Basta!
Diese Einschränkung bedeutet allerdings nicht, dass die besonders in Sachsen spürbare rassistische Welle, die ihren sichtbaren Ausdruck in einem neuen Höchststand entsprechender Straftaten findet, nicht für die AfD nützlich wäre. Sie hat bessere Möglichkeiten als die aus dem Landtag geflogene AfD auf dieser Welle zu surfen. Sie bedient und schürt die dumpfen Ängste. Aber selbst wenn der eine oder andere der vor den Heimen jetzt trunken Parolen Brüllende tatsächlich beschließen sollte, Mitglied der AfD zu werden, darf bezweifelt werden, dass es sich um eine wirkliche Verstärkung für die Partei handeln würde.
UZ: Welche Verantwortung trägt die etablierte Politik an diesen Zuständen?
Kerstin Köditz: Die Verantwortung beginnt bereits dort, wo die CDU verharmlosend von „besorgten Bürgern“ redet statt von dem, was sie vor allem sind, nämlich Rassisten. Man muss nur rechte Parolen grölen, dann fällt der neuen Staatspartei, der CDU, prompt ein, dass es sich ja um Bürgerinnen und Bürger handelt und man mit diesen den Dialog führen muss. Dieser Dialog wird dann gelegentlich bei einigen Landtagsabgeordneten zur offenen Zustimmung. Und wenn dem Innenminister als erste „Lösung“ einfällt, eine Sonderkommission zur Bekämpfung ausländischer Intensivstraftäter zu gründen, bestärkt dies zunächst und vor allem die vorhandenen Ressentiments. Und wenn ein CDU-Landrat, die Existenz einer rechten Szene unter den rassistischen Pöblern schlicht bestreitet, leistet er seinen Beitrag zur Entlastung dieser Masse.